5. In dunkler Zeit (1933 – 1945)
5.3 Wilhelm Koch-Hooge und Herbert Köfer in
doppelter Prüfung
Jetzt
mußte sich ein Bewerber zwei Prüfungskommissionen stellen. Die Verfahrensweise
ging auf die Zeit der Wirtschaftskrise zurück, als gefordert worden war,
strengste Maßstäbe anzulegen, um das Heer der stellungslosen Schauspieler nicht
zu vergrößern. Die nunmehr erste Prüfung erfolgte bei der Reichstheaterkammer. (5.20) Dort war die arische Abstammung des Bewerbers Voraussetzung
für die Zulassung zur Prüfung. Die Kommission stellte die Eignung für den Beruf
fest, und mit dem Papier, das sie ausfertigte, konnte sich der Interessent bei
einer Schauspielschule bewerben.
An der Staatlichen Schauspielschule von Gründgens durfte nur
aufgenommen werden, wer «die erforderliche Größe hatte, die nun einmal ein
Schauspieler des Deutschen Reiches haben mußte». Gabriele Hartmann, nach 1945
Schauspielerin und Sprecherin, die sich 1937 dort beworben und die Prüfung
bestanden hatte, wurde geschrieben, sie sei «nicht blond und blauäugig»,
jedenfalls ihrem «Äußeren entsprechend gar nicht geeignet für eine
Staatsbühne». Immerhin wurde ihr geraten, sich an der Schauspielschule des
Deutschen Theaters zu bewerben, dort sei man «in dieser Hinsicht nicht
so streng». (5.21)
Wilhelm Koch-Hooge mit Inge Keller in „Viel Lärm um
nichts“
Wilhelm Koch-Hooge, von 1936 bis 1938 Schüler der Schule,
nach 1945 Schauspieler am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater, erzählt:
«Früher war es so, jedenfalls für mich, um Schauspieler zu werden, war eine
Eignungsprüfung notwendig, und die wurde vor der Reichstheaterkammer abgelegt.
Wer da bei der Prüfung dabei war, die Herren oder eine Dame auch, weiß ich
nicht. Wir waren eine ganz beträchtliche Anzahl von Prüflingen da, und es sind
nur wenige — von zwanzig, glaub ich, so vier — durchgekommen. So unter anderen
auch ich. Und dann bewarb man sich bei einer Schauspielschule zur Aufnahme. Und
da gab's in Berlin die Staatliche Schauspielschule unter Gründgens, dann gab es
eine Ackermann-Schule und die Schauspielschule des Deutschen Theaters... Ich
habe mich beworben - am Deutschen Theater, weil mir die Vorstellungen da gut
gefielen und die Leute, Heinz Hilpert, die Art des Theaters... Man meldete sich
an und bekam dann die Einladung zur Prüfung... Da war Woldemar Runge und eine
Sekretärin, Borck hieß die wohl, da wurde ich dahin gebeten, ging hin und
sprach vor, u.a. auch den Valentin.
Es war sehr komisch, ich hab' beinahe rezitiert, im
Stehen bin ich noch gestorben. Ohne zu unterbrechen schloß ich: "Ich gehe
durch den Todesschlaf zu Gott ein als Soldat und brav. Hinlegen kann ich mich
nicht, ich hab' meinen besten Anzug an!" Ich hatte tatsächlich nur einen
Anzug, ich war Vollwaise damals schon.
Ich konnte nur zur Schule, wenn ich
Stipendium bekam. Ich hätte das Geld nicht gehabt, ich glaube, 80 bis 120 Mark
kostete der Monat. Ich hab' sie anscheinend sehr überzeugt, ich bekam
Stipendium, aber mit der Auflage, es nachher zurückzuzahlen.» (5.22)
Herbert
Köfer in „Wolf unter Wölfen“
Herbert
Köfer, Schüler der Schule von 1938 bis 1940, nach 1945 Schauspieler beim
Fernsehen der DDR, erinnert sich: «Man mußte erst einmal eine Eignungsprüfung
machen in der Reichstheaterkammer. Da mußte man sich bewerben, das war eine
staatliche Stelle... Da stand dann drauf, so ein vorgedrucktes Papier: Die Eignung ist gegeben. Mit diesem Papier konnte man zur
Schauspielschule gehen. Und da hat man nach einem Gespräch mit dem Hugo
Werner-Kahle dort vorsprechen können. Ich bin sofort genommen worden,
allerdings nur mit der Auflage, daß ich meine Ohren anlegen muß. Die waren
abstehend. Da hat er mir einen Arzt gesagt, bei dem das operiert wird. Aber ich
habe das nie machen lassen. Ich habe dann so einen Trick angewandt, hab' mir
mit Mastix immer die Ohren angeklebt... Also: Begabt, aber Ohren anlegen!» (5.23)
Anmerkungen:
5.20 In die Reichstheaterkammer
war neben anderen Organisationen auch die
Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (später
Fachschaft Bühne) integriert worden. Sie gehörte
zum Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
des Dr. Josef Goebbels. Ihr Präsident war 1933 Otto Laubinger, der «die
Wiedergeburt des deutschen Gemüts» pries und konstatierte: «Um die Gefahr kommunistischer
Geistesanarchie, die in den marxistisch
geleiteten Theatern immer drohender
ihr Haupt erhob, zum Wohl des
deutschen Volkes und zum Wohl der Welt
für immer zu bannen, mußten die staatlichen Stellen auch die geistige Betreuung der Bühnen übernehmen... So sind wir drauf
und dran, die Theatermüdigkeit zu brechen,
deren Vorhandensein in den letzten Jahren unverkennbar war und die bis zu einem gewissen Grade auch im Augenblick noch besteht. Aber nur deshalb, weil das Publikum in den letzten Jahrzehnten um das deutsche Erlebnis betrogen worden ist, welch letzteres wir ihm wiederzuschenken im Begriff stehen.»
(Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1934, S. 57f)
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5.21 Gespräch m. Gabriele Hartmann v. 8.1.1986, Archiv G. Ebert, Tonb.-Aufz. Zurück zum Text
5.22 Gespräch m.
Wilhelm Koch-Hooge v. 9.7.1985, HS-Archiv, Tonb.-Aufz.
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5.23 Gespräch m. Herbert Käfer v. 18.4.1985,
HS-Archiv, Tonb.-Aufz. Zurück zum Text
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