3. Im Sog des ersten Weltkrieges

    (1914–1920)

 

 

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3.2  Berthold Held - der Direktor

Als der am 20. November 1868 in Kremsier in Mähren geborene Berthold Held, Reinhardts Jugendfreund aus Salzburg, 1914 die Geschicke der Schule in seine Hände nahm, geschah dies in treuer Ergebenheit gegenüber dem Werke Max Reinhardts. Held, ein leidenschaftlicher Verfechter schulischer Ausbildung von Schauspielern, erkannte die Not der Schule und sah seine Chance. Er hatte Versuche aufgegeben, eine eigene Theaterdirektion in Berlin zu etablieren. Im April 1908 hatte er an das Königliche Polizeipräsidium geschrieben: «Der ergebenst Unterfertigte bittet hiermit um die Bewilligung, in der Zeit vom 8. Juni 1908 bis 8. erf. 22. Juli 1908 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit einem eigenen Ensemble Schauspielvorstellungen veranstalten zu dürfen. Ich bin seit 1901 in Berlin als Regisseur und Schauspieler am Kleinen-, Neuen- und Deutschen Theater tätig... In Berlin war ich Mitbegründer des Theaters "Schall und Rauch" und habe auch nachher wiederholt Herrn Director Max Reinhardt in seinem Directionsgeschäft vertreten...» (3.7)

 

Nachdem er auf Veranlassung des Königlichen Polizeipräsidiums bei der Löbl.K.K. Polizei-Direction Wien um Ausstellung eines «Sittenzeugnisses» gebeten hatte, was er erhielt, und ihm die Präsidien des Deutschen Bühnen-Vereins (3.8) und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (3.9) bescheinigt hatten «In der Concessionssache Berthold Held bestehen... hierseits keine Bedenken» (3.10) - nachdem also ein langer bürokratischer Weg absolviert war, auch Reinhardt zugestimmt hatte, versuchte Held eine Sommer-Spielzeit. Das Unternehmen wiederholte Held im Sommer 1909 gemeinsam mit Woldemar Runge, seinem späteren Nachfolger. Sie brachten Lustspiele in der Regie von Runge. Held inszenierte das Schauspiel «Ketten» von Reichenbach. Einen letzten Versuch machte er 1912, wo er in einem Wedekind-Zyklus «Schloß Wetterstein» erstmals aufführen wollte, was ihm versagt wurde. (3.11)

 

Auch bei Reinhardt und in der normalen Spielzeit hatte Held gelegentlich Regie geführt, zum Beispiel 1906 bei der Bauernposse «Doppelselbstmord» von Anzengruber und 1910 bei dem Lustspiel «Der natürliche Vater» von Eulenberg. Vorher hatte Reinhardt ihn als technischen Direktor gebraucht. Held war an allen Theatereröffnungen Reinhardts unmittelbar beteiligt, war Vollender der Ideen seines Freundes.

 

Etwa ab 1905 etablierte sich Held als Vortragsmeister des Deutschen Theaters. Es zeugt von der letztlich doch recht einseitigen Freundschaft, wenn er später in einem Brief an Reinhardt bewußt zeichnet: «Herzlich grüßend Dein (Unterschrift) Titelberechtigt als Sachverständiger für Vortragskunst in Preußen und staatlich anerkannter Lehrer der Schauspielkunst.» (3.12)

 

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Berthold Held im Sprechunterricht

 

Ebenfalls ab etwa 1905 setzte sich Held als Reinhardts «Massen-Regisseur» durch, was natürlich damit zusammenhing, daß er die Regie-Intentionen seines «Max» gut kannte. Bernhard Reich, der sich 1910 anläßlich des Wiener Gastspiels des Deutschen Theaters mit «König Ödipus» im Zirkus Renz als Statist gemeldet hatte, beschreibt eine Probe: Mit uns beschäftigte sich «Berthold Held, sein Spezialist für Massenszenen... Held händigte jedem Statisten eine Rolle aus, drei bis vier hektographierte Seiten - links das Stichwort, rechts den Text, den wir, Bürger Thebens, zu sprechen hatten. Held demonstrierte die Geduld und die Stimmkraft eines Dresseurs.» (3.13)

 

Held genoß Ansehen, aber wenig Sympathie. Eduard von Winterstein schreibt, er «war ein merkwürdiger, komplizierter Mensch und bestand aus lauter Gegensätzen. Obwohl er im Grunde eine subalterne Natur war und kein schöpferischer Geist, so hat er doch verschiedene eigene Ideen ins Werk gesetzt... Er war immer bestrebt, für seine Kollegen... irgend etwas Vorteilhaftes und Gutes herauszufinden... Gleichwohl war er bei den Kollegen nichts weniger als beliebt. Nicht nur, daß er nicht ernst genommen wurde, es mochte ihn auch eigentlich niemand leiden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu denen ich gehörte. Rührend war einerseits seine glühende Begeisterung für alles, was Max Reinhardt machte, und andererseits seine ewige Gekränktheit und sein Beleidigttun, wenn er von Reinhardt nicht genügend beachtet wurde.» (3.14) Winterstein bestätigt, «als Regisseur von Chor- und Massenszenen... hatte Held allmählich eine wirkliche Meisterschaft erworben. Dies war eine große Unterstützung der Arbeit Reinhardts.» (3.15) Alexander Granach äußert sich sehr kritisch über Held: «Wenn er etwas erklären wollte, führte er immer sich selber als Beispiel an... Niemand mochte ihn als Lehrer. Man widersprach ihm nicht, man gehorchte ihm, aber er wurde nicht nur nicht verehrt, er wurde nicht anerkannt, nicht geliebt... Aber er war der Lehrer der Schule, und vieles hing von ihm ab.» (3.16)

 

 

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Berthold Held im Kreise der Kollegen

 

In der Tat: Am Direktor der Schule hing die gesamte notwendige pädagogische Arbeit. Die bei ihm beschäftigten Lehrer unterstützten ihn kaum. Eduard von Winterstein bekennt das freimütig und sogar stolz: «Freilich bin ich niemals ein richtiger Schulmeister gewesen. Ich habe mich nie darum gekümmert, was die jungen Leute sonst trieben, ob sie zu spät zum Unterricht kamen oder ob sie den Unterricht versäumten. All das bemerkte ich gar nicht. Ich arbeitete mit denen, die sich eingefunden hatten...» (3.17)

 

Held hingegen mußte sich wohl oder übel immer wieder mit den jungen Leuten anlegen, was gelegentlich sogar dazu führte, daß solch Zwist seinen Niederschlag im Absolventenbuch fand. 1918 schrieb Luise Claasen: «Es wollt mir nie in den Kopf hinein, daß neun Uhr im Sommer zehn Uhr sollte sein, darob ich manchmal zu spät bin gekommen und von Herrn Held manchen Tadel vernommen. O Ihr, die Ihr folget, Generationen, ich bitt Euch, schulleitende Nerven zu schonen!» (3.18) Auch gegenüber den wenigen Lehrkräften trachtete Held, sich durchzusetzen. Hinter seinem Rücken hatte Prof. Milan ein Engagement für einen Schüler vermitteln wollen. Held griff ein, und es kam zu einem Briefwechsel. Held stellte fest: «... die Bemühungen um Engagements seitens einzelner Lehrer können mir nicht unangenehm sein, unangenehm waren mir nur dabei die häufigen Heimlichkeiten, daß die Lehrer an Direktoren schrieben, Schüler Direktoren vorsprechen ließen und dem Schüler auftrugen, es vor mir heimlich zu halten... Ich halte es für die elementarste Pflicht von allem, was in der Schule vorgeht, wenigstens Kenntnis zu haben...» (3.19)

 

Im nämlichen Brief an Milan gibt Held Auskunft über seine finanzielle Situation, woraus hervorgeht, daß er die Schule ohne jegliche pekuniäre Unterstützung Reinhardts leiten mußte. Das Finanzprinzip war denkbar einfach: Mehr zahlende Schüler füllten die Kasse, mehr unterrichtende Lehrer zehrten an der Kasse. Held hätte sich bereichern können, hätte er dies ausgenutzt. Er schrieb an Milan: «Ich könnte mit einem oder zwei Lehrern außer mir, wie es ja überall sonst geschieht, die Schule leiten und dadurch mein Einkommen um mindestens achttausend Mark im Jahr erhöhen, denn jetzt zahle ich zwölf- bis dreizehntausend Mark Lehrer-Honorare im Jahr... Ich könnte das Einkommen auch weiter vergrößern, wenn ich nicht bei den Aufnahmeprüfungen auf rigoroseste Beurteilung dringen würde.» (3.20) Held war verpflichtet, ordnungsgemäß Buch über alle Ein- und Ausgänge zu führen. Und er war berechtigt, «den sich am Jahresende ergebenden Überschuß bis zur Höchstsumme von M 9000,- als Gehalt für seine Leitung und Lehrtätigkeit einzusetzen. Ein darüber hinausgehender Überschuß ist an die Direktion des Deutschen Theaters abzuführen. Sollte der Überschuß weniger als M 9000,- betragen, so hat Herr Held keinen Anspruch auf den fehlenden Betrag an die Direktion des Deutschen Theaters, ist aber berechtigt, diesen Fehlbetrag als Saldo für das nächste Schuljahr vorzutragen. Die im Vertrag von 1918 vorgesehene Tätigkeit des Herrn Held als Vortragsmeister am Deutschen Theater ist von diesem unentgeltlich zu leisten. Eine eventuelle Regietätigkeit bleibt besonderer Vereinbarung überlassen.» (3.21)

 

So sah Helds Vertrag mit seinem Freund Max Reinhardt aus. Dabei war er bis 1918 sogar in vertragslosem Zustand, hat aber unverdrossen gearbeitet. Seine Schüler freilich bekamen seinen Verdruß gelegentlich zu spüren, ohne die Ursachen auch nur ahnen zu können.

 

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

3.7      Staatsarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep. 30 Berlin C, Polizeipräsidium, Th Nr. 2259, Bl. 1/2

3.8      Verband der Theaterleiter, 1846 gegründet mit dem Ziel, Streitigkeiten zwischen Theatern zu schlichten und gegenüber Schauspielern einheitliche Haltungen einzunehmen; ein Unternehmerverband

3.9      Auf Initiative von Ludwig Barnay 1871 in Weimar gegründete Organisation, die soziale, arbeitsrechtliche und auch künstlerische Interessen ihrer Mitglieder vertrat.

3.10    Staatsarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep. 30 Berlin C, Polizeipräsidium, Th Nr. 2259, Bl. 10

3.11    Ebenda, Bl. 75

 

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3.12    HS-Archiv, Bl. 556

 

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3.13    Bernhard Reich, a.a.O., S. 100

 

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3.14    Eduard von Winterstein, a.a.O., S. 476

 

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3.15    Ebenda, S. 477

3.16       Alexander Granach, a.a.O., S. 237; vergl. auch Fritz Kortner, Aller Tage Abend, München 1959, S. 202: «Die Pflege und das Gedeihen des Reinhardtschen Regieguts, sofern es Jedermanns Tafelrunde betraf, waren einem schlechten Verwalter anvertraut... Er war ein anmaßender, gewissenloser, unbedenklich seinen Vorteil suchender Feigling, der Held hieß.» Vergl. auch: Offener Brief von Emil Rameau an Berthold Held anläßlich seines 40jährigen Bühnenjubiläums, in: Scene, Blätter für Bühnenkunst, 16. Jahrg., Heft 11, Nov. 1926, S. 334: «Dem flüchtigen Beobachter bietet sich in Ihnen das Bild eines ruhigen Führers derer, welche waren, eines Führers derer, welche kommen werden, eines Mannes, dem es in vielfachen pessimistischen Anwandlungen nicht leicht wird, mit den Dingen dieser Welt fertig zu werden... Ihre ganze reine unbestechliche Liebe gehört Ihrer Schauspielschule. In Ihren Schülern pflegen Sie eine Tradition, die bewiesen hat, daß sie allem Tempo dieser Zeit nicht zum Opfer werden kann, da alle echte Kunst, deren Wurzeln in der Lebenswahrheit ruhen, zumindest ein Geschlecht überdauert.»    Zurück zum Text

3.17       Eduard von Winterstein, a.a.O., S. 475   Zurück zum Text

3.18       HS-Archiv, Absolventenbuch

3.19       HS-Archiv, Bl. 660    Zurück zum Text

3.20       Ebenda

3.21       HS-Archiv, Bl. 551

 

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