12. Ringen um das Profil (1981 – 1985)

 

 

 

frau_wegwerfen2

„Die Frau zum Wegwerfen“ von Dario Fo

 

 

 

12.7  Studioinszenierungen

 

Mit der Wahl des Clownsspiels „Die Frau zum Wegwerfen“ von Dario Fo für eine Studioinszenierung wurde 1983 erstmals der Versuch gemacht, auch akrobatisch-artistische und grobe mimische Mittel einzusetzen, also die den aktuellen Erfordernissen entsprechende Breite der Ausbildung in aller Öffentlichkeit zu belegen. Regie führten Peter Schroth und Peter Kleinert. Die Aufführung fand erhebliche Beachtung, von der «Berliner Zeitung» wurde sie mit dem «Preis für Ensembleleistung jugendlicher Darsteller» ausgezeichnet. Der Kritiker dieser Zeitung schrieb: «Ein Theatervulkan wie Dario Fo paßt so recht zum überschäumenden und hoffentlich nicht allzu schnell reglementierten Temperament junger Schauspielstudenten... Ich wünschte mir, daß alle Mitwirkenden die geistige und körperliche Lockerheit bewahren mögen, die sie hier ausgiebig und gekonnt zur Schau stellen... Die Spieler — ein Dutzend an der Zahl — stellen mit ihrem Können der praktisch-methodischen Ausbildung an der Schauspielschule ein gutes Zeugnis aus.» (12.11)

In der «Neuen Zeit» war zu lesen: «Mit großem artistischem Einsatz und gestischer Treffsicherheit, mit Spielfreude und akkurater Ensembleleistung werden die einzelnen Szenen, zusammenhanglosen Zirkusnummern gleich, vorgeführt... Der Abend gehört den angehenden Schauspielern. Gemeinhin wird angenommen und häufig beklagt, daß Clownspiele der Ausdruck und die Folge indifferenten Denkens seien und ein Ausweichen vor politischen und ästhetischen Entscheidungen signalisieren. Dem kann ich mich nach dem Erlebnis des Zirkus-Spiels der Berliner Schauspielabsolventen nun endgültig nicht mehr anschließen.» (12.12) Anerkennung auch in der «BZ am Abend»: «Zwölf Studenten bilden ein Ensemble, das dem Publikum vor allem den zwingenden Eindruck gemeinschaftlichen Wollens vermittelt.» (12.13) Kritisch einschränkend äußerte sich das «Neue Deutschland»: «Bei Stücken dieser Art gelangt der Abend an einen Punkt, von dem ab nichts wirklich Neues mehr geschieht, wo dann ein wenig bemüht "Theater" hergestellt wird.» (12.14)

Am Vorabend der Premiere hatten sich in der «Jungen Welt» Studenten zu ihrer Arbeit geäußert. Axel Wandtke sagte: «Wenn die Aussage vergessen wird, ist der ganze Auftritt nicht mehr so stark. Wir können eben nur überzeugen, wenn wir selbst begriffen haben, welche Gesetzmäßigkeiten hinter diesem maßlosen Konsumkult... wirken.» Und Martina Schumann äußerte: «Ich glaube, ohne Engagement käme nichts rüber, die Szenen würden sich verselbständigen.» (12.15)

 

hoppla

„Hoppla, wir leben“ von Ernst Toller

 

Ein Jahr später, 1984, inszenierte Ulrich Engelmann an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Ernst Tollers Stück «Hoppla, wir leben» mit Studenten der Hochschule. Dieter Krebs nannte das Unternehmen einen redlichen Versuch. Die Studenten, schrieb er, «schlugen sich wacker, auch wenn das Material schmal blieb. Wie Thomas Stecher den unerhört schwierigen Part des Karl Thomas meistert, verdient Respekt... Auch Arianne Borbach (Eva), Thomas Förster (Kilman), Christoph Hohmann (Kroll) und in besonderem Maße Peter René Lüdicke (Pickel) konnten ihre Figuren profilieren.» (12.16) Und Ursula Meves schrieb: «Bis auf wenige Ausnahmen spielen Studenten Haupt- und Episodenrollen, die enorm viel von ihnen verlangen.» (12.17)

 

bernarda1

„Bernarda Albas Haus“ von Federico Garcia Lorca

 

Im gleichen Jahr führte die Finnin Anu Saari Regie bei der Inszenierung der Tragödie «Bernarda Albas Haus» von Federico Garcia Lorca. «Die Schauspielschülerinnen...», schrieb Ernst Schumacher, «die mit der Aufführung dieses Stückes in Verbindung mit der Volksbühne Berlin ihr Berufspraktikum abschließen, drücken in ihrer Darstellung der Rollen ihre eigene Betroffenheit über diese Vergewaltigung des Frauendaseins in einer Gesellschaft, die sie selbst nicht mehr zu erfahren haben, mit aus, bringen ihre Anteilnahme mit dem Schicksal dieser unglücklichen Frauen mit ein, kritisieren sie auch, aber immer mit dem Gefühl schwesterlicher Verbundenheit.» (12.18) Günther Cwojdrak urteilte: «Dieses Stück voller Glanz und Dunkel, voller Tiefe, Verhaltenheit und Überschwang von Schauspielstudentinnen spielen zu lassen, war ganz gewiß eine hohe Anforderung, eine Herausforderung, ein Wagnis. Um es vorweg zu sagen: die Herausforderung wurde angenommen: die Anforderung, in den Grenzen des Möglichen, erfüllt.» (12.19) Anne Braun schrieb: «Sieben Berliner Schauspielstudentinnen... zeigen, was sie in dreijähriger Ausbildung gelernt haben, was in ihnen steckt an Empfindungsreichtum, Energie und eigenwilliger Gestaltungskraft.» (12.20) Helmut Ullrich vermerkte kritisch: «... mit solchen Aufgaben sind sie überfordert... Trotzdem wird... einiges an natürlicher Begabung und an erlerntem Können bei den jungen Nachwuchsdarstellerinnen erkennbar.» (12.21)

 

dreigroschenoper2

Steffi Kühnert und Katharina Lange (r.) in Brechts „Dreigroschenoper“

 

Im gleichen Jahr entwickelten sich aus drei zunächst internen Werkstatt-Projekten für das 3. Studienjahr auch in der Öffentlichkeit erfolgreiche Aufführungen. Hans-Diether Meves inszenierte in der Studiobühne «Wolfgang Heinz» Brechts «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» mit Arianne Borbach, Christoph Hohmann und Sewan Latchinian. Gewiss offenbarten die Songs die sängerischen Grenzen jedes Studenten, aber das spielerische Engagement überzeugte. Ähnlich im zweiten Projekt. Gertrud Elisabeth Zillmer setzte Brechts «Dreigroschenoper» in einer gekürzten Fassung in Szene. Es spielten u.a. Katharina Lange, Steffi Kühnert, Mathias Kunze, Uwe Lach und Götz Schulte. Diese Arbeit kam auch im Jugendtreff des Palastes der Republik zur Aufführung, hatte Erfolg beim Fest junger Künstler und wurde zu den Weltfestspielen in Moskau gezeigt.

Über ihre Erfahrungen schrieb Gertrud Elisabeth Zillmer: «Die Studenten suchten ihre Assoziationen zu jeder Phase des Textes und zu jeder Phase der Musik... Zum wiederholten Male konnte ich in dieser Arbeit beobachten: Das Sich-etwas-zu-eigen-machen hat bei den Zwanzig- bis Dreißigjährigen immer auch etwas zu tun mit Aufbrechen. Da wird Respekt ersetzt durch analytische Kritik, wird eigene Erfahrung und eigenes Bedürfnis in das Verhältnis zur dargestellten Welt in den Stücken eingebracht, wird der Wert der Texte auf Brauchbarkeit für das Bewältigen eigener Lebenspraxis geprüft.» (12.22) Werner Hecht schrieb: «Schon vom Angebot der Mittel her bieten diese jungen Leute weitaus mehr an, als manche "gestandenen Schauspieler" an renommierten Theatern.» (12.23)

 

helena

„Die schöne Helena“ von Peter Hacks

 

Im bat-Studiotheater erarbeiteten Brigitte Soubeyrand und Waltraud Dießner mit Schauspiel- und mit Puppenspiel-Studenten «Die schöne Helena» von Peter Hacks. Es spielten u.a. Susanne Böwe, Thomas Stecher, Lutz Salzmann, Peter Mohrdieck, Gudrun Bär und Ursula Marr. Die Aufführung bezauberte durch die mit viel Phantasie von den Studenten selbst hergestellten Dekorationen, Kostüme und Puppen und durch das naiv-phantasievolle Spiel.

 

philoktet2

Sewan Latchinian und Christoph Hohmann (r.) in Heiner Müllers „Philoktet“

 

1985 brachten Peter Schroth und Peter Kleinert Heiner Müllers «Philoktet» mit den Studenten Christoph Hohmann (Philoktet), Sewan Latchinian (Odysseus) und Thomas Stecher (Neoptolemos) zur Aufführung. Ernst Schumacher urteilte enthusiastisch: «Wer "Entfesseltes Theater" im Sinne von Tairow als Er-Spielen, nicht nur Nach-Machen, Theater als Sinn-, nicht bloß als Abbild erleben will, der erlebt das in den... Aufführungen... durch Studenten des vierten Studienjah­res... Wie sich das Ganze entfaltet, ausgeführt, durchgehalten wird, ist hoch verfremdete Schauspielkunst: Mimik bis zur Grimasse deformiert, sprachliche Expressivität, die die Skala von Modulation und Intonation voll ausnützt, Zungenfertigkeit mit Handfertigkeit gepaart, sprachliche Metaphern körperlich genommen... vielleicht die bisher beste Studioaufführung der Hochschule für Schauspielkunst» (12.24)

 

philoktet1

Thomas Stecher in „Die schöne Helena“

 

Zu den Absolventen jener Jahre gehörten auch Esther Esche, Franziska Hayner, Christian Kuchenbuch, Katka Kurze, Roland Kurzweg, Jürgen Mai, Frank Matthus, Klaus Rätsch, Carl Martin Spengler, Katharine Stoyan, Susann Thiede und Mirko Zschocke.

 

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

12.11    Dieter Krebs, Zirkus mit Durchblicken, Berliner Zeitung 7.4.1983   Zurück zum Text

12.12  K.P. Gerhardt, Zirkus-Groteske mit politischem Hintersinn, Neue Zeit, Berlin 7.4.1983   Zurück zum Text

12.13   Günther Bellmann, Theater, wie wir es brauchen, BZ am Abend 5.4.1983   Zurück zum Text

12.14  Henryk Goldberg, Clownerie auf der Studiobühne, Neues Deutschland 8.4.1983   Zurück zum Text

12.15   Ohne unser Engagement käme nichts über die Bühne, Junge Welt, Berlin 30.3.1983   Zurück zum Text

12.16  Dieter Krebs, Der Irrweg eines Suchenden, Berliner Zeitung 9.10.1984   Zurück zum Text

12.17   Ursula Meves, Entlarvendes Bild einer Ausbeuterwelt, Neues Deutschland 7.6.1984   Zurück zum Text

12.18   Ernst Schumacher, Die unerlösten Frauen Lorcas, Berliner Zeitung 19.6.1984   Zurück zum Text

12.19  Günther Cwojdrak, Begegnung mit Bernarda Alba, Weltbühne, Berlin 26.6.1984   Zurück zum Text

12.20   Anne Braun, Tödliche Liebe, Wochenpost, Berlin 20.7.1984   Zurück zum Text

12.21  Helmut Ullrich, Hoffnungsvolle Talentprobe, Neue Zeit, Berlin 20.6.1984   Zurück zum Text

12.22 Gertrud Elisabeth Zillmer, Übung mit experimentellem Charakter, notate, Berlin 1985, Nr. 3   Zurück zum Text

12.23 Werner Hecht, Spaß am heutigen Umgang mit Brecht, notate, Berlin 1985, Nr. 3   Zurück zum Text

12.24 Ernst Schumacher, Schauspielkunst von drei Studenten, Berliner Zeitung 16.6.1985   Zurück zum Text

 

 

 

Weiter zu „Neue Talente dringen vor“