8. Der neue Darsteller (1951-1962)

 

 

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Wolfgang Heinz

 

 

8. 7  Wolfgang Heinz – der bekennende Realist

Mit welchen Absichten Wolfgang Heinz sein Amt als Künstlerischer Leiter in Schöneweide anzutreten gedachte, wurde in einer der Beratungen deutlich, die zur Gewinnung des erfahrenen Theaterleiters, Regisseurs und Schauspielers geführt wurden. In dem Gespräch, an dem auch Mathilde Danegger und Wolfgang Langhoff teilnahmen, äußerte er, er sehe „seine Aufgabe hauptsächlich in der Erziehung der Erzieher. Zu diesem Zweck schlug er vor, mit einem etwa sechswöchigen Seminar mit den Lehrkräften zu beginnen, um zu sichern, daß ein einheitliches Ziel verfolgt und eine gemeinsame Sprache gesprochen wird.“ (8.106) Der diese Absichten kundtat, sprach auch als ein bereits erfahrener Schauspielpädagoge.

Wolfgang Heinz hatte 1948 in Wien - nach einer erfolgreichen Aufführung des Schauspiels «Die russische Frage» von Konstantin Simonow — vom sowjetischen Hochkommissar Generaloberst Kurasow die Freigabe des ehemaligen Großkinos «Scala» als Theater erhalten, und der Bürgermeister hatte ihm die Spielkonzession erteilt. Gemeinsam mit den Schauspielern und Regisseuren Günther Haenel, Friedrich Neubauer, Karl Paryla und Emil Stöhr leitete er das Neue Theater. «Den Schauspielern hat es bei uns sehr gefallen», resümierte er, «denn durch die gemeinsame Arbeit wurden wir schnell ein festes Kollektiv. Obzwar die meisten keine Kommunisten waren, empfanden sie es keineswegs als Belastung, daß die Scala als kommunistisches Theater galt.» (8.107)

Hier an der Scala gründete er für junge Schauspieler ein Studio. Er wollte eigene Arbeitsmethoden weiterentwickeln und zugleich dem Nachwuchs vermitteln. Er hatte sich von Stanislawski anregen lassen, dessen Werk er in der Schweizer Emigration, zwar verstümmelt, kennengelernt hatte. (8.108) Er war gewachsen an den Werken Gorkis und Tschechows. Vor allem aber hatte ihm die Hinwendung zur marxistisch-leninistischen Weltanschauung geholfen, sich zu einem bekennenden Realisten zu entwickeln. Anläßlich des fünfjährigen Bestehens des Theaters, dessen Direktor Wolfgang Heinz 1951 geworden war, sagte er in einem Interview: «Die Schauspieler haben gelernt, eine gleiche Sprache zu sprechen, den einzelnen künstlerisch Schaffenden sind die Probleme des Realismus in erweitertem Maße klar geworden, so daß die Schauspieler, basierend auf den Prinzipien des Realismus, in der Lage sind, in ihren Leistungen immer mehr das Leben in seinen wahren Zusammenhängen zu spiegeln.» (8.109)

Auf Betreiben reaktionärer Kräfte des Kulturamtes der Stadt Wien mußte die Scala nach acht Jahren ebenso aufopferungsvoller wie erfolgreicher künstlerischer Arbeit ihre Pforten schließen. Am 30. Juni 1956 fand die letzte Vorstellung statt. Im Herbst des gleichen Jahres engagierte Wolfgang Langhoff Wolfgang Heinz und dessen Frau Erika Pelikowsky sowie weitere Scala-Schauspieler an das Deutsche Theater. Sie brachten fast komplett ihre Inszenierung der «Kleinbürger» von Gorki mit nach Berlin, erzielten einen überwältigenden Erfolg und bereicherten die realistischen Traditionen dieses Hauses. Bald belegten Inszenierungen von Wolfgang Heinz wie seine Rollengestaltungen den politischen Künstler, der den poetischen Reichtum eines Dramas aus zeitgenössischer Sicht zu erschließen und zum theatralischen Ereignis zu machen wußte. Schon als Gast hatte er am Deutschen Theater inszeniert: im September 1953 Shakespeares «Othello» mit Willy A. Kleinau als Othello und Ernst Busch als Jago, im Juni 1954 Gorkis «Somow und andere» mit Herwart Grosse als Somow und Inge Keller als dessen Frau, im Oktober 1955 Gerhart Hauptmanns «Vor Sonnenuntergang» mit Willy A. Kleinau als Clausen und Christa Gottschalk als Inken. 1958 spielte Heinz den «König Lear» von Shakespeare (Regie: Wolfgang Langhoff), 1959 Schillers «Wallenstein» (Regie: Karl Paryla). Im gleichen Jahr inszenierte er Gorkis «Sommergäste», spielte er Wolfs «Professor Mamlock»  (Regie: Wolf-Dieter Panse).

 

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Wolfgang Heinz als Nathan (mit Dieter Mann als Tempelherr) 1966 am Deutschen Theater

 

In der Spielzeit 1960/61 pausierte der Regisseur Wolfgang Heinz. Das war die Saison, in der Wolfgang Langhoff mit seiner Inszenierung von Lessings «Minna von Barnhelm» mit Hans-Peter Minetti als Major von Tellheim und Käthe Reichel als Minna das Stück geradezu neu entdeckte, indem er - seinen eigenen Überzeugungen durchaus treu bleibend — Anregungen von Brecht wie von Heinz aufgriff. Er ließ nicht nur emotionelle Temperamente spielen. Er erschloß zugleich und erstmals das soziale Beziehungsgeflecht der Figuren, und dies nicht als naturalistisch-soziologische Studie, sondern als ergötzliches theatralisches Ereignis. (8.110) 1961 dann brachte Wolfgang Heinz seine Inszenierung des «Kirschgartens» von Tschechow mit Erika Pelikowsky als Ranjewskaja heraus.

Mit Wolfgang Langhoff und Wolfgang Heinz wirkten jetzt Regisseure am Deutschen Theater in Berlin, die dem Hause seine Weltgeltung wiedergaben. Das gewachsene künstlerische Selbstverständnis auch in der Auseinandersetzung um sozial-realistische Positionen auf dem Theater wirkte durch Heinz nun auch in die Schauspielschule hinein. Gewiß nicht direkt, nicht unmittelbar. Dazu war Heinz zu sehr Pädagoge. Er lockte zunächst einmal - gemäß seinem Vorsatz - das Lehrerkollegium aus der Reserve, aus den eingeschliffenen Gewohnheiten, vor allem in der Beurteilung studentischer Leistungen. «Das war für uns alle wahnsinnig schwer: Wir Dozenten mußten jeder einzeln unsere Meinung sagen zu dem, was wir gesehen hatten! Eventuell waren wir gewohnt, mit ein paar Schlagworten, die wir von der Wissenschaft gehört hatten, etwas zu sagen. Aber uns wirklich artikulieren und zu einem Gegenstand Stellung nehmen, dazu hat der Heinz uns regelrecht gezwungen. Der hat uns geschult, unseren Standpunkt zu den Dingen nicht einer Labilität auszusetzen, sondern uns ein bißchen selbst zu finden... Eines Tages sollte ich anfangen. "Ich fand es gut", sagte ich. "Warum?" fragte er, "warum finden Sie es gut?" - Begründungen finden ist ja eine ganz wichtige Vorgeschichte, um überhaupt zu einem System zu kommen.» (8.111)

In der Tat begann eine neue methodische Selbstverständigung, wenn auch noch zaghaft, doch eben mit dieser Konsequenz des Wolfgang Heinz in der Auswertung der Szenenstudien. Zu den Lehrkräften gehörten 1959: Helmut Zocher (Direktor), Prof. Margrit Glaser, Doris Thalmer (Schauspiel), Luise Kepich-Overbeck, Egon Aderhold, Wilfried Markert (Sprecherziehung), Hildegard Buchwald-Wegeleben (Bewegung, Rhythmik, Tanz), Susanne Hanslik (Bewegung), Christof Walther (Fechten), Elisabeth Hartig (Ästhetik) (8.112) Unter den nebenamtlich wirkenden Lehrkräften sind aufgeführt: Emil Stöhr, Lothar Bellag, Wolf-Dieter Panse, Brigitte Soubeyrand (Pantomime), Dr. Lily Leder (Theatergeschichte). (8.113)

 

 

                                         thalmer  walther  aderhold

Doris Thalmer          Christof Walther       Egon Aderhold

 

Wolfgang Heinz setzte in mehrfacher Hinsicht Zeichen. Dazu ist sein Versuch zu zählen, ein viertes Studienjahr einzuführen. Dieses Absolventen-Jahr war gedacht als eine Studio-Bühne. In der Begründung hieß es: «Mit einem Ensemble wollen wir beitragen, wichtige Aufgaben im Rahmen der sozialistischen Kulturrevolution zu lösen, sowie die Ausbildungs- und Erziehungsarbeit des schauspielerischen Nachwuchses zu verbessern. Das Ensemble soll in ländlichen Gemeinden, Kulturhäusern der LPG und in Zusammenarbeit mit Dorfklubs dort auftreten, wo keine Bespielung durch Theater der DDR erfolgt. Ebenfalls können Objekte der Nationalen Volksarmee mit einbezogen werden...» (8.114) Da fast zu gleicher Zeit eine Revision ergab, daß die Zahl der Studierenden an der Schule (bei einer Kapazität von 60 Schülern) von 57 Studenten im Jahre 1953 auf 40 im Jahre 1959 zurückgegangen war, (8.115) die Ausbildung sich also merklich verteuert hatte, fanden sich zu wenige Fürsprecher für ein solches Tournee-Ensemble.

Im Verlaufe des Jahres 1960 wurde deutlich, daß sich die Zusammenarbeit zwischen Wolfgang Heinz und Helmut Zocher nicht günstig gestaltete, weil «Wolfgang Heinz sich nicht nur als Künstlerischer Leiter, sondern als Leiter der Schauspielschule Berlin» (8.116) betrachtete. Helmut Zocher bat um Entbindung von seiner Funktion. Mit Wirkung vom 1. September 1960 wurde Wolfgang Heinz die Leitung der Schule übertragen (8.117) Und ab 15. Oktober 1960 arbeitete Rudolf Penka als Stellvertretender Direktor für künstlerische Angelegenheiten an seiner Seite.

Rudolf Penka erinnert sich: «Ich war in Weimar und bekam plötzlich dieses Angebot über das Ministerium. Ich habe mich ein Jahr lang gesträubt, weil's mir in Weimar gut ging. Ich war Regisseur geworden und habe gespielt... Aber ein Jahr später war ich in Moskau und in Leningrad und habe versucht, den Stanislawski an seiner Wiege kennenzulernen. Ich habe gesehen, wie viel Schönes da gemacht wird, aber auch, was überholt ist. Und ich hatte die Möglichkeit, mit Heinz über diese Dinge zu sprechen. Ich wurde fasziniert von seiner Gründlichkeit und von seiner Auffassung.» (8.118)

Unter Wolfgang Heinz bekam das bislang noch immer relativ abstrakte Bild vom neuen Darsteller konkrete Züge. Nicht allein, weil er es genauer zu definieren wusste, vor allem, weil er es vorlebte und weitergab. Parteilichkeit wurde eine Angelegenheit des Kopfes und des Herzens. Und das Theaterspielen war nicht mehr lediglich eine Frage des ursprünglichen Temperaments, sondern erforderte geistige Durchdringung. Das «Prinzip planmäßiger Bewußtheit» in Ausbildung und Erziehung, vor zehn Jahren allgemein postuliert, wurde jetzt als eine reale Möglichkeit auch in der Schauspielschule spürbar.

«Das Ziel der Ausbildung besteht darin», sagte Wolfgang Heinz 1961 auf einer Arbeitstagung der Schauspiellehrer, «dem jungen Schauspieler eine Methodologie zu vermitteln, das heißt, ihn in den Stand zu setzen, im praktischen künstlerischen Leben schöpferisch zu arbeiten, mit dem Regisseur oder gegen den Regisseur, wenn es sein künstlerisches Verantwortungsbewußtsein ihm diktiert... Wir wollen ausgezeichnete Schauspieler, aber wir wollen auch Schauspieler, die auf einem richtigen Kunststandpunkt stehen und von diesem aus gestalten. Man kann doch bekanntlich das "Richtige" sehr oft schlecht machen und das "Gute" benutzen, um falsche Dinge zu vermitteln. Wir können nicht darauf verzichten, das gesellschaftliche Bewußtsein des jungen Schauspielers zu entwickeln, denn das umfaßt auch das künstlerische Bewußtsein. Die Gesetze der Kunst sind doch nichts anderes als Gesetze, die immer wieder gefunden werden auf der Basis einer ganz bestimmten Gesellschaftsordnung.“ (8.119)

Heinz verwies auf künftige Aufgaben. Er forderte die Auseinandersetzung mit Stanislawski und Brecht. «Ich glaube aber, wir sollten sowohl bei Stanislawski als auch bei Brecht das Prinzipielle von dem rein Stilbedingten trennen... Wenn wir auf den Kern der Systeme dieser beiden großen Meister des Theaters vordringen, werden wir sehen, daß in Wirklichkeit keine so großen Unterschiede vorhanden sind, wie sie viele zu finden wissen.» (8.120)

 

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

8.106  Information an d. Ministerbüro über Beratung v. 14.4.1958 m. W. Langhoff, W. Heinz und M. Danegger über d. Schauspielschule, Archiv M.f.K., o. Sign.    Zurück zum Text

8.107  Zitiert in: Renate Waack, Wolfgang Heinz, Berlin 1980, S. 32    Zurück zum Text

8.108  Vgl. Anm. 6.50    Zurück zum Text

8.109  Zitiert in: Renate Waack, a.a.O., S. 41    Zurück zum Text

8.110   «Mit Lessings "Minna von Barnhelm"... wird das Bemühen Langhoffs immer deutlicher, von Stanislawski den Schritt zu Brecht zu gehen, eine Synthese beider Methoden zu suchen, ohne Wertvolles der einen oder der anderen zu verlieren. "Ja, ich glaube, eine Synthese anzustreben", bestätigt Langhoff. "Nicht im Sinne einer Verdeckung der Widersprüche zwischen den Auffassungen. Worin ich Brecht folge, was er mich gelehrt hat und wofür ich ihm ungeheuer dankbar bin, ist, daß er unsere Aufmerksamkeit auf das schmucklose Erzählen der Fabel gerichtet hat." Mit welchem Erfolg Langhoff hier am Werk ist, zeigte das Gastspiel "Minna von Barnhelm" in Mailand...», in: Gerhard Ebert, Wolfgang Langhoff, Sonntag, Berlin 5.Oktober 1961    Zurück zum Text

8.111  Gespräch m. H. Buchwald-W., a.a.O.    Zurück zum Text

8.112  Revisions-Protokoll v. 9.12.1959, Archiv M.f.K., o. Sign.    Zurück zum Text

8.113  Ebenda    Zurück zum Text

8.114  Brief d. Schauspielschule Berlin an d. M.f.K. v. 25.8.1959, Archiv M.f.K., o. Sign.    Zurück zum Text

8.115  Revisions-Protokoll v. 9.12.1959, Archiv M.f.K., o. Sign.    Zurück zum Text

8.116  Hausmitteilung v. Sektor Theater an Prof. Pischner v. 19.1.1960, Archiv M.f.K., o. Sign.    Zurück zum Text

8.117 Ebenda    Zurück zum Text

8.118 Gespräch m. Prof. Rudolf Penka v. 1.11.1985, Archiv G. Ebert, Tonb.-Aufz.    Zurück zum Text

8.119 Wolfgang Heinz, Gesichtspunkte für die Nachwuchsausbildung, Theater der Zeit, Berlin 1961, Heft 7, S. 61    Zurück zum Text

8.120  Ebenda    Zurück zum Text

 

 

 

 

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