2. Der schwere Anfang

   (1905-1914)

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Max Reinhardt

 

2. 5  Unstetigkeit der Leitung

Die aufgenommenen Schüler hatten täglich ab 9 oder 10 Uhr bis 13 oder 14 Uhr Unterricht. «Der Lehrplan bestand aus Stimmbildung, Gymnastik, hauptsächlich Fechten, Schminken, Diktion und Rollenstudium.» (2.30) Die im dramatischen Unterricht erarbeiteten Szenen wurden an Szenen-Abenden vorgestellt, zu denen stets die verantwortlichen Leiter des Deutschen Theaters eingeladen wurden.

Hier hatte sich im ersten Jahrzehnt unter der Oberleitung Reinhardts eine Praxis entwickelt, die dem Direktor des Deutschen Theaters die letzte Entscheidung überließ, zum Beispiel, wer nach der Probezeit an der Schule verblieb. «Nach einem halben Jahr», lesen wir bei Granach, «sollte das... große Sortieren — das große und entscheidende Vorsprechen vor Reinhardt selber sein.» Berthold Held, nach den Angaben Granachs der Leiter der Schule, hatte Granach zurückgestellt. Aber durch freundliche Vermittlung des Dramaturgen Gersdorff konnte er doch teilnehmen. «Ich stand im Foyer der Kammerspiele und beobachtete Reinhardt und seinen Stab... Als die Schüler einer nach dem anderen Revue passierten, sah ich plötzlich Gersdorff gebeugt in Reinhardts Ohr flüstern, und beide guckten zu mir hinüber. Dann rief mich Gersdorff, stellte mich vor, und nach einigen Worten forderte man mich auf, vorzusprechen. Ich sprach Franz Moor und den ersten Schauspieler aus «Hamlet». Man verlangte mehr und lächelte mir ermutigend zu... Und da kam auch schon Reinhardt auf mich zu, sprach mit seiner merkwürdig gewogenen Stimme liebe, anerkennende Worte...» (2.31) Noch am selben Tag und vor Ablauf der Schule unterzeichnete Granach einen fünfjährigen Vertrag mit dem Deutschen Theater. Berthold Held arbeitete, wie Granach berichtet, bereits 1912/13 als Leiter der Schule. Dem steht seine eigene Aussage vom 2. Mai 1914 gegenüber, wo er dem Polizeipräsidenten erklärt: «Herr Legband hat die Leitung der Schauspielschule des Deutschen Theaters im Oktober 1911 übernommen. Zur gleichen Zeit erfolgte die Übersiedlung der Schauspielschule von den Zelten nach dem Deutschen Theater... Leiter der Schauspielschule ist Herr Prof. Ordynski, dessen Vertreter ich bin.» (2.32) Ordynski war Regisseur bei Reinhardt. Offenbar waren die Leiter der Schule in dieser Anfangszeit, von 1905 bis 1914, nie klar eingesetzt. Ähnlich hatte Reinhardt- als leitender Kopf im Hintergrund bleibend - für sein Kabarett «Schall und Rauch» stets Vertraute gehabt, die für ihn arbeiteten. Am geduldigsten hinsichtlich der Schauspielschule war da sein Jugendfreund Berthold Held. (2.33)

Die entscheidende Veränderung unmittelbar nach 1911, also nach dem Umzug, hat wohl Legband ausgeführt, der schon seit 1906, seit Frisch gegangen war, als Leiter gearbeitet hatte. Aber Legband war nicht der Mann, der die nun notwendige und bei reduzierter Schülerzahl leichter überschaubare pädagogische Arbeit hätte schöpferisch voranbringen können. Der Theaterkritiker Herbert Jhering sah das so: «Als Paul Legband noch Direktor der Schauspielschule des Deutschen Theaters war, hatte man von den Prüfungsaufführungen den Eindruck: Reinhardt dividiert durch Philologie. Man hörte aus

 

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Herbert Jhering

 

den Schülern die Akzentuierungen und Tonverschärfungen der Reinhardtschen Regie. Man sah in den Hauptrollen pathetisch stilisierte, in den Nebenrollen grotesk stilisierte Bewegungen. Aber überall war das Temperament unterdrückt, das zur Übernahme dieser Ausdruckssprache erst berechtigt hätte. Es ist falsch, Spielregeln für Darsteller aus Inszenierungsmethoden und Regiephantasien zu entwickeln. Die Schüler lernen als Wesentliches ihrer Kunst, was wesentlich nicht durch sich ist, sondern nur durch die Verarbeitung des einen Regisseurs. Sie werden von dem, was Tradition und Handwerk in ihrer Kunst bleibt und bleiben muß, weggeführt, bevor sie es überwunden haben, und auf eine spezialisierte Richtung festgelegt, bevor sie die allgemeine Grundlage kennen. Dem Schauspielschüler wird der Weg zu sich selbst erspart, wenn der Unterricht am Ende des Weges begonnen wird. Schauspielunterricht ist Beschaffung der technischen Hilfsmittel, ist Bildung der Ausdrucksfähigkeit, aber nicht Einschränkung dieses Ausdrucks auf Nachahmung berühmter Vorbilder. Es ist die Gefahr der großen Theatern angegliederten Schauspielschulen, daß ihre Zöglinge, wenn die Lehrer nicht von der Technik, sondern von der Theorie herkommen, sich hemmungslos an die Beispiele verlieren, die sie täglich auf ihrem Theater sehen, Noch heute sind die Bühnen im Reiche mit Moissi- und Eysoldt-Kopisten aus der Legbandzeit überschwemmt, weil ihnen technisch nicht Widerstand geleistet wurde, und ihre Lehrer einen Stil forcieren wollten, bevor die Schüler hatten, was sie stilisieren konnten.»(2.34)

Die Verdienste der Lehrer wie Gertrud Eysoldt, Hedwig Wangel und Eduard von Winterstein sind unbestritten. Sie waren die Pioniere. Aber die eigentliche Aufgabe zeichnete sich bereits ab. Um an Devrient zu erinnern: Nicht die unterschiedliche Trefflichkeit des einen oder anderen Lehrers war gefordert, sondern die Zweckmäßigkeit der allgemeinen Methode.

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

2.30        Alexander Granach, a. a. O., S. 237

 

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2.31        Ebenda, S. 241

2.32        Staatsarchiv Potsdam, a.a.O., Bl. 18

 

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2.33        Max Hochdorf schreibt 1930 in der Jubiläumsschrift der Schauspielschule: «Erster Schulleiter war der Schriftsteller Efraim Frisch, schon nach kurzer Zeit der organisatorischen Kleinarbeit müde... Nachdem Paul Legband, von 1907 bis 1911 der Nachfolger Frischs, Theaterdirektor geworden war, übernahm Richard Ordynski und nach ihm Held endgültig die Leitung der Schule.» (Fünfundzwanzig Jahre Schauspielschule des Deutschen Theaters, Berlin 1930, S. 11) In der gleichen Schrift, S. 52, schreibt Paul Legband: «... Schauspielschule, die ich von 1906 bis 1911 leiten durfte...» Die Angaben von Helmut Schwarz, Max Reinhardt und das Wiener Seminar, Wien 1973, S. 16, sind ungenau. Da heißt es: «Erster Schulleiter war der Schriftsteller Ephraim Frisch gewesen, ihm folgten Paul Legband (1907-1911) und Richard Ordynski, bis Held 1921 die Leitung, an der er bereits als Stellvertreter Ordynskis mitgewirkt hatte, in alleiniger Verantwortung übernahm und bis zu seinem Tode (1931) behielt.» Berthold Held hat die Leitung der Schule 1914 übernommen. Das geht aus einem Brief hervor, den Held mit Datum vom 13. Oktober 1916 an Prof. Milan schrieb. Da heißt es: «Ich arbeite nun in der Schauspielschule seit zwölf Jahren, teils als Lehrer und vorübergehend oft als Leiter, bis ich vor zwei Jahren die endgültige Leitung übernommen habe.» HS-Archiv, Blatt 660

 

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2.34        Herbert Jhering, Der Kampf ums Theater, Berlin 1974, S. 87

 

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