4. Alltag der Ausbildung (1920 –
1933)
4.5
Berthold Held fürchtet
Konkurrenz
Schon 1918 hatte Berthold Held in
einem streitbaren Briefwechsel mit einem
ambitioniert, aber offenbar dilettantisch arbeitenden Leiter einer Privatschule keine Bereitschaft gezeigt, der Konkurrenz aucn nur einen Schritt entgegenzukommen.
Die Versuche Otto Glaesers (4.37), Anerkennung zu finden, waren vergebens. «Das ist einer der
Piraten», urteilte Held,
«die es verstehen, durch großtönende Worte und ausgedehnte Reklame von sich reden zu machen und gegen die man leider nicht einschreitet.»
(4.38) Otto Glaeser war später immerhin mehrere
Jahre Intendant der «Kunstbühne der Gesellschaft für Volksbildung». In der
Spielzeit 1926/27 hatte er Ernst Busch engagiert.
Immer wieder ertönte der Ruf nach staatlicher Ausbildung.
Er richtete sich gegen die oft verantwortungslose Praxis von Privatlehrern, vor
allem aber gegen den Umstand, daß der Staat bislang für den Schauspieler
offiziell noch immer keine Berufsausbildung vorsah. Herbert Eulenberg
argumentierte: «Ich meine, der Staat müßte mehrere Theaterhochschulen...
gründen, ebenso wie er Universitäten, Kunstakademien und technische Hochschulen
angelegt hat. Denn schließlich darf wohl auch ein Schauspieler,
wirtschaftlich... übrigens ein weniger als Dienstboten und Bergarbeiter
geschütztes Individuum, in Deutschland verlangen, daß er so vortrefflich wie
möglich auf seinen Beruf vorbereitet wird...» (4.39)
Auf einem Hochschulkurs für dramatische Kunst im Juni
1922 an der Universität zu Jena wurde geäußert, was die «Scene», die Blätter
für Bühnenkunst, so kommentierten: «Tatsache ist..., daß gerade aus den Kreisen
der Bühnenkünstler selbst immer lauter das Verlangen ertönt, auch ihrer Kunst
eine "Hochschule" zu errichten, um dem ausübenden Künstler die
Ausbildung, die er sich bisher nur nach eigenem Ermessen oder in vereinzelten
Teilen in zumeist anderen Aufgaben dienenden Fächern suchen mußte, zweckmäßig und methodisch zu gewähren...» (4.40)
Offensichtlich in der Absicht, die überhandnehmende
Ausbildung durch Privatlehrer einzuschränken, und auf Drängen des Deutschen
Bühnenvereins wie der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger wurde 1925
staatlicherseits die Gründung einer Schauspielschule geplant. Als ihr Leiter
vorgesehen war Leopold Jeßner. Von der tatsächlichen Realisierung des Vorhabens
erfuhr Berthold Held in Bad Elster, von wo er an den Präsidenten der
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, Gustav Rickelt, schrieb, um noch
im letzten Moment eine Änderung zu erreichen.
Zunächst gab er seiner Sorge Ausdruck, «daß eine neue
Schule, insbesondere eine mit der Autorität des Staates ausgestattete und unter
der Leitung des Intendanten des Staatstheaters eine so starke Anziehungskraft
ausüben wird, daß die anderen Lehranstalten keine
Existenzmöglichkeit mehr haben werden.» (4.41)
Dann machte er den Vorschlag, «eine Genossenschaftsschule durch Verbindung mit der
Schauspielschule des Deutschen Theaters zu gründen... Würden Sie, verehrter
Herr Rickelt, dies durchsetzen können, so daß am Kopfe unsere Schule stehen
könnte: subventioniert von der Genossenschaft und dem Verbande Berliner
Bühnenleiter, dann bekommt die Schule auch einen offiziellen Charakter, und das
ist im Augenblick das Wichtigste.» (4.42) Held fand
keine Gegenliebe, aber Trost. In Absprache mit Rickelt antwortete ihm der
zweite Präsident der Genossenschaft, Carl Wallauer: «Die Genossenschaft wünscht
nicht, daß durch die Errichtung der staatlichen Schauspielschule die
Schauspielschule des Deutschen Theaters eingehen soll.» (4.43)
Die beabsichtigte Gründung einer staatlichen
Schauspielschule hatte in der Presse eine heftige Debatte über die
Privatschulen ausgelöst, die ihrerseits eine gemeinsame Gegenkundgebung
beabsichtigten. Held allerdings hielt sich zurück, er antwortete Wallauer: «An
der von anderen Theaterschulen geplanten gemeinsamen Kundgebung mich zu
beteiligen habe ich schon vor Empfang Ihres Briefes abgelehnt, dennoch aber
bitte ich, zunächst meine Subvention betreffende Anregung zurückzuziehen und
dem Verwaltungsrate nicht zu unterbreiten. In meinem an Herrn Rickelt
gerichteten Briefe war mehr an eine moralische als materielle Subvention
gedacht... Sie schreiben, daß die Genossenschaft nicht wünscht, daß unsere
Schule eingehe, ich bin aber der Ansicht, wenn eine Schule durch die Konkurrenz
der neuen Schule getroffen wird, wird es nur die unsere
sein...» (4.44)
Held hatte nicht ganz unrecht, auch was die Lehrkräfte
betraf. Vorerst aber schrieb ihm Lothar Müthel: «Über die staatliche Schule von
"Professor" Jeßner kann man wohl vorläufig nur Vermutungen haben...
Man muß halt abwarten. Sie hat zunächst für sich den Reiz des Neuen und etwas
Sensationellen. Ihre Schule dagegen wird immer wieder größte Achtung und
Ehrfurcht vor 25 Jahren erfolgreichster Arbeit einflößen. Die Konkurrenz, die
sich im Laufe der Jahre beide Institute sicherlich machen werden, halte ich für
ungeheuer fruchtbar.» (4.45) Wenige Jahre später
wechselte Müthel zeitweilig zu Jeßner über, weil er, wie Held gegenüber
Reinhardt konstatierte, von dort «ein sehr hohes Angebot» (4.46) hatte.
Mit Datum vom 1. Oktober 1925 wurde laut Verfügung des
preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die Staatliche
Schauspielschule zu Berlin errichtet und der Staatlichen akademischen
Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg angegliedert. Die
Marie-Seebach-Schule des Staatlichen Schauspielhauses stellte ihre Tätigkeit
ein. Leiter der neuen Schule war Intendant Prof. Leopold Jeßner, (4.47) sein Stellvertreter Prof. Carl Ebert, ebenfalls
vom Staatstheater, früher Absolvent der Reinhardt-Schule. Die Ausbildung
dauerte zwei Jahre, unterrichtet wurde in den Fächern Sprechlehre, Sprachliche
Stillehre, Fremdsprachen, Körperliche Ausbildung, Gehörbildung, Rollenstudium,
Ensemblestudium, auch wurden theaterwissenschaftliche Vorlesungen gehalten. Die
Unterrichtsgebühr betrug pro Halbjahr 100 Mark und konnte in Ausnahmefällen
erlassen werden.
Die Anziehungskraft dieser neuen Schule führte wenige
Tage nach ihrer Gründung zu einem Eklat an der Reinhardt-Schule. Der
Sprechlehrer Koetsier-Müller provozierte den Bruch. «Die sehr unerquickliche
Szene», reagierte Held, «die sich gestern in der Schauspielschule abgespielt
hat, indem Sie es für gut fanden, in Gegenwart der Schüler beleidigende
Äußerungen gegen mich zu tun, dürfte ein weiteres ersprießliches
Zusammenarbeiten wohl nicht mehr möglich machen. Ich sehe auch jetzt ein, daß
eine Verbindung Ihrer Lehrtätigkeit an der Staatlichen Hochschule und an der
Schauspielschule des Deutschen Theaters sich nicht wird vereinigen lassen und
bin daher der Meinung, daß wir qut daran tun, unsere Beziehungen
zu lösen.» (4.48)
In einem anderen Fall suchte Held den Ausgleich, um nicht
noch weitere Lehrer zu verlieren. An Ernst Gronau, Schauspieler am Deutschen
Theater, schrieb er: «So kleine Differenzen in künstlerischen Ansichten dürfen
doch nicht zur Einstellung der Tätigkeit führen, gibt es denn überhaupt zwei
unter uns, die in künstlerischen Dingen dieselben Anschauungen haben? Gottlob
nicht!» (4.49)
Berthold Held im Unterricht
Hinsichtlich einer Subvention für seine Schule ließ Held
nicht locker. Selbst mit Jeßners Hilfe hoffte er, eine staatliche Unterstützung
zu erhalten. Er schrieb ihm: «Ich habe in meinem Gesuche bereits darauf
hingewiesen, daß an allen Bühnen Berlins ehemalige Schüler unserer Anstalt in
ersten Stellungen tätig sind... Vielleicht kann auch darauf hingewiesen werden,
daß durch die Konkurrenz der staatlichen Schule, die einzig als Konkurrenz für
uns in Frage kommt, mit ihren großen Mitteln, wir gezwungen sind, verdoppelte Anstrengungen zu machen, um das Niveau zu
erhalten.» (4.50) Held meinte, die Stadt Berlin nehme
selbst bei schlechtem Geschäftsgang so enorme Summen an Vergnügungssteuer ein,
«daß ein Betrag von etwa M 10 000,- von dieser Summe abgezweigt, gar nicht
fühlbar wäre und für uns bedeutend in Betracht käme.» (4.51)
Auch gegenüber der Genossenschaft Deutscher
Bühnen-Angehöriger blieb Held hartnäckig. Gegenüber dem Präsidium beklagte er
sich im April 1926, nicht - wie versprochen - zu einer Sitzung des
Verwaltungsrates hinzugezogen worden zu sein. Er bezog sich auf die von beiden
Präsidenten abgegebenen Erklärungen, daß die Schule erhalten werden solle, und
argumentierte: «Nach den von Herrn Ebert in der Delegierten-Versammlung
gemachten Mitteilungen unterscheidet sich ja unsere Schule in nichts als der
höheren Honorarforderung von der Organisation der Staatsschule. Es wird sich also
darum handeln müssen, durch Anschaffung von Mitteln auch uns die Herabsetzung
des Schulgeldes zu ermöglichen.» (4.52) Aber die
materielle Unterstützung der Schule blieb schwach.
1928 resümierte Held gegenüber Max Reinhardt: «Ich habe
zwar nach vieljährigen Bemühungen vor zwei Jahren eine städtische Subvention
bekommen, sie aber trotz der schmeichelhaftesten Anerkennung von mehreren
Stadtverordneten, die den Schulaufführungen beiwohnten, schon wieder verloren,
wobei die Differenzen zwischen Magistrat und dem Deutschen Theater sicherlich
eine Rolle spielten. Auch der Bühnenverein hat eine Subvention abgelehnt.
Allein die Genossenschaft gibt ehrenhalber einen kleinen Zuschuß. Leider habe
ich keine Beziehungen zu Mäzenen, die ja nur Interesse zeigen, wenn sie Dich
persönlich beteiligt wissen, mögen wir auch noch so Gutes und
Schönes leisten.» (4.53)
Der Magistrat von Berlin war in Sachen
Gemeinnützigkeitsregelung für das Deutsche Theater dem Ministerium für
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung unterlegen und ließ nun den Groll an der
Schule aus. Um deren Ansehen zu erhöhen, berief Held ein Kuratorium, zu dem
schließlich gehörten: Reichskunstwart Dr. E. Redslob, Stadtsyndikus Lange als
Vertreter der Deputation für Kunst und Bildungswesen, Präsident Gustav Rickelt,
Prof. Dr. Max Dessoir, Prof. Dr. Max Herrmann, Harry Graf Keßler und Prof. Max
Reinhardt.
Anmerkungen:
4.37 Vgl. Briefwechsel
zwischen Berthold Held und Otto Glaeser, HS-Archiv, Bl. 37-47
4.38 Brief v.
Berthold Held an Maximilian Sladek v.
1.4.1920, HS-Archiv, Bl. 661 Zurück
zum Text
4.39 Herbert Eulenberg, Die Notwendigkeit staatlicher Theaterschulen (Ein Traum), in: Mein Leben für die Bühne, Berlin 1919, S. 38/39 Zurück zum Text
4.40 Die Scene,
Blätter für Bühnenkunst, 12. Jhrg., Juni 1922,
Heft 6, S. 91 Zurück
zum Text
4.41 Brief v. Berthold Held an Gustav Rickelt v. 7.7.1925, HS-Archiv, Bl. 674 Zurück zum Text
4.42 Ebenda
Zurück zum Text
4.43 Brief v. Carl Wallauer an Berthold Held v. 15.7.1925, HS-Archiv, Bl. 676 Zurück zum Text
4.44 Brief v. Berthold Held an Carl Wallauer v. 18.7.1925, HS-Archiv, Bl. 678 Zurück zum Text
4.45 Brief v. Lothar Müthel an Berthold Held v.
19.7.1925, HS-Archiv, Bl. 679
4.46 Brief v. Berthold Held an Max Reinhardt v. 18.4.1928, HS-Archiv,
Bl. 555 Zurück
zum Text
4.47 Vgl. Anmerkung 4.8 Zurück zum Text
4.48 Brief v. Berthold Held an
Jan Koetsier-Müller v. 7.10.1925, HS-Archiv, Bl. 680
Zurück zum Text
4.49 Brief v. Berthold Held an Ernst Gronau v. 10.10.1925, HS-Archiv, Bl. 681 Zurück
zum Text
4.50 Brief v. Berthold Held an Leopold Jeßner v. 17.9.1925, HS-Archiv, Bl. 682 Zurück zum Text
4.51 Ebenda
Zurück zum Text
4.52 Brief
v. Berthold Held an das Präsidium der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger v. 15.4.1926, HS-Archiv, Bl. 686 Zurück zum
Text
4.53 Brief v. Berthold Held an Max Reinhardt v. 18.4.1928,
HS-Archiv, Bl. 555 Zurück zum Text
Weiter zu „Rollenstudium überholt“
Zurück zur Startseite