8. Der neue Darsteller
(1951-1962)
Alfred
Müller (l.), Absolvent 1955, und Otfried Knorr, Absolvent 1956,
in
„Seemannsliebe“ am Maxim Gorki Theater Berlin
8.1 Schule für
alle Theater
Solange eine Schule einem Theater angegliedert ist, sind
es die Interessen und vor allem die Spielästhetik dieser Bühne, die bedient
werden müssen. Das war auch an der Schauspielschule des Deutschen Theaters so
gewesen, obwohl Reinhardt stets betonte, dass er für alle
deutschen Theater ausbilde. Allein die vorrangige Beschäftigung von
Schauspielern des betreffenden Theaters prägt den Nachwuchs im Sinne des
Hausherrn. (8.1)
Als das DEFA-Nachwuchsstudio an die Schauspielausbildung
für Theater angeschlossen werden sollte, (8.2) entzündete
sich eine Debatte an der Frage, wie künftig für den Film auszubilden sei. Die
Absicht, Schauspieler für Theater und Film gemeinsam zu unterrichten, schien
abwegig. Die Gemüter beruhigten sich, als „Herr Kutschera fragte, worin der
Unterschied zwischen einem Schauspieler für Film und einem Schauspieler für
Theater besteht.“ (8.3) Niemand nämlich wußte den
Unterschied so recht zu definieren. Damit war das Problem vom Tisch.
Uwe-Detlef Jessen (r.) Absolvent
1954,
in einer
Szene mit Horst Weinheimer, Absolvent 1955
Aktuell blieb, sich bewusst zu machen, dass nicht mehr
speziell für ein bestimmtes Theater und den dortigen Hausherrn auszubilden war,
sondern für viele Bühnen im Lande, also für eine im Grunde abstrakte Größe,
nämlich für das noch in den Anfängen befindliche Theater einer
antifaschistisch-demokratischen Sozialordnung. Für dieses Theater wurde ein
neuer Darsteller gebraucht. Er konnte nicht einer sein, der etwa speziell
Langhoffs, Wistens, Vallentins oder Brechts theaterästhetische Konzeption
bediente (geschweige denn lediglich die Reinhardts) - er sollte im Grunde ihnen
allen genehm sein! Wie war das zu erreichen?
Diese mit der Reorganisation der Schauspielerausbildung
aufgekommene neue schauspielpädagogische Problematik ist damals nicht bewusst
gemacht worden. Klar war lediglich, dass sehr bald Lehrpläne ausgearbeitet
werden mussten, wobei der Unterschied zwischen Hoch- und Fachschulen in Kauf
genommen, aber immerhin angemerkt wurde. «Durch die augenblickliche Aufteilung
von Schauspielhochschulen und Schauspielfachschulen entsteht ein
Rangunterschied, der sich selbstverständlich auch einmal bemerkbar machen
wird...» (8.4)
Das Bild vom neuen Darsteller blieb abstrakt und in den
Lehrplänen vage umrissen. Interessanterweise wurde nicht versucht, sozusagen
aus Verlegenheit, einfach anerkannte Vorbilder wie Helene Weigel, Ernst Busch
oder Willy A. Kleinau als Beispiele zu beschreiben und Lehrern wie Schülern als
Orientierung zu geben. Dass dies nicht geschah, war richtig, denn das
kopierende Nachahmen großer Darsteller wäre nicht im Sinne aufgeklärter
Schauspielpädagogik gewesen.
Nächstliegend und logisch war, sich erst einmal auf die
immerhin schon vorhandenen Weimarer Erfahrungen zu stützen. (8.5)
Doch diese ließen sich nicht so ohne weiteres übernehmen. «Prof. Lang wies
darauf hin, dass dem Lehrplan der Schauspielabteilung des Deutschen
Theater-Instituts die Stanislawski-Methode zugrunde liegt. Eine Übernahme
dieses Lehrplanes auf die Fachschulen für Schauspielkunst ist schon aus diesem
Grunde nicht möglich, da hierfür keine geeigneten Lehrkräfte zur Verfügung
stehen...» (8.6)
Das Ziel wurde präzisiert im Grundsätzlichen. Es liest
sich in einer allgemeinen «Richtlinie für die Fachschulen» so: Die Aufgaben
sind, «vornehmlich aus den Reihen der Arbeiter und Bauern fortschrittliche,
demokratische und fachlich hochqualifizierte Fachkräfte zu entwickeln. Diese
Aufgaben sind nur zu erfüllen im ernsten Ringen um eine realistische
künstlerische Gestaltung und im entschiedenen Kampf gegen den Formalismus...» (8.7) Im Spezifischen aber blieb das Bild vom neuen Darsteller
verschwommen. Für die Schauspielschule hieß es lakonisch: «Ausbildungsziel:
Schauspieler bis zur Bühnenreife.» (8.8)
Angela
Brunner, Absolventin 1956
Kurt Radeke,
Absolvent 1954
Joachim
Zschocke, Absolvent 1954
Um die in Berlin und Leipzig an den Fachschulen für
Schauspielkunst tätigen Lehrkräfte zu qualifizieren, wurde vom 7. bis 19. Juli
1952 am Deutschen Theater-Institut in Weimar ein erster fachpädagogischer
Lehrgang durchgeführt, an dem alle Berliner Pädagogen teilnahmen. Selbst ein
«Nebenamtler» wie Steffie Spira war angereist. Für die Leipziger Schule
übrigens nahm unter anderen August Momber teil. Im Rahmen des Lehrgangs
bemühten sich die Pädagogen, ausgehend vom Studienplan aus dem Jahre 1951, um
einen «verbindlichen Stunden- und Lehrplan». (8.9)
Ergebnis war: «Während auf allen untergeordneten Gebieten der
Schauspielausbildung (wie Sprecherziehung, Bewegung, Musik etc.) eine Einigung
erzielt werden konnte, blieb die Frage der Schauspielausbildung noch
ungeklärt...» (8.10)
Die Aufgabe war in eben diesen Tagen noch anspruchsvoller
geworden. Vom 9. bis 12. Juli 1952 tagte in Berlin die 2. Parteikonferenz der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und beschloss den Aufbau der
Grundlagen des Sozialismus. (8.11) Die Teilnehmer in Weimar
begrüßten diesen Beschluss, (8.12) konnten mit ihren
Überlegungen aber natürlich noch nicht auf die sich daraus ergebenden
Anforderungen für die Ausbildung eingehen. Unter dem Einfluss von Hildegard
Hoppe-Klatt, Luise Kepich-Overbeck und Hildegard Buchwald-Wegeleben (8.13) forderten die in Weimar versammelten Pädagogen erstens
für die «Schulung der Atemgrundlage... vier Ausbildungswochen». Zweitens
sollten die «Übungen aus dem Lehrbuch von Luise Kepich-Overbeck... in allen
drei Lehranstalten als Material des Stimmbildungsunterrichtes» benutzt werden.
Eine «Bewertung der schauspielerischen Leistungen der Schüler durch Noten oder
Prädikate» wurde drittens als «nicht geeignet» angesehen, «die tatsächlichen
Ergebnisse der Arbeit in diesem Fach auszudrücken. Die Bewertung
erfolgt stattdessen durch Charakteristiken.» (8.14)
Beantragt wurden ferner eine vierjährige Ausbildung für alle Schulen,
hauptamtlich angestellte Musiklehrer und der Aufbau eines Kostümfundus. Auch
sollten Requisiten und Möbel angeschafft werden. (8.15)
Ein halbes Jahr später, auf der Besprechung der Zentralen
Lehrplankommission der Schauspielschulen am 20. Januar 1953, blieb das Ziel zwar
noch immer allgemein, wurde aber durch eine neue Vorgabe ergänzt: «Das Ziel der
Ausbildung an den Schauspielschulen ist die Heranbildung von Kadern für das
Theater des sozialistischen Realismus. Das setzt voraus die Beherrschung der
Methode Stanislawskis und schließt insbesondere ein die Beherrschung der
Methode der physischen Handlung.» (8.16)
Anmerkungen:
8.1
Die Schauspielschule des Deutschen Theaters wies 1950 folgende
freie Mitarbeiter aus: Gerda Müller, Ellis Heiden, Wolfgang Kühne, Franz Weber, Dr. Heinz Litten, Eleonore Manigk, Herbert ßaumann, Prof. Heinrich Kilger, Dr. Heinar Kipphardt — sämtlich vom Deutschen Theater. In: Lehrplan f.d.
Schuljahr 1950/51 v. 27.11.1950,
Archiv M.f.K., Sing. Nr. 996/2 Zurück zum Text
8.2
Protokoll v. 13.8.1951: «Es ist eine ganz neue
Situation entstanden, sonst wäre das DEFA-Studio nicht
aufgelöst worden...», Archiv M.f.K., Sign.
Nr. 996/2 Zurück
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8.3
Ebenda Zurück
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8.4
Erläuterung zu d. Studienplänen d.
Schauspielschulen Berlin u. Leipzig v. 17.8.1951, Archiv M.f.K., Sign. Nr. 996/2
Zurück zum Text
8.5
1949 war aus dem Deutschen Theater-Institut das «Junge Ensemble» hervorgegangen, das erfolgreich in der DDR gastierte (1952 bei
Gründung der künstlerische Kern des Maxim Gorki Theaters Berlin). Zurück zum Text
8.6
Protokoll d. HA Kunst über eine Besprechung am 12.5.1951, Archiv M.f.K., Sign. Nr. 996/2 Zurück zum Text
8.7
Richtlinien f.d. Fachschulen und Fachgrundschulen auf d. Gebiete d.
Musik, d. Darstellenden Kunst. v. 1.10.1951,
Archiv M.f.K., Sign. Nr. 986/12 Zurück zum
Text
8.9
Ergänzungsbericht zu d. Entschließung d.
Teilnehmer d. Fachpädagogen-Lehrgangs d. Schauspielschulen in Weimar v. 30.7.1952,
Archiv M.f.K., Sign. Nr. 986/12 Zurück zum Text
8.10
Ebenda Zurück
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8.11
Otto Buchwitz in tragischem Irrtum: «Wir haben es immer gewollt! Wir haben es ersehnt! Wir haben es in uns getragen wie einen
heiligen Schatz! Wir haben gekämpft! Wir haben gelitten und Opfer
gebracht, wie sie ein einzelner für diese
große, schönste und herrlichste Idee
nur bringen kann... Ich erlebte manche
Zeitenwende. Immer wieder mußten wir
mit Bitternis feststellen, daß die
Reaktion verstand, solchen Zeitenwenden
ihren Stempel... aufzudrücken.
Ich glaube, dieser
Zeitenwende, an der wir uns befinden... drücken wir den Stempel unseres Wollens auf» In: Otto Buchwitz, Brüder, in eins nun die Hände, Berlin 1956, S. 275/276 Zurück zum Text
8.12
Entschließung d. Teilnehmer d. Fachpädagogen-Lehrgangs
d. Schauspielschulen v. 7. - 19. Juli 1952 in Weimar, Archiv M.f.K., Sign. Nr. 986/12
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8.13
Vgl. Ergänzungsbericht zu d. Entschließung..., a.a.O.: «Nachstehend aufgeführte Dozenten haben durch ihre Arbeit und Diskussionsbeiträge
bewiesen, daß sie zu den besten Kräften unserer Schulen
gehören: Frau Hoppe-Klatt, Frau ßuchwald.» Zurück zum Text
8.14
Entschließung d. Teilnehmer d. Fachpädagogen-Lehrgangs...,
a.a.O. Zurück zum Text
8.15
Ebenda Zurück
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8.16
Besprechung d. Zentralen Lehrplankommission
d. Schauspielschulen am 20.1.1953, HS-Archiv, Bl. D 1 Zurück zum Text
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und Beine“