12. Ringen um das Profil  (1981 – 1985)

 

 

 

 

 

12.1  Das erfahrene Kollegium

 

Die Umbildung zur Hochschule war zunächst nicht viel mehr als ein Verwaltungsakt. Festgäste verlassen das Haus. Der Leitung, den Lehrkräften und allen Mitarbeitern blieb die Aufgabe, den Beschluss gemeinsam mit den Studenten mit Leben zu erfüllen. Prof. Hans-Peter Minetti, der Rektor, konnte sich zunächst einmal auf eine relativ erfahrene Leitung stützen. Der 1. Prorektor, Prof. Dr. Gerhard Ebert, war seit 1963 stellvertretender Direktor gewesen. Der 2. Prorektor, Dr. Peter Jung, seit 1977 an der Schule, hatte Leitungserfahrungen mitgebracht. Und der 3. Prorektor, Dr. Wilfried Markert, war seit 1978 der 2. stellvertretende Direktor gewesen. Von erheblicher Bedeutung war zudem, dass Brigitte Jechow, seit 1953 an der Schule beschäftigt, seit 1956 Verwaltungsleiterin, nunmehr Direktorin für Ökonomie und Planung, das Finanzgebaren dieser Ausbildungsstätte selbständig und äußerst zuverlässig gewährleistete.

 

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Heinz Hellmich

 

Aber Ausbildung und Erziehung «vor Ort» sind vor allem von den Schauspielpädagogen zu leisten. Zum Leiter des Bereiches Schauspiel wurde Heinz Hellmich berufen. Er hatte von 1976 bis 1979 als Direktor der Schauspielschule Rostock Erfahrungen gesammelt und 1979 die Leitung der Abt. Schauspiel übernommen. Der Mitherausgeber und Herausgeber der Schriften Stanislawskis im Henschel-Verlag ist als Schauspieler (1950/52 am Jungen Ensemble Weimar, 1952/58 am Maxim Gorki Theater Berlin und 1958/62 am Hans-Otto-Theater Potsdam) und als Pädagoge (seit 1962 an der Schauspielschule Berlin, seit 1983 Professor) ganz wesentlich beteiligt an der schauspielmethodischen Selbstverständigung im Kreise der Lehrkräfte. Sein profundes schauspielpädagogisches Wissen und Können setzte er 1983 als Gastdozent an der Kunsthochschule Havanna und 1985 an der Theaterhochschule Neu-Delhi erfolgreich ein. Seine zurückhaltende und doch prinzipienfeste Art, Ausbildung und Erziehung jedes einzelnen Studenten geradezu personengebunden zu fördern, trug maßgeblich dazu bei, im Ringen um das Profil der jungen Hochschule sachlich richtige Entscheidungen zu treffen.

 

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Rudolf Penka

 

Bis Juni 1985 wirkte an Hellmichs Seite Prof. Rudolf Penka, der - inzwischen emeritiert — seine hochgeschätzten Erfahrungen nunmehr als Lehrbeauftragter einbrachte. Im Ausland  -  vor allem in Skandinavien, wo er an Schulen u.a. in Stockholm, Kopenhagen und Helsinki seit 1969 pädagogisch tätig war  -  wird klarer als hierzulande von der «Penka-Methode» gesprochen. Niklas Brunius schreibt über ihn: «Penkas Improvisations-Seminar mit den Schülern wurde für uns alle eine Offenbarung einer antimetaphysischen Arbeitsweise... Die Klarheit in der Arbeit ließ die Schüler bald erkennen, daß man in Ruhe eine Rolle aufbauen kann. Eine Theaterprobe muß nicht ein Wirrwarr sein, weil der Regisseur unmethodisch ist... Es ist 15 Jahre her, daß Penka in Skandinavien zur Sprache kam. Ich bin bereit zu behaupten, daß unser gesamtes Theaterleben sich von Grund auf verändert hat durch seinen epochemachenden Einsatz.» (12.1)

 

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Ottofritz Gaillard

 

Prof. Dr. Ottofritz Gaillard, der «Nestor» der Schauspielpädagogik der DDR, 1985 siebzig Jahre alt geworden, war mit bewunderungswürdiger Frische noch immer streitbar zur Stelle, wenn es um Kriterien für ein humanistisches Menschenbild auf der Bühne ging. Dabei focht er für eine realistische Spielweise, die aus genauer Analyse der Vorgänge entsteht. Er begnügte sich nicht damit, einfach heutige Verhaltensweisen in überkommene Stücke hineinzuinterpretieren, so wichtig es ist, heutiges Realitätsbewusstsein in die Figuren einzubringen. In einem Diskussionsbeitrag zu drei Szenen aus «Maß für Maß» von Shakespeare, die an der Schule gearbeitet worden waren, sagte Gaillard: «Ihr habt schauspielerisch sehr gut vertreten, was gewollt war. Die Frage ist, ob nicht zu wenig gewollt war. Meiner Meinung nach war das Stück auf das Niveau einer derben Sexualkomödie reduziert worden. Und das ist "Maß für Maß" gewiß nicht, so sehr der antipuritanische Charakter und die Bejahung der Sexualität zum Thema dieser Komödie gehören. Angelo und Isabella waren, wie ich fand, in ihrem menschlichen Format verkleinert worden. Dadurch waren die Schauspieler verhindert, die wahren Dimensionen der Figuren und der von ihnen durchzukämpfenden Konflikte zu spielen... Shakespeares Figuren haben Größe und Abgründe, die ebenfalls groß sind. Sie haben Kraft und Leidenschaft... Ich behaupte, daß Isabella und Angelo zu den großen Figuren gehören, daß in ihnen ungeheure Spannungen und Widersprüche bestehen, daß ihr Dichter sie schwierige Wege zur Humanisierung führt.» Und er fragte: «Habt ihr das gespielt, habt ihr das angesteuert?» (12.2) So regte Ottofritz Gaillard vor allem junge Pädagogen und natürlich auch die Studenten immer wieder an, ihre Arbeit zu überdenken, sich nicht zu schnell zufrieden zu geben und - in Verarmung der Schauspielkunst — lediglich heutige Lebenskategorien in alte Stücke zu verpflanzen. Ottofritz Gaillard hatte von 1934 bis 1939 in Berlin und Rostock Theaterwissenschaft, Germanistik, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert und gleichzeitig eine Schauspiel- und Regieausbildung genommen, 1947 war er Mitbegründer des Deutschen Theaterinstituts Weimar-Belvedere und später Leiter der Schauspielabteilung der Theaterhochschule Leipzig. Ab 1956 arbeitete er als Regisseur am Staatstheater Dresden, am Maxim Gorki Theater Berlin und an der Volksbühne, 1969 kam er als Dozent an die Schauspielschule Berlin.

 

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Gertrud Elisabeth Zillmer

 

Ebenfalls von prägender Kraft war das Wirken von Gertrud Elisabeth Zillmer, seit 1984 Professor. Sie ist Schauspielerin, besuchte die Schule Lilly Ackermann, war nach 1945 engagiert u.a. am Berliner Ensemble und gehörte dem Kollegium seit 1965 an. Über drei Jahrzehnte war sie als Regisseurin an Theatern wirksam, in den letzten Jahren vorwiegend am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Die hohe Wertschätzung ihrer Arbeit drückte sich aus in Einladungen an Theater und Schulen in Schweden, Finnland und Japan. An der Berliner Schule hat sie in zahlreichen (hier an anderer Stelle benannten) Studioinszenierungen die für die Ausbildung entscheidende Phase betreut, in der der Übergang vom Szenenstudium zur Ensemblearbeit und zum Bewältigen einer ganzen Rolle für die Studenten neue Probleme aufwirft.

Gertrud Elisabeth Zillmer ist eine äußerst präzise Arbeiterin. Sie führt jeden Studenten zu Konzentration, Einsatzfreude und schöpferischer Disziplin als Voraussetzung für sozial und historisch konkretes, gestisch genaues Schauspielen. «Am Ende sollte sein Spiel», schreibt sie, «ein Mittel sein, Wesentliches über den Menschen und über die Welt auszusagen und sich dadurch selbst zu realisieren. Zwischen diesen beiden Punkten liegt die Ausbildung.» (12.3)

 

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Veronika Drogi

 

So weit kurze Porträts der verdientesten Schauspielpädagogen. Aber sie haben die Qualität der Ausbildung nicht allein bestimmt. Vor allem Veronika Drogi ist zu nennen, 1959 Absolventin, seit 1965 an der Schule (inzwischen Professor). Sie entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer profilierten Schauspiellehrerin, auch zu einer Spezialistin für psychische Probleme der Studenten, da sie in ehrenamtlicher Tätigkeit als Soziotherapeutin im Fachkrankenhaus Herzberge wichtige Erfahrungen sammeln konnte.

Dann ist Helfried Schöbel zu nennen, seit 1975 an der Schule. Er war einer der ersten Studenten — mit Hans-Peter Minetti und Rudolf Penka - von Weimar-Belvedere, arbeitete schon in den fünfziger Jahren an der Schule, brachte als Regisseur acht Stücke von DDR-Autoren an Theatern zur Uraufführung. Unter seiner Regie debütierte Renate Blume in Dresden. Seine reiche Stückkenntnis ist für die Ausbildung sehr wertvoll.

Schließlich muss Hans-Georg Simmgen genannt werden, seit 1978 an der Schule. Er steht in der Nachfolge Brechts, war von 1958-1968 am Berliner Ensemble engagiert, inszenierte dort und in Dresden, auch im Ausland.

Ein weiterer erfahrener und erfolgreicher Regisseur kam 1983 zur Schule und widmete sich seither mit mobilisierendem Temperament der Ausbildung des Nachwuchses: Hans-Diether Meves, seit 1986 Professor, Mitregisseur der nun schon legendären «Unterwegs»-lnszenierung von 1964 am Deutschen Theater Berlin mit Christine Schorn und Dieter Mann.

Zum Kollegium der Schauspielpädagogen gehören zudem Christa Pasemann (seit 1978), Wolfgang Rodler (seit 1981, inzwischen Professor) und Michael Keller (seit 1981, inzwischen Professor).

 

 

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Helfried Schöbel                         Hans-Georg Simmgen               Hans-Diether Meves                     Wilfried Markert                         Hubert Scholz

 

 

Ein Pädagoge, der sich um die sprecherzieherische Ausbildung verdient gemacht hat, ist Dr. Wilfried Markert, seit 1951 an der Schule, seit 1985 Professor. Ab 1965 baute er das Lehrgebiet Diktion auf und konzipierte und betreute zahlreiche literarisch-musikalische Programme, mit denen im In-und Ausland gastiert wurde.

Die Tradition des «gestischen Sprechens», um einen mittlerweile auch international anerkannten Fachterminus zu verwenden, wurde wesentlich von den Sprecherziehern Hubert Scholz, Klaus Klawitter (inzwischen Professor) und Herbert Minnich (inzwischen Professor) entwickelt.

Einer der die «Schule» mitbestimmenden Pädagogen war auch Christof Walther, seit 1959 Lehrer für Bühnenfechten. Zwar extern, aber der Schule eng verbunden, wirkt seit 1964 Horst Beeck als Lehrer für Bühnenakrobatik (seit 1993 Professor). (12.4)

 

 

 

Anmerkungen:

 

12.1  Niklas Brunius, Forord til den norske utgaven, Vorwort der norwegischen Ausgabe von «Schauspielen...», Oslo 1985, S. 8   Zurück zum Text

12.2  Ottofrifz Gaillard, Diskussionsbeitrag, HS-Archiv, Bl. A 373   Zurück zum Text

12.3  Gertrud Elisabeth Zillmer, Auswahl der Szenen, in: Schauspielen..., a.a.O., S. 154   Zurück zum Text

12.4  Lehrkräfte im Studienjahr 1985/86: Barbara Bismark, Gabriele Chitealà, Margot Drewes, Sprecherz.; Veronika Drogi, Schausp.; Prof. Dr. Gerhard Ebert, Theatertheorie; Prof. Dr. Ottofritz Gaillard, Prof. Heinz Hellmich, Schausp.; Prof. Dr. sc. Peter Jung, Gesellschaftswissenschaft; Michael Keller, Schausp.; Joachim Keller, Musik; Klaus Klawitter, Sprecherz.; Ute Kobrow, Bewegung/Tanz; Dieter Köppe, Ästhetik; Bernd Kunstmann, Sprecherz., Dr. Barbara Liro, Gesellschaftswissenschaft; Prof. Dr. Wilfried Markert, Diktion; Prof. Hans-Diether Meves, Schausp.; Karl Mickel, Prof. Hans-Peter Minetti, Diktion; Herbert Minnich, Renate Minnich, Sprecherz.; Gerhard Miersch, Musik; Vera Naumann, Bewegung; Dr. Gisela Oechelhaeuser, Kabarett; Christa Pasemann, Wolfgang Rodler, Schausp.; Dr. Viola Schmidt, Sprecherz.; Helfried Schöbel, Schausp; Hubert Scholz, Sprecherz.; Hans-Georg Simmgen, Schausp.; Christof Walther, Bühnenfechten; Ulrike Winkler, Jürgen Wollweber, Sprecherz.; Hendrik Wunsch, Gesellschaftswissenschaft; Prof. Gertrud Elisabeth Zillmer, Schausp.   Zurück zum Text

 

 

 

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