9. Die Herausforderung Brecht  (1962 – 1975)

 

 

 

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9.13  Hans Joachim Frank wird Regisseur

 

Beachtens- und also auch erwähnenswert sind die Absolventen, die die Schule als Schauspieler verließen, zunächst auch irgendwo im Lande als Schauspieler engagiert waren, doch dann eines Tages auf dem Regiestuhl landeten und den schließlich immer fester inne hatten. Vorgestellt wurden bisher Friedo Solter, Manfred Karge, Jürgen Gosch, Alexander Lang und Alexander Stillmark. Da im Rahmen dieser Schrift nicht alle aus der Schule hervorgegangenen Regisseure ausführlich gewürdigt werden können, sei hier wenigstens eine Aufzählung vorgenommen – indessen ohne Anspruch auf Vollständigkeit und beginnend mit der Zeit nach 1945.

Die nächsten Namen, die ins Auge fallen, sind Hannes Fischer und Horst Schönemann, beide damals alsbald führende Regisseure im Lande. Fischer vor allem in Dresden, Schönemann in Halle und Berlin. Dann ist Wolf-Dieter Panse zu nennen, der im Fernsehen reüssierte. Uwe-Detlef Jessen gehört erwähnt. Und da hat es weitere durchaus klangvolle Namen: Klaus Erforth, Wolfram Krempel, Hans-Georg Simmgen, Katja Paryla, Horst Ruprecht, Siegfried Höchst, Ursula Karusseit, Werner Tietze – sie alle gehören zur „Regie-Gilde“ der Schule, hineingewachsen in diesen Beruf noch bevor es an der Schule eine spezielle Regie-Ausbildung gab, die übrigens jahrelang Friedo Solter künstlerisch verantwortete.

Die Schauspieler haben ihre individuellen Regie-Handschriften in der Praxis ausgeprägt und zugleich auf ihre Weise die ästhetischen Kriterien einer kommunikationsfreudigen, volksnahen Schauspielkunst zu entwickeln und zu pflegen gewusst. Nicht subjektivistische Nabelbeschau lag ihnen am Herzen, das Ausleben von Perversitäten und Absurditäten, sondern die Hinwendung zum Menschen, zu dessen Hoffnungen und dessen Leid. Dies als Lebensaufgabe, nicht als dem Zeitgeist huldigende modische Attitüde.

Ein Regisseur, der in dieser Hinsicht besonders auffällt, ist der am 19. August 1954 in Marlsfeld in Thüringen geborene Hans-Joachim Frank. Bereits mit acht Jahren schauspielte er am Meiniger Theater. Er bewahrte sich seine Spiellust, die ihn, obwohl noch sehr jung, nach Berlin an die Schule führte. 1974 verließ er sie als einer der jüngsten Absolventen. Ein bescheidener, stiller, zurückhaltender junger Mann. Während des Studiums hatte er sich nicht besonders hervorgetan. In der Studioinszenierung „Glanz und Tod des Joaquin Murieta“ von Pablo Neruda (Regie Alexander Stillmark und Klaus Erforth) spielte er den Don Ryes und empfahl sich als ein sensibler Darsteller. Intendantin Ruth Berghaus fiel er auf und holte ihn ans Berliner Ensemble.

Die Chefin vertraute dem Debütanten sofort eine Hauptrolle an, besetzte ihn als Pawel in ihrer umstrittenen Inszenierung der „Mutter“ von Brecht. In einer Rezension hieß es über ihn: „...fällt die Outriertheit besonders auf, die dem Darsteller des Pawel, Hans-Joachim Frank, über Szenen hinweg abverlangt wird.“ (9.74)

 

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Hans-Joachim Frank als Pawel

 

 

Frank brauchte in der Tat einige Spielzeiten, um seine junge Persönlichkeit zu profilieren und darstellerisch zu reifen. Als er 1981 in der Regie von Carlos Medina in „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry den Fuchs spielte, agil, flink, wendig, spitzbübig, hieß es über ihn in der Presse: „Hans-Joachim Frank hat hier alle Forciertheiten früherer Darstellungen abgelegt, eine neue Tiefenschicht seiner selbst nach außen gebracht,...“ (9.75)

 

 

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Hans-Joachim Frank als Moritatensänger in der „Dreigroschenoper“ 1976/77 mit Bernd Weißig

 

 

1983 führte Hans-Joachim Frank erstmals Regie, und zwar in einer Initiative „Schauspieler für den Frieden“. Auf der Probebühne des Berliner Ensembles inszenierte er „Die Perser“ von Aischylos, eine mit ganz altem Stück so aktuelle wie moderne Aufführung, die als die beste der Spielzeit gewürdigt wurde, da sie höchst Gegenwärtiges betraf und betroffen machen konnte. (9.76) Aus dieser Zeit datieren auch Soloauftritte Franks in „grenzüberschreitenden Genres“ mit Musikern wie Paul-Heinz Dittrich, Hannes Zerbe und Wolfgang Mitterer, verbunden mit Gastspielen im In- und Ausland. 1987 verließ er das Berliner Ensemble, um sich solistisch und als Regisseur auszuprobieren und zu profilieren.

In die besondere Aufmerksamkeit rückte Frank 1989 mit der Gründung des „theaters 89“ in der ehemaligen Wilhelm-Pieck-Straße in Berlin-Mitte. Als dessen Leiter und Chefregisseur hat er seither in Zusammenarbeit mit Dramaturg Jörg Mihan eine für die Berliner Theaterszene außerordentlich wesentliche Arbeit geleistet. Sie besteht nicht nur in der Kultivierung einer sozial genauen, höchst differenzierten Spielweise, auch in der beharrlichen Pflege eines homogenen Ensembles. Dank Franks künstlerischem Profil wie seiner zähen Beharrlichkeit und Dank des Ausharrungsvermögens seiner getreuen Truppe hat die kleine Bühne die Wirren der Wende überstanden und mit ästhetisch auffallenden Leistungen im neuen Regime Anerkennung gefunden und sich finanzielle Hilfe erstritten. Inzwischen wurde ab 1997 mit dem Ausbau und der Bespielung des Dorfgemeinschaftshauses DAS HAUS in Niedergörsdorf bei Jüterbog im Lande Brandenburg eine in diesen kulturfrustrierten Zeiten ganz und gar außergewöhnliche Aktivität entwickelt, die das örtliche Publikum goutierte. Im Juli 2003 konnte DAS HAUS offiziell als neue Spielstätte der Berlin-Brandenburger Bühne eröffnet werden.

Als die Truppe des „theaters 89“ 1990 erstmals an die Öffentlichkeit getreten war, geschah dies prononciert mit Büchners „Woyzeck“. Ich schrieb damals: „Die Schauspielgruppe „theater 89", inhomogen zusammengesetzt aus an Berliner Bühnen beschäftigten und aus freiberuflichen Darstellern, zeigt Georg Büchners „Woyzeck". Es ist dies ein erster Versuch, sich außerhalb der etablierten und renommierten Theater zu profilieren. Wobei die Gruppe mit einer gehörigen Portion Optimismus ans Werk geht... Ob sich Erfolg einstellt, wird sich zeigen. Die Gruppe spielt ästhetisch engagiert. Nicht Ausweichen in marktfähige Unterhaltung scheint für sie angesagt, sondern Reibung mit Realität. In unserer bewegten Zeit fallen nicht nur Dogmen. Jeder Bürger ist gleichsam auf den Urgrund sozialen Seins zurückgeworfen. Das schafft Affinität für Büchners „Woyzeck". Die existentielle Not des armen Teufels hat plötzlich etwas mit Erbarmungslosigkeiten zu tun, die — modifiziert — auch in unserem Alltag erfahren werden können.“ (9.77)

Im gewissen Sinne war bereits diese erste Inszenierung für Hans-Joachim Frank wie für seine Bühne programmatisch. „Reibung mit Realität“ – verstanden als empfindsame und einfühlsame theaterästhetische Auseinandersetzung mit Menschen in ihrer widersprüchlichen sozialen Wirklichkeit und nicht als Suche nach dem abstrusen Sonderfall. An Franks Theater befolgt man das Konzept, selten gespielte, vergessene oder ins Abseits gedrängte Autoren zu inszenieren sowie neue Dramatiker zu entdecken und zu fördern. Man bekennt sich zu avanciertem Ensemblespiel und nutzt die Erfahrungen und Methoden des Theaters in der Nachfolge Brechts, die man auf sich verändernde Realitäten und neue Texte anwendet. Auf dieser Basis entwickelte Frank inzwischen sein Regietalent, hinter alltäglichem menschlichen Verhalten hintergründig Komisches aufzufinden, Schwächen der Menschen feinsinnig satirisch und auch sarkastisch aufzudecken, ohne zu diffamieren.

Wie souverän der Regisseur in dem schwierigen Genre der sozialen Komödie arbeitet, zeigte seine Inszenierung anlässlich des zehnjährigen Bestehens des theaters 89: „Kichern, glucksendes Lachen. Szenenbeifall. Clochemerle in der Niederlausitz... mit Oliver Bukowskis Tragigroteske »Gäste«... Hans-Joachim Frank, der Chef des Hauses, hat die wundervoll-wunderliche Satire süperb inszeniert. Die Darsteller kosten die bizarr-grotesken Situationen minutiös aus. Man wird landauf landab weit reisen müssen, um auf einer Bühne so klassisch sauber forcierte und pointierte soziale Komik zu finden.“ (9.78) Die Aufführung, würdig für das Berliner Theatertreffen, wurde damals alsbald nach Stuttgart und Chemnitz eingeladen.

 

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Angelika Perdelwitz (Absolventin 1975) als Mechthild und Eckard Becker (Absolvent 1968) als Kapitalist Schuster in „It Works!“ von Oliver Buckowski, Regie Hans-Joachim Frank

 

 

Hans-Joachim Frank ist ein Regisseur, der sich immer wieder der Gegenwart stellt, von dort Impulse bezieht. Ein Sommertheater-Ereignis von ungewöhnlicher Dimension war 2001 seine Uraufführung von „It Works! (Geht nicht geht nicht)“ in Niedergörsdorf bei Jüterbog, ein in Freilicht-Szene gesetztes Filmdrehbuch von Oliver Bukowski als kritisch-burleske Zeit-Show zwischen nostalgischen Reminiszenzen und rauer Wirklichkeit. Ein wenig Clochemerle, ein wenig „Don Camillo und Peppone-Mentalität“, ansonsten fröhliche Erinnerung an ehemalige „Menschengemeinschaft“ und sarkastische Bestandsaufnahme gegenwärtigen Lebens auf dem Lande zwischen „Stütze“ und Demokratie. Immer wieder frappierend, wie Frank - so grob gestrickt die Maschen der Fabel auch sein mochten - mit realistischem Blick fürs Menschliche augenzwinkernd Heerschau hielt. Ganz und gar nicht wehmütig oder gar wehleidig, sondern in Form einer imposanten Volksgroteske. Das heimische Publikum identifizierte sich, stieg voll ein, nicht nur als Zuschauer, auch als Mitwirkende. Unverkrampfter Umgang mit deutscher Geschichte und Gegenwart - ein Theater und seine Zuschauer lebten ihn uns vor!

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

9.74  Ernst Schumacher, Berliner Zeitung, 22.Oktober 1974   Zurück zum Text

9.75  Ernst Schumacher, Berliner Zeitung, 17. November 1981   Zurück zum Text

9.76  Ernst Schumacher, Berliner Zeitung, August 1983   Zurück zum Text

9.77  Gerhard Ebert, Neues Deutschland, 21. Februar 1990   Zurück zum Text

9.78  Gerhard Ebert, Neues Deutschland, 7. Juni 1999   Zurück zum Text

 

 

 

 

 

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