9. Die Herausforderung Brecht (1962
– 1975)
9.2 Rudolf Penka –
Pädagoge aus Leidenschaft
«Bereits am Deutschen Theaterinstitut in Weimar Anfang
der fünfziger Jahre war bemerkt worden», resümiert Rudolf Penka, «daß ich recht
gut beobachten und durch Mitteilung des Gesehenen anderen helfen kann. Man
nannte dies ein "drittes Talent" neben Spielen und Regieführen -
nämlich Pädagoge zu sein. Etwas davon mag sich allein schon dadurch hergestellt
haben, daß ich als ziemlich "alter Mann" von Ende Zwanzig in Weimar
studierte und arbeitete... Im Prozeß der künstlerischen Ausbildung suchten wir
nach Wahrheit - Wahrheit der Empfindung, Wahrheit der Bühne, gesellschaftliche
Wahrheit. Da trifft sich ja Stanislawski mit Brecht. Gebraucht wurde eine
Wahrheit, welche die Menschen - uns wie später die Zuschauer
- zu verändern helfen sollte.» (9.8)
Noch entschied sich Penka, als er 1953 sein
Schauspielstudium in Weimar beendete, nicht unmittelbar für die
Schauspielpädagogik. Er ging als Schauspieler nach Erfurt. Der damals
Dreißigjährige blickte bereits auf einen Lebensweg zurück, der den angehenden
Künstler entscheidend geprägt hatte.
Der am 29. März 1923 in Moravská Trebová Geborene war der
Sohn eines Arbeiters. Sein Vater war Mitbegründer der KPC. Rudolf Penka trat
mit 15 Jahren in den Kommunistischen Jugendverband ein und gehörte seit der
Okkupation der Tschechoslowakei durch faschistische Truppen der
antifaschistischen Widerstandsgruppe «Leto» als Kurier an. Im Frühjahr 1942
wurde er zur deutschen Wehrmacht eingezogen, Ende des gleichen Jahres
verhaftet. Das Kriegsgericht Liegnitz verurteilte ihn 1943 zu zwei Jahren Haft
und teilte ihn einer Strafkompanie zu. Im Mai 1945 wurde er von den sowjetischen
Truppen befreit, arbeitete als Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager und
kam 1946 nach Reichenbach im Vogtland. Der junge Kommunist besuchte 1946/47 die
Vorstudienanstalt für das Hochschulstudium in Plauen und nahm 1947 ein Studium
der Germanistik, Philosophie und Geschichte an der Universität in Leipzig auf.
Dort wurde er Mitglied der Studentenbühne. Und dort fiel die Entscheidung für
die Schauspielkunst, durchaus aus emotionellem Engagement, aber auch im
Bewusstsein, welch anspruchsvollem Beruf er sich da zuwandte. Der gereifte
Pädagoge wird später sagen: «Von allen Künsten ist die Kunst des Schauspielers
zweifelsohne die schwerste und komplizierteste, denn der Schauspieler ist
Schöpfer und Material zugleich. In jeder anderen Kunst stehen Material und
Instrument außerhalb der schöpferischen Persönlichkeit, und als Vollendung des
gesamten schöpferischen Prozesses steht das Kunstwerk selbst. Nur im
Schauspieler vereinen sich schöpferische Persönlichkeit, Material,
Instrument und Kunstwerk und sind nicht voneinander zu trennen.» " (9.9)
Rudolf Penka hatte kaum zwei Jahre Theaterpraxis hinter
sich gebracht, da wurde er wegen seiner pädagogischen Fähigkeiten nach Leipzig
an die Theaterhochschule geholt. Dort arbeitete er von 1955 bis 1959 als Dozent
und Abteilungsleiter für Schauspiel und spielte am Theater der Jungen Welt.
Eine Spielzeit, 1959/60, ging er als Schauspieler und Regisseur an das Deutsche
Nationaltheater Weimar. Aber auch dort war sein pädagogisches Talent gefragt. Er
leitete ein Studio, in dem begabte Laiendarsteller, meist Arbeiter, die für
eine schulische Ausbildung bereits zu alt waren, zur Bühnenreife herangebildet
wurden. 1960 erreichte ihn die Berufung zum Stellv. Direktor der
Schauspielschule Berlin mit Wirkung vom 15. Oktober.
Rudolf Penka
im Unterricht
Als Rudolf Penka schließlich ab 1. Februar 1962 die
Direktion der Schule übernahm, hatte er — nachdem er in Leipzig beim Überwinden
eines dogmatischen Umgehens mit Stanislawski geholfen hatte - auf seinem
persönlichen Programm den Vorsatz, die Synthese der zwei Großen des Theaters,
Stanislawski und Brecht, zu suchen. Das war ein kühnes Vorhaben. Penka hat es
nie durch theoretische Erörterungen vorweggenommen oder vorzeitiger Kritik
ausgesetzt. Er hat still und zurückhaltend, aber konsequent und stetig
ausprobiert. Sein Laboratorium war das schauspielerische Grundlagenseminar,
Etüden-Seminar genannt, eine Zeitlang auch Stanislawski-Seminar. Im Ergebnis
seiner Arbeit wird es Improvisations-Seminar heißen.
Anläßlich seines 60. Geburtstages sagte Penka: «Was ich
persönlich für unsere Methode geleistet habe, ist die Profilierung des
Grundlagenseminars im ersten Studienhalbjahr. Da geht es mir zunächst wenig um
Training der Gefühle — wer zum Theater will, hat sowieso einen Überschuß daran
—, sondern um erste Schulung der Mittel für genauen Ausdruck. Dieses Seminar
ist für mich der Grundpfeiler in unserer Ausbildung. Wie kaum in einem anderen
Fach kann hier Erziehung, Bildung und Ausbildung einer jungen künstlerischen
Persönlichkeit in ihrer ganzen Komplexität ertastet und geformt werden. In den
sechziger Jahren habe ich dieses Seminar entwickelt und leite es in jedem neuen
Studienjahr wieder, und von Jahr zu Jahr kommen neue Entdeckungen und neue
Erkenntnisse dazu.» (9.10)
Zunächst freilich und überhaupt konnte sich der neue
Leiter nicht ausschließlich auf die Grundausbildung der Schauspieler
konzentrieren. Auch die Geschäfte des Direktors verlangten den engagierten
Pädagogen. Gerade ein halbes Jahr im Amt, erreichte ihn Ende September ein
Brief aus dem Ministerium für Kultur, in dem die seit 1951 geübte Praxis der
Schauspielerausbildung in Frage gestellt wurde. Es hieß da: «Unter dem
Gesichtspunkt, daß es uns um die Entwicklung interessanter
Künstlerpersönlichkeiten zu tun ist, wird die Frage der schulischen, der
Studio- oder individuellen Ausbildung zu prüfen sein. Welche Meinung haben Sie
hierzu?“ (9.11)
Rudolf Penka antwortete resolut: «Ich halte es für
außerordentlich bedenklich, wenn das Ziel, sozialistische Künstler auszubilden,
ersetzt wird durch das Ziel, interessante Künstlerpersönlichkeiten zu
entwickeln.» (9.12) Er sprach sich nicht gegen
interessante Künstlerpersönlichkeiten aus, vermerkte aber, daß letztlich erst
die Theaterpraxis Antwort geben kann. Dann bekannte er sich nachhaltig zur
schulischen Ausbildung. «Eine der ersten kulturpolitischen Maßnahmen unseres
Arbeiter-und-Bauern-Staates war die Auflösung der vielen zersplitterten
Institutionen, an denen Schauspieler ausgebildet wurden. Diese Maßnahme hat
sich als sehr fruchtbar erwiesen. Es gibt gar keinen Grund zu begreifen, daß
man sie heute revidieren müsse.» (9.13)
„Sozialistische“ Schauspielerpersönlichkeiten
auszubilden, war eine neue, bisher nicht gestellte, geschweige denn gelöste
Aufgabe. Zwangsläufig kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Im Zusammenhang
mit Diskussionen um das umstrittene Schauspiel «Die Sorgen und die Macht» von
Peter Hacks, in denen sich 1963 Lehrkräfte und Studenten zur Inszenierung
Wolfgang Langhoffs am Deutschen Theater bekannten, geriet die Schule sogar in
die Kritik. Vorgeschlagen wurde daraufhin die Stärkung der Schulleitung, eine
Verbesserung des Ästhetikunterrichts, eine Verstärkung des Lehrkörpers mit
hauptamtlichen Kräften und die Reduzierung des Einsatzes der Studenten an den Theatern (Beschränkung auf Volksbühne und Maxim Gorki
Theater). (9.14)
Hauptamtliche Lehrkräfte
Hildegard
Pürzel (l.), Sprecherziehung; Dr. Gerhard Piens, Theaterwissenschaft; Heinz
Hellmich (r.) Schauspiel
Der Lehrkörper bestand damals aus 18 hauptamtlich tätigen
Kolleginnen und Kollegen, darunter Iva Besson, Gisela Borges, Prof. Margrit
Glaser, Heinz Hellmich, Carla Hoffmann, Annemarie Müller, Doris Thalmer
(Schauspiel), Dr. Gerhard Piens (Theaterwissenschaft), Wilfried Markert,
Hildegard Pürzel (Sprecherziehung), Hildegard Buchwald-Wegeleben (Bewegung),
Christof Walther (Fechten). Zu den rund zwanzig nebenamtlichen Kräften zählten
Lothar Bellag, Uwe-Detlev Jessen, Gerd Keil, Wolfram Krempel, Gisela May, Erika
Pelikowsky, Helfried Schöbel, Hans-Georg Simmgen, Brigitte Soubeyrand, Friedo
Solter, Steffie Spira, Emil Stöhr und Kurt Veth.
Nebenamtliche Lehrkräfte für Schauspiel
Friedo Solter (l.), Brigitte Soubeyrand, Wolfram Krempel
(r.)
Erika Pelikowsky, Kurt Veth
Rudolf Penka suchte Antwort auf aufgekommene
theaterästhetische Fragen weniger in theoretischen Erörterungen, vielmehr in
der qualitativen Verbesserung von Ausbildung und Erziehung, wissend, daß Veränderungen
nicht sofort ablesbar sein würden.
Anmerkungen:
9.8
Rudolf Penka - Versuch eines Arbeitsporträts,
Berlin 1983, S. 12 Zurück
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9.9
Rudolf Penka, Übergang zum Autorentext, in: Schauspielen, hrsg. v. G. Ebert u. R. Penka, Berlin 1981,5. 127 Zurück zum Text
9.10
Rudolf Penka - Versuch..., a.a.O., S.
13 Zurück zum
Text
9.11
HS-Archiv, Bl. A 346 Zurück zum Text
9.12
HS-Archiv, Bl. A 348 Zurück zum Text
9.13
HS-Archiv, Bl. A 449 Zurück zum Text
9.14
Archiv M.f.K, o.Sign. Zurück zum Text
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