12. Ringen um das Profil (1981 – 1985)
12.2 Hildegard Buchwald – die getreue Pädagogin
Die 1917 geborene Hildegard
Buchwald-Wegeleben arbeitete seit 1946, seit Wiedereröffnung der
Schauspielschule des Deutschen Theaters, bis 1983 als festangestellte Lehrerin
und Dozentin für die Bewegung des Schauspielers. Die hohe Anerkennung, die sie
bei allen Absolventen der Schule genoss, erwarb sie sich durch ihr beharrliches
Bemühen um eine körperliche Ausbildung, die dem angehenden Schauspieler gemäß
ist. Dieser Unterricht hatte durchaus nicht von vornherein die Spezifik, die er
durch ihr Wirken erhielt.
An der Reinhardt-Schule — zwar noch umstritten — war
immerhin bereits versucht worden, tänzerisch-gymnastische Übungen zu absolvieren,
die speziell der schauspielerischen Ausbildung dienten. Aber es entwickelten
sich doch zumeist Praktiken — vor allem in den dreißiger Jahren -, die formale
Bewegungsabläufe als Trainingsprogramm vorsahen und zu wenig, meist gar nicht
auf schauspielerisch differenzierte Prozesse eingingen. Hildegard Buchwald, die
in der Klamt-Schule und bei der Tänzerin Mary Wigman gelernt hatte, beschreibt
einen solchen formalen Unterricht: «Da schwangen die Leute mit irgendwelchen
Trommeln und Keulen und Bällen herum, das war ein Hin und Her,
und keiner wußte, warum.» (12.5)
Vor allem durch ihre Begegnung mit Wolfgang Heinz und
Rudolf Penka wurde Hildegard Buchwald angeregt, ihre Unterrichtstätigkeit immer
wieder zu überdenken. 1985 sagte sie rückblickend über ihre Arbeit: «Vier
Jahrzehnte Bewegungsstudium mit Schauspielstudenten und mit bereits
"gestandenen" Schauspielern waren auch für mich eine Zeit des
Lernens, der Verteidigung gegen modische Trends, aber auch des Dazulernens. Die
Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Prozessen und den sich vielseitig
verändernden theatralischen Formen und Mitteln für die stückspezifischen Stil-
und Spielarten stellte an die körperliche Ausbildung der Schauspielstudenten in
den letzten 15 Jahren immer höhere Ansprüche. Akrobatische, pantomimische,
Step- oder Musicalelemente werden stärker als früher am Sprechtheater von den
Regisseuren einbezogen und von den Schauspielern als zur Verfügung stehende
körperliche Mittel erwartet. Und das ist auch gut so, solange sich diese Mittel
nicht verselbständigen und als angeschaffte Technik außerhalb der
schauspielerischen Handlung nur die Mühen des Erlernens statt dramaturgische
Absichten vermitteln. Der Umgang mit diesen Fertigkeiten kann aber nur
überzeugen, wenn sie als schauspielerische Aktion aus dem Zentrum der
individuellen Schauspielerpersönlichkeit als selbstverständliches Mittel
spielerisch benutzt werden.
Das setzt voraus, daß im Bewegungsunterricht die
Herauslockung und Stabilisierung der kreativen Fähigkeiten des Körpers einen
breiten Raum einnehmen müssen. Unabhängig von dem Weg, über den der Körper
seine Erfahrungen macht, sollten sich seine Fähigkeiten zu
improvisationsfähigen Bausteinen im gestimmten "Instrument" Körper
entwickeln. Der Körper ist ein Produktionsinstrument, aber die künstlerischen
Produktionskräfte liegen nicht in seinem Muskelapparat. Über die
Sensibilisierung der Körpersprache sollte auch über die geistig-seelische
Befindlichkeit der Figur Auskunft gegeben werden können, — kleine nervige
Bewegungen, die nicht choreographiert werden, sondern aus dem Spielzentrum des
Schauspielers individuelle Differenzierungen transportieren. Das ist nur
möglich, wenn die Erfahrungen eines Schauspielstudenten nicht an
"Übungen" gebunden bleiben, die zwar gekonnt, aber auf der Bühne in
dieser Form nicht anwendbar sind. Meine Erfahrungen haben ergeben, daß nicht
das "Was" (Lehrstoff eines Bewegungsunterrichts) entscheidend ist—
obwohl er so vielseitig und anspruchsvoll wie möglich sein sollte. Allein das
"Wie" bei der Vermittlung des Übungsstoffes ist entscheidend, wie
weit der Schauspieler zu einer Selbständigkeit gelangt, in der ihm im
schöpferischen Prozess des Abwägens zwischen Inhalt und Form
sein Körper nicht mehr im Wege steht.» (12.6)
Anmerkungen:
12.5
Garderobengespräch mit H. Buchwald-W., Theater der Zeit, Berlin
1977, Heft 9, S. 19 Zurück
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12.6
Brief v. H. Buchwald-W. an G. Ebert v.
11.1.1986, Archiv G. Ebert Zurück zum Text
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