4. Alltag der Ausbildung
(1920 – 1933)
Szenen-Unterricht
4.6 Rollenstudium
überholt
In der Spielzeit 1927/28 waren in Deutschland neben der
Schauspielschule des Deutschen Theaters und der 1925 gegründeten Staatlichen
Schauspielschule zu Berlin noch folgende Theaterschulen mit der Ausbildung des
Nachwuchses befaßt: Die Hochschule für Bühnenkunst am Düsseldorfer
Schauspielhaus, gegründet 1904, unter der Leitung von Louise Dumont; die
Frankfurter Schauspielschule in Frankfurt a. Main, gegründet 1919, unter der
Leitung von Mathieu Pfeil und Hans Nerking; die Theaterakademie des Badischen
Landestheaters Karlsruhe, gegründet 1927; die Schauspielschule der Vereinigten
Stadttheater Köln, gegründet 1905, künstlerische Leitung Intendant Theo Modes;
die Städtische Schauspielschule Leipzig, gegründet 1921, Leitung
Schauspieldirektor Dr. Alois Kronacher. Die Ausbildung an diesen Schulen
erstreckte sich jeweils über zwei Jahre. Das Schulgeld war unterschiedlich hoch
und betrug im Durchschnitt pro Halbjahr 200 Mark. In Leipzig war der Unterricht
kostenlos.
Schmink-Unterricht
Auch an den nicht an ein Theater angeschlossenen
Privatschulen wurde in der Regel zwei Jahre ausgebildet. Für solche Schulen
wurde meist vielversprechend geworben. Ein Beispiel ist die von William Wauer
geleitete «Schauspielkunst-Schule des Vereins Theaterreform e.V.», in deren
Prospekt es ambitiös heißt: «Wenn man sich die heutigen
Schauspieler-Ausbildungsstätten näher betrachtet, kommt man aus der Verwunderung
nicht heraus. Es ist nicht zu glauben, mit wie wenig "Können" und mit
wie viel Unkenntnis und pädagogischer Talentlosigkeit die Mehrzahl dieser
Institute geleitet wird... Die Schüler können froh sein, wenn sie in den besten
Instituten dieser Art heute für ihr Geld etwas "sprechen" lernen, ein
wenig "dramatisches Fluidum" in sich aufnehmen und mit einem kleinen
schablonenhaften Repertoire ausgerüstet in ihre Laufbahn eintreten können.» (4.54)
Wauer bekannte sich zu einer Methode der
Schauspielkunst-Ausbildung und benannte zwei Hauptgebiete, nämlich das
«sprachliche» und das «körperliche». Dann meinte er: «Da es eine
Schauspielkunst-Schule mit der Ausbildung im "Können" zu tun hat, kann
sie die Aneignung sogenannter "Bildung" dem privaten Eifer ihrer
Schüler und Schülerinnen überlassen.» (4.55)
Schließlich polemisierte er gegen die «jetzt übliche Art des Rollenstudiums»
und schrieb: «Der Schüler wird durch solche Manöver nur geschädigt... So wird
nur erreicht, daß die jungen Schauspieler beim Eintritt in ihre Laufbahn von
sich sagen können: "Gelernt haben wir nichts, aber arrogant sind wir
geworden."» (4.56) Nach Auffassung Wauers durfte
das Rollenstudium nur den «Meisterschülern» gestattet werden. An seiner Schule
waren für einen Kursus 200 Mark zu zahlen, er wurde auf je vier Monate
berechnet.
Szenen-Unterricht
bei Berthold Held
Die «Schauspielschule Maria Moissi Berlin» warb mit
prominenten Lehrkräften: Alexander und Maria Moissi, Jacques Dalcroze, auch mit
Arthur Kahane und Felix Hollaender. Im Prospekt der Schule hieß es: «Die
Ausbildungsdauer beträgt zwei Jahre. Während dieser Zeit werden die Schüler in
sämtlichen schauspielerischen Disziplinen (Gebärde, Mimik, Bewegung, Sprache,
Ausdruck, Auffassung sowie in der Kunst der Rezitation) soweit ausgebildet, daß
sie das künstlerische Material voll beherrschen und bühnenreif aus der Schule
ins Engagement abgehen können. Gleichzeitig wird ihnen eine ausreichende
theoretische Kenntnis der künstlerischen Bedingungen des Theaters mitgegeben.“ (4.57) Das Schulgeld
betrug für ein Schuljahr 800 Mark.
Am «Ernestine-Münchheim-Studio Berlin», Leitung Lilly
Ackermann, arbeiteten als Lehrkräfte u.a. Hellmuth Bergemann, Hans Günther von
Klöden und Gerda Leschinski. In den Richtlinien der Schule hieß es: «In zwei
Jahreskursen von je 10 Monaten sollen die nach eingehender Prüfung
aufgenommenen Schüler mit allen leiblichen und seelischen Fähigkeiten des
deutschen dramatischen Darstellers vertraut werden.» (4.58)
Die Kurse des ersten Jahres dienten der allgemeinen Ausbildung der körperlichen
und stimmlichen Anlagen der Schüler. Im zweiten Jahr sollte der Schüler durch
Teilnahme an den Veranstaltungen des Studios mit den praktischen Forderungen
der Bühne bekannt werden. Zu zahlen waren im ersten Schuljahr 800, im zweiten 500
Mark.
Bewegungs-Übungen
Die «Deutsche Schauspiel- und Filmschule in München»,
künstlerische Leitung Otto Falckenberg, bereitete «durch umfassenden Unterricht
auf allen Gebieten der darstellenden Kunst für die Tätigkeit
auf der Bühne und im Film vor.» (5.59) Zu den
Lehrkräften gehörten Therese Giehse und Otto Wernicke. Die Lehrgebiete waren:
Körperbildung (Gymnastik, Bewegungskultur, Fechten, Tanzen, Reiten),
Atemtechnik Sprechtechnik, Stimmbildung, Rollenstudium, Ensemble-Unterricht,
Schminken, Kostüm-und Stilkunde, Theaterwissenschaftliche Vorlesungen,
Einführung in die rechtlichen und sozialen Grundlagen des Theaterbetriebes,
fremdsprachlicher Unterricht (Aussprache). Ausgebildet wurde in drei Semestern,
zu zahlen waren dafür 1190 Mark.
Die Polemik Wauers — «Gelernt haben wir nichts, aber
arrogant sind wir geworden» — war zweifelsohne überspitzt. An allen genannten
Schulen bemühten sich die Lehrkräfte nach besten Kräften um den Nachwuchs. Mit
Wauers Versuch, über seine Methode Rechenschaft zu geben, wird allerdings
deutlich daß nun — nach Jahrzehnten, in denen jeder Lehrer nach seinem
subjektiven Gutdünken unterrichtet hatte, — die Zeit heranreifte, die
Unterrichts-Methode zu verallgemeinern.
Stimm-Übungen
In die Diskussion geriet das sogenannte Rollenstudium. Das
war Brauch vor allem bei den Privatlehrern, die ihren Schülern einige
Standardrollen der Weltdramatik beibrachten und sie damit an die Bühnen
entließen. 1919 hatte sich Eulenberg gegen diese Praxis ausgesprochen. Er
schrieb: «Ich halte nichts oder höchstens sehr wenig von dem sogenannten
Rollenstudium, daß nämlich ein Jüngling sich den Franz Moor, den Othello,
Herodes oder Ulrik Brendel eintrichtert oder, noch schlimmer, eintrichtern und
vormachen läßt, und ebensowenig davon, wenn ein junges Mädchen es ebenso mit
Maria Stuart, der Judith, Nora und anderen Rollen hält. Einmal hat diese
Methode fast immer bei jungen Menschen die Gefahr, daß sie kopieren, entweder
den Regisseur, der ihnen vormacht, oder irgendeinen ausgewachsenen
Schauspieler, den sie in dieser Rolle gesehen und bewundert haben... Zum
anderen aber - und das ist beinahe noch gefährlicher! — ist das Rollenstudium
zwecklos, weil es unsinnig ist, mir als jungem Wesen, weichem Wachs, etwas
einzuprägen oder eindrücken zu lassen, das nach einem und erst recht nach
mehreren Jahren gar nicht mehr für mich und in mich paßt.» (4.60)
In der Tat war das Rollenstudium praktisch überholt,
seitdem nicht mehr primär nach «Fach» engagiert wurde. An der Schauspielschule
des Deutschen Theaters hatte die Arbeit an Szenen von vornherein gegenüber dem
Rollenstudium den Vorrang gehabt und den Schauspielunterricht bestimmt. Sobald
ein Arbeitsergebnis erreicht war, wurde vorgespielt. (4.61)
«Es kamen Szenenabende», erinnert sich O. E. Hasse, «an denen wir auf der Bühne
der Schule zeigen durften, was wir gelernt hatten, und zu denen Angehörige,
Freunde und Agenten kamen und auch Theaterdirektoren, denn wir waren ja eine...
prominente Schule.» (4.62) Zur Prominenz der Schule
trug eine Schauspielerin bei, die ihr von 1905 bis 1934 als Pädagogin treu war
— Gertrud Eysoldt.
Anmerkungen:
4.54 Prospekt der
Schauspielkunst-Schule des Vereins Theaterreform
e V., HS- Archiv, Bl. 51 Zurück zum Text
4.55 Ebenda
4.56 Ebenda Zurück zum Text
4.57 Prospekt der
Schauspielschule Maria Moissi Berlin, HS-Archiv, Bl. 60 Zurück zum
Text
4.58 Prospekt des Ernestine Münchheim Studios
Berlin, HS-Archiv, Bl. 71 Zurück zum Text
4.59
Prospekt der Deutschen Schauspiel- und Filmschule in München, HS-Archiv, Bl. 67 Zurück zum Text
4.60
Herbert Eulenberg, a.a.O., S. 43 Zurück zum Text
4.61
Vgl. Brief v. Berthold Held an Arthur Kahane v. 5.2.1926, HS-Archiv, Bl. 592: «Lieber Kahane! Wenn Sie auch sagen, daß Sie Ihre Abende zur Arbeit brauchen, so erscheint mir andererseits Ihre Anwesenheit am Szenen-Abend im Interesse des Deutschen Theaters, der Schule und der Schüler
ungemein wichtig. Ihr Votum für ein
eventuelles Engagement fällt doch sehr in die Waagschale.»
4.62 O. E. Hasse, a.a.O., S. 30 Zurück zum Text
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Pädagogin”
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