5. In dunkler Zeit (1933 – 1945)

 

 

 

 

 

5.1 Sie wollen mich nicht mehr leiden hier

 

Am 30. Januar 1933 berief Reichspräsident von Hindenburg eine faschistische Regierung mit Hitler als Reichskanzler. Ein Appell der KPD an die SPD und an die Gewerkschaften, mit einem Generalstreik zu antworten, verhallte. Die Faschisten errichteten ihr Regime in Deutschland. Sie beseitigten alle demokratischen Rechte und Freiheiten, lösten die Organisationen der Arbeiterklasse auf und verfolgten Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und andere aufrechte Deutsche mit grausamem Terror.

Schon nach zwei Monaten waren die Auswirkungen auch an der Schule augenscheinlich. Unter dem Datum vom 30. März 1933 findet sich im Absolventenbuch folgende Eintragung von Hans Kaufmann: «Zwei Jahre habe ich auf der Schauspielschule des Deutschen Theaters verbracht. Jahre tiefen Erkennens und Sichbildens. Nun muß ich fort. Sie wollen mich nicht mehr leiden hier. Sie wollen Deutschlands Sprache aus meinem Munde nicht hören. Ach ich hoffe den Tag nicht allzu fern, da sie mich wieder empfangen, die Tür öffnen — nicht nur dem Wehrhaft-Starken, sondern auch dem Allmenschlich-Gütigen, denn dies scheint mir wahrhaft ewig mit deutscher Sprache verbunden(5.1) Die Möglichkeit zu solcher Eintragung und ihrer Bewahrung mag Gertrud Borck, (5.2) die Sekretärin, gegeben haben.

Kaufmann mußte also - obwohl er kurz vor Abschluß seines Studiums stand - die Schule verlassen. Geradezu solidarisch stehen unter seiner Eintragung Unterschriften von Absolventen des Jahrganges 1933: Ursula Bohnstedt, Erika-Margot Biebach, Valerie Flesch, Ebby Merkert, Heinz Schönfeld, Erika Heinz und Kira Berg. Mit «Nu jrade...!» unterschrieb Eberhard Cronshagen. Lediglich Ursula von Reibnitz distanzierte sich, indem sie zu ihrer Unterschrift «Heil und Sieg» fügte.

Die Eintragung Hans Kaufmanns liest sich wie ein vorweggenommener Kommentar zu einem Brief, den Max Reinhardt im Juni 1933 aus England an die nationalsozialistische Regierung Deutschlands richtete. Darin bekannte er sich zum Deutschen Theater als der führenden Bühne Deutschlands und fuhr fort: «... Deutschland wünscht jedoch Angehörige der jüdischen Rasse, zu der ich mich selbstverständlich uneingeschränkt bekenne, in keiner einflußreichen Stellung. Ich könnte aber auch, selbst wenn diese geduldet werden würde, in solcher Duldung niemals die Atmosphäre finden, die meiner Arbeit notwendig ist... Deshalb bleibt mir, als bisheriger Eigentümer des Deutschen Theaters, der Kammerspiele und als Anteilhaber des Großen Schauspielhauses, nur die eine Möglichkeit, die Übernahme meines Lebenswerkes Deutschland anzutragen... Der Entschluß, mich endgültig vom Deutschen Theater zu lösen, fällt mir natürlich nicht leicht. Ich verliere mit diesem Besitz nicht nur die Frucht einer siebenunddreißigjährigen Tätigkeit, ich verliere vielmehr den Boden, den ich ein Leben lang bebaut habe und in dem ich selbst gewachsen bin. Ich verliere meine Heimat...» (5.3)

Die von Reinhardt eingesetzten Direktoren des Deutschen Theaters, Dr. Rudolf Beer und Karlheinz Martin, wurden von den Faschisten abgelöst und an ihrer Stelle Carl Ludwig Achaz eingesetzt. Runge blieb im Amt und in Kontakt mit Reinhardt. Im September 1933 erhielt er aus Wien ein Schreiben vom inzwischen am Theater in der Josefstadt wirkenden Heinz Adamec, in dem die Verdienste von Gertrud Eysoldt nachdrücklich gewürdigt wurden und in dem es hieß: «Herr Professor Reinhardt bittet Sie nunmehr, doch den Wünschen von Frau Eysoldt entgegenzukommen und ihr eine gehobene Stellung in der Schule einzuräumen...» (5.4) Runge antwortete reserviert, Frau Eysoldt erhalte mit 200 Mark ein Honorar, das weit höher sei als das anderer Lehrkräfte. Wörtlich: «Ich habe am 7. und am 10. d.M. eingehende Besprechungen mit der Dame über alle Schulfragen und die Methodik des Unterrichts gehabt, wobei es zu keinerlei Meinungsverschiedenheiten kam... Ich glaube also, daß nach dieser Richtung hin Herr Professor Reinhardt keinerlei Bedenken zu hegen braucht und bitte Sie, sehr geehrter Herr Direktor, den Abschluß unseres Mietvertrages nicht länger verzögern zu wollen.» (5.5)

Nach Programmzetteln der Szenenabende zu urteilen, arbeitete Gertrud Eysoldt im April 1934 ein letztes Mal für die Schauspielschule. Sie studierte «Sappho» von Grillparzer (5. Akt) ein und den Schluß der 5. Szene der «Reifeprüfung» von Max Dreyer. (5.6)

In Sachen Mietvertrag wandte sich Runge schließlich an Dr. von Brandenstein, der Reinhardt in dieser Frage offenbar in Berlin vertrat. Runge schrieb von der «Ungunst der allgemeinen wirtschaftlichen Lage», so daß Anmeldungen von neuen Schülern fast ganz ausgeblieben seien. «Unter diesen leidigen Umständen sehe ich mich zu meinem größten Bedauern außerstande, die Schule in bisheriger Form weiterzuführen. Ich kündige hiermit den unter dem 2. Januar 1934 geschlossenen Mietvertrag zum 31. Juli 1934.» (5.7) Allerdings erbat er sich - «in der Annahme, daß auch Professor Reinhardt nichts gegen die Erfüllung meiner Bitte einzuwenden hat» — ein Optionsrecht bis 25. August für den Fall, daß sich im letzten Augenblick eine genügende Anzahl von Bewerbern einfindet.

Runge erhielt Antwort von der Grundstücksverwaltung des Deutschen Theaters, vertreten durch Helmuth Krause: «Von Herrn Dr. Brandenstein erhielt ich auf meine Mahnungen wegen der Pachtangelegenheit den Bescheid, daß Herr Professor Reinhardt von sich aus nichts mehr unternehmen will. Am 28. September wird das Deutsche Theater zwangsversteigert, so daß von diesem Zeitpunkt ab Max Reinhardt auch nicht mehr formeller Besitzer ist.» (5.8) Inzwischen hatte Heinz Hilpert (5.9) die Direktion des Deutschen Theaters übernommen, worauf sich Krause berief: «Mit der Direktion Hilpert habe ich auch schon gesprochen, größere Schwierigkeiten sehe ich nicht mehr, nur ist es nicht mehr möglich, daß die Schauspielschule das Foyer der Kammerspiele benutzt.» (5.10)

Runge machte daraufhin seine Forderungen an das Deutsche Theater bzw. an Prof. Reinhardt geltend: 298,09 Mark. (5.11) Sein neuer Partner war die Deutsche National-Theater Aktiengesellschaft. Sie kam auf folgendem Wege zustande: «Um den Zugriff zu den Reinhardt-Bühnen legal zu verbrämen», forderte «die nationalsozialistische Exekutive 1933 die Lustbarkeitssteuer für den Zeitraum der rechtswirksam bestehenden Gemeinnützigkeit rückwirkend ein» und konstruierte «damit Steuerschulden in Millionenhöhe. Zu einem Spottpreis von 150 000,- Mark» erwarb «die Deutsche Nationaltheater AG... im Oktober 1934 die Reinhardtschen Grundstücke in der Schumannstraße.» (5.12) Mit Datum vom 29. November 1934 erhielt Woldemar Runge von der Deutschen National-Theater AG seinen Pachtvertrag. Er leitete nun die «Schauspielschule im Deutschen Theater» und war wirtschaftlich selbständig. Der Kontakt insbesondere zu Heinz Hilpert gestaltete sich günstig, wenngleich belastet von der politischen Entwicklung.

Die Sekretärin Hilperts an Runge: «Herr Direktor Hilpert dankt Ihnen herzlichst für die Freundlichkeit, ihm Herrn Adolph Spalinger für «Die heilige Johanna» zur Verfügung gestellt zu haben... Wir haben die uns von Ihnen gegebene Versicherung zur Kenntnis genommen, daß Herr Spalinger arischer Abkunft im Sinne des Gesetzes ist.» (5.13) Wenige Tage später Hilpert an Runge: «Bitte schicken Sie diesmal die Schauspielschüler nicht in die Generalprobe der «Heiligen Johanna», die Probe ist nämlich völlig geschlossen. Die Herrschaften können aber von der zweiten Vorstellung an, soweit Plätze vorhanden, in meinem Büro um Freikarten einreichen.» (5.14)

 

 

 

Anmerkungen:

 

5.1.   HS-Archiv, Absolventenbuch    Zurück zum Text

5.2   Gertrud Borck, der Sekretärin der Schule, ist es offenbar zu danken, daß Archiv-Material erhalten blieb. Sie genoß bei den Schülern der verschiedenen Jahrzehnte großes Ansehen, war selbst an der Schule ausgebildet, konnte aber wegen einer Erkrankung den Beruf nicht ausüben (vgl. dazu Gespräche mit Irma Münch, Ingeborg Olbricht und Regine Toelg-Lange, HS-Archiv). Ihre Liebe zum Theater verband sie mit der Schule. Sie hatte den Abschied nicht verdient, den ihr Otto Dierichs 1951 gab.

5.3   Max Reinhardt, Schriften, a.a.O., S. 223    Zurück zum Text

5.4   HS-Archiv, Bl. 346

5.5   HS-Archiv, Bl. 344/345; Runge mußte stets sehr haushalten, weshalb die Qualität der Unterrichte nachließ. Im Februar 1933 richtete er ein Rundschreiben (HS-Archiv, Bl. 703) an die B-Klasse, in dem er sich wegen Disziplinlosigkeit beklagt. Die B-Klasse bedauerte in ihrer Antwort vom 27. Februar 1933 den «Interessenrückgang», kritisierte zugleich Unterrichte, z.B. Fechten, und schloß mit dem Satz: «Wir glauben, daß die Ursache des immer mehr anwachsenden Mißstandes darin zu suchen ist, daß die Lehrer zu den Schülern keinen Kontakt haben finden können.» (HS-Archiv, Bl. 704) Diesen Brief an die Schulleitung unterschrieb auch noch Hans Kaufmann.    Zurück zum Text

5.6         HS-Archiv, Bl. 179

5.7         HS-Archiv, Bl. 338/339

5.8         HS-Archiv, Bl. 330

5.9         Heinz Hilpert (1890-1967), 1950-1966 Intendant des Deutschen Theaters Göttingen, 1958 Inszenierung der «Drei Schwestern» von Tschechow am Deutschen Theater Berlin. Hilpert am 19. April 1934 an Ministerialrat Otto Laubinger: «Sie haben mich zu sich gebeten und gefragt, ob ich Lust hätte, das Deutsche Theater zu übernehmen. Ich habe Ihnen mit freudiger Bereitschaft darauf "ja" gesagt...» (Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Promi, Akte-Nr. 296, Bl. 59, 59r). Alfred Mühr: «Reinhardts Erbe in Berlin und Wien trat Heinz Hilpert an. Er ergänzte den übernommenen, von ihm pfleglich behandelten Stamm des historischen Ensembles und mied es, die Theater, ihre künstlerische Position und seine innerlich emigrierte Einstellung von den schwarzen Fittichen des 1933er Regimes zudecken zu lassen. Bis zuletzt blieb Hilpert der Hüter der Reinhardtschen Tradition.» (Alfred Mühr, Großes Theater, Berlin 1950,5.253)   Zurück zum Text

5.10   HS-Archiv, Bl. 330

5.11   HS-Archiv, Bl. 329

5.12    Heinrich Huesmann, a.a.O., S. 70

5.13   HS-Archiv, Bl. 326

5.14   HS-Archiv, Bl. 325    Zurück zum Text

 

 

 

 

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