3. Im Sog des ersten Weltkrieges
(1914 – 1920)
Im
August 1919 war im Ergebnis der Novemberrevolution die Weimarer Verfassung angenommen worden. Sie
verankerte die republikanische Staatsform für Deutschland (Weimarer Republik von 1919 bis 1933) und sicherte die Existenz der Monopolkapitalisten und der Junker. Im März 1920 versuchte der Reaktionär Kapp mit einem Putsch eine Militärdiktatur zu errichten. Die Regierung
floh von Berlin nach Stuttgart. Aber
ein Generalstreik fegte Kapp hinweg. Die Monopolisten nutzten die politischen Wirren und forcierten die Inflation.
Max Reinhardts Bühnen-Etat (rund 800 000 Mark vor dem ersten Weltkrieg) stieg auf weit über drei
Millionen Mark. Im Großen Schauspielhaus ergab die erste
Spielzeit ein Defizit von ca. 43 000 Mark. (3.34) Die Stadt Berlin, ebenfalls in Inflationsnot,
belegte die Privattheater wie die
Vergnügungsetablissements und
Bierkneipen mit einer hohen Lustbarkeitssteuer.
Reinhardts Bühnen, insbesondere sein
Deutsches Theater, bis dahin immer noch künstlerisch repräsentativ, und zwar ohne fürstliche, staatliche oder
städtische Beihilfe, mußten sich der neuen Lage stellen. Reinhardt aber, nach dessen Auffassung ein Theater nur lebendig ist, wenn es sich selbst erhalten kann, wich vor der Herausforderung. «Reinhardt, so schien es mir», schreibt Bernhard Reich, «habe den Wettlauf mit der Zeit verloren und könne - schlimmer: wolle - nicht die Kurve nehmen.
Vielleicht hatte ich dem Reinhardt von 1920 gegenüber recht, aber bestimmt war
ich ungerecht gegenüber der gesamten Leistung Max
Reinhardts.» (3.35)
Am 1. Oktober 1920 legte der inzwischen
weltberühmte Regisseur die Direktion nieder. Verwalter des Theater-Unternehmens
und in Berlin blieb sein Bruder Edmund. Reinhardt ging nach Wien und kam
vorerst nur zu Regie-Gastspielen zurück. Gründe für seine Entscheidung legte er
dar in seiner Rede zur Übergabe der Direktion des Deutschen Theaters, der Kammerspiele
und des Großen Schauspielhauses an seinen langjährigen Regisseur Felix
Hollaender. Reinhardt sagte u.a.: «Die Erschütterungen, unter denen die ganze
Welt leidet, haben das Theater nicht unberührt gelassen. Alte Gesetze wurden
zerbrochen. Sie waren gewiß verwittert... Aber man
hat sie verworfen, ohne Kraft, neue lebendige Gesetze an ihre Stelle zu setzen.
So entsteht zwischen Umsturz und Aufbau eine verhängnisvolle Zeit der Anarchie
und Rechtsunsicherheit... Ohne Regeln gibt es auch kein Spiel. Durch alle Risse
des schwankenden Gebäudes dringt der Film mit seinen materiellen Lockungen und
verführt selbst die besten Elemente... Zuletzt besinnt sich die Stadt, daß sie, im Gegensatz zu allen anderen Städten, noch nichts
für ihre Theater getan hat (die ihrerseits nicht ohne Bedeutung für die Stadt
waren), packt sie an der Gurgel, wirft sie in einen Topf mit Bierwirtschaften,
nimmt ihnen einfach ein Drittel der täglichen Gesamteinnahme weg... Diese und
andere Dinge sind in ihrem Ernst wohl angetan, die unerläßliche Freude an der Arbeit zu dämpfen.» (3.36) Gegen die resignativen Feststellungen setzte er die
Überzeugung, sein Haus wohl bestellt zu haben, und den Glauben, mit seinen drei
Theatern «den zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Dichtung und der Schauspielkunst Raum bereitet zu
haben.» (3.37) Für seine Schauspielschule indessen fand
er kein Wort.
Anmerkungen:
3.34
Vergl. Heinrich Huesmann,
a.a.O., S. 34 Zurück
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3.35 Bernhard Reich, a.a.O., S. 118 Zurück zum Text
3.36 Max Reinhardt, Schriften, a.a.O., S. 116 Zurück zum Text
3.37 Ebenda, S. 117
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