10. Organisieren von Bewährungen  (1975-1981)

 

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10. 8 «Schlampampe» in Thüringen

«Schlampampe» heißt eine Stücke-Sammlung von Christian Reuter. Danach nannte sich eine Spielgruppe des 2. Studienjahres, das am Berliner Ensemble erste Erfahrungen mit Publikum gesammelt hatte.

Die Studenten gaben dem Werkstatt-Gedanken einen neuen Inhalt. Sie bildeten in eigener Initiative — natürlich mit Hilfe der Schulleitung und besonderer Unterstützung des Direktors - ein Wandertheater, mit dem sie im Sommer 1981 durch thüringische Dörfer zwischen Mühlhausen und Eisenach zogen. Unterstützt vom Rat des Bezirkes Erfurt, von der FDJ und nicht zuletzt den Gemeindebürgermeistern zeigten die Studenten ein Spektakel in fünf Abteilungen nach der Art mittelalterlicher Wanderbühnen: Akrobatische Kunststücke, allerlei Lieder und als Hauptattraktion «Harlekins Hochzeitsschmaus», eine deftige Posse um den geplagten Harlekin, die geschwängerte Ursel, den verzweifelten Vater, die liebeshungrige Lisette und den geprellten Galan.

 

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Der «harte Kern» dieser Spielgruppe, Mathias Brenner, Nicole Haase, Michael Kind, Joachim Nimtz, Thomas Rühmann und Manuel Soubeyrand, hatte nicht nur die nötige Unternehmungslust, sondern auch die hartnäckige Ausdauer, zunächst in Berlin und dann von Berlin aus alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Sechs Wochen lang wurde probiert, meist zusätzlich zum laufenden Unterricht. Der junge Regisseur Klaus Stephan half, die Mittel urwüchsigen Volkstheaters auszuprobieren und einzusetzen.

Thüringen hatten sie sich als geeignet für ihre Route ausgeguckt, weil da mit Gewissheit manch Dorf sein würde, von wo man - wenn überhaupt - noch heute selten ins Theater fährt. Über die Tournee berichtete die Illustrierte «Für Dich»: «Sie waren sicher, ihr Publikum zu finden... Und doch blieb ein Rest Unsicherheit: Was, wenn ihr theatralischer Jux als altmodischer Klamauk abgetan würde? Als die erste Vorstellung lief, atmeten sie auf. Die Zuschauer kamen, guckten, lachten, klatschten... Vor allem auf den Dörfern hatte sich schnell herumgesprochen, daß Komödianten mit einem Theaterwagen kämen. Die Einwohner bestaunten schmunzelnd bis kopfschüttelnd den lärmenden Werbeumzug der Truppe. Auf Dorfanger und Festwiesen brachte man nicht selten Stühle und Bänke. Manche kamen noch in Arbeitskleidung, andere vor der Nachtschicht. Das Lachen auf der Straße, mit Nachbarn und Freunden, Kindern und Alten, ist ein ungeheures Vergnügen.

Saß man hinterher beim Bier zusammen, zollten die Gastgeber Anerkennung für das Können der Studenten, erzählten von ihrer Arbeit und ihren Festen; fragten ihrerseits nach Studium und Plänen für später. Einmal musizierte man bis in die frühen Morgenstunden gemeinsam in der Turnhalle, dem Nachtquartier der Gäste; ein andermal tafelten Dorfbewohner gegen Mitternacht bei sich zu Hause für die jungen Leute auf... Allerorten hörten die jungen Schauspieler: Von euch wird man bei uns noch lange sprechen. Die Akteure sagten: Wir von euch auch.» (10.38)

 

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Ein Jahr später, beflügelt von dem Erfolg, als Beitrag auch für die FDJ-Kulturkonferenz, ging die «Schlampampe»-Truppe in den Sommerferien erneut auf Tournee. Erika Roßner berichtete: «Im Neubaugebiet Forstberg der Stadt Mühlhausen... tut sich an diesem Hochsommernachmittag recht Ungewöhnliches... Die wenigsten der Vorübergehenden wissen etwas Genaues, auch nicht, als ein Band entrollt wird: «Schlampampe» steht darauf. Ein Kaspar-Kopf guckt von oben herab. Sollte das gar etwas Lustiges werden?... Das Spiel ist aus. Der Applaus dauert an. Lisette, Ursel, Cleander und Harlekin, die kein Eintrittsgeld nahmen, bitten um milde Gaben...

Viele Zuschauer sitzen noch auf der steinigen Kante der Blumenrabatten, können, wollen von hier noch nicht weg. Die Begegnung mit Theater kam so unverhofft, das Erlebnis machte einen froh, ja, fast bereit, auch einmal so spielerisch mit Wirklichkeit umzugehen — das muß man erst mal verdauen. Sind es Zauberer, die da alles wieder einpacken, in mühevoller Prozedur sich abschminken, wieder in Jeans und T-Shirts schlüpfen, als wäre nichts gewesen? Was war das? Wie geht das? Wer sind die?

Die Studenten, die eben die Harlekinade vorführten, wollen gerade gehen, da löst sich einer aus der Gruppe Jugendlicher, die zugeguckt haben, legt 20 Mark hin, sagt: "Kommt, wir hol'n 'nen Kasten Bier." Können richtige Komödianten solche Gelegenheit verstreichen lassen? Nicht wegen des Biers, das gibt es überall. Wegen der Leute, die neugierig sind, reden wollen... Wie bist du Schauspieler geworden, warum? Was hast du vorher gemacht? Und du? Find' ich gut, daß ihr so von euch aus und ohne Geld, nur weil's Spaß macht und nützlich ist.“ (10.39)

 

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Anmerkungen:

 

10.38  Ilona Rühmann, „Schlampampe“ oder Spektakel in Thüringen, in: Für Dich, Berlin, Nr. 35/1981   Zurück zum Text

10.39  Erika Roßner, Ein Abschied, der ein Aufbruch ist, Tribüne, Berlin 20.8.1982    Zurück zum Text

 

 

 

 

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