7. Die Staatliche
Schauspielschule (1951)
Der Eingang zur Schauspielschule
1951
7.4. Heimstatt im Bootshaus
Im Verständnis Otto Dierichs war die
Wahl eines Industriegebietes — weitab vom Stadtzentrum und fern der Theater -
als Umfeld für die Schule offenbar eine Parteinahme für die Sache der Arbeit. Es gab «mehrere Angebote... für die Schauspielschule», weiß Irma Münch zu berichten. (7.27)
Aber Dierichs entschied für ein ehemaliges
Bootshaus (7.28) in Schöneweide,
damit die Studenten leichter Kontakte zur Arbeiterklasse
herstellen konnten und nach Möglichkeit dem Einfluss
der Theaterkantinen, der «Gerüchteküchen», entzogen waren.
«Das erinnere ich noch», erzählt
Hildegard Buchwald-Wegeleben, «daß da argumentiert wurde,
daß man die Studenten nicht so in die
Theaternähe bringen wollte. Es war ja auch etwas
schwierig. Das weiß ich auch noch, daß wir versuchten, unseren Studenten
erst mal beizubringen, daß man ehrlich, wahrhaftig sein muß, daß man also
konzentriert sein muß auf der Bühne. Und dann wurden sie im Theater mit
verbraucht als Kleinstatisten, vielleicht mal mit einem Wort oder so, und haben
gesehen, wie die Großen arbeiteten. Werner Hinz zum Beispiel, der hat mit dem
Rücken zum Publikum gestanden und hat den Studenten unterdessen Witze erzählt.
Dann hat er sich umgedreht und war voll da! Da haben sie daran gezweifelt, ob
wir ihnen wirklich das Richtige beibringen... Man meinte damals, daß man zumindest die ersten zwei Jahre die Studenten fernhalten
sollte vom Theater.» (7.29) Mit anderen Worten: ein
formales Herangehen und die Fetischisierung der Selbständigkeit der Schule
führten zur Vernachlässigung bewährter Ausbildungspraktiken. Die Verbindung zum
Theater wurde geradezu vollständig unterbrochen, auch wurde das Spiel vor
Publikum (Szenen-Abende) nicht mehr gepflegt.
Hildegard
Buchwald-Wegeleben beim Bewegungsunterricht
Zunächst mobilisierte die Inbesitznahme des eigenen
Schulgebäudes Lehrkräfte wie Studenten und verdrängte Fragen nach Tradition und
Ausbildungsmethode. Jetzt standen ausreichend Räume zur Verfügung,
ein Raum für Bewegung, Tanz und Fechten, Räume für Schauspielunterricht und für
Sprecherziehung. Bei deren Einrichtung packten die Studenten mit an, auch die,
die aus den anderen, nunmehr geschlossenen Schulen hinzugekommen waren. Dennoch
verzögerte sich der Beginn des Studienbetriebes. «Aus baulichen
Gründen», notierte Dieter Perlwitz, «konnte der Unterricht erst im November
1951 aufgenommen werden.» (7.30) Als unvorteilhaft
erwies sich, daß nur für wenige Räume im Seitenflügel, wo die Bibliothek
untergebracht wurde, und für den als Mensa vorgesehenen Raum Zentralheizung
existierte. In den übrigen Räumen mußten Öfen gesetzt werden. Diese über
dreißig Öfen sind allen Studenten und Lehrkräften (auch späterer Generationen)
in lebendiger Erinnerung geblieben.
Fechtmeister
Rossner beim Unterricht
Zu den Studenten dieser Pionierzeit gehörten Reimar
Johannes Baur, Jürgen Degenhardt, Günther Haack, Katja Kuhl, Herbert Manz, Heli
Ohnesorge, Dieter Perlwitz, Karla Runkehl und Horst Smiszek. Insbesondere Horst
Smiszek und Dieter Perlwitz engagierten sich für die Belange der Studenten, für
den baldigen Beginn des Studienbetriebes.
Der Auftakt erfolgte «an der Schwelle einer neuen
Hochschulepoche». Zwar war die Schauspielschule nach wie vor eine Fachschule,
aber die Einführung des «Zehnmonate-Studienjahres» an den Hochschulen im Jahre
1951 konnte nicht unbeachtet bleiben. «Das Zehnmonate-Studienjahr hat die
Aufgabe, auf dem Gebiet der akademischen Ausbildung das frühere
anarchische und verlustreiche Ausbildungswesen... durch das Prinzip planmäßiger
Bewußtheit zu ersetzen...» (7.31) An der
Schauspielschule sollte solch Prinzip freilich noch lange auf sich warten
lassen.
Die Spreeseite des
ehemaligen Bootshauses
Anmerkungen:
7.27 Gespräch
m. I. Münch, a.a.O. Zurück
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7.28
Das Gebäude war das ehemalige
Bootshaus der Rudergesellschaft «Wiking». Die
Gesellschaft wurde 1894 gegründet und
betrieb Renn- und Wanderrudern. Am Anfang unseres Jahrhunderts erwarb sie das
Grundstück Berliner Str. 104. Das
Gebäude wurde v. Oberbaurat Obrecht im Stil alter Wikinger Schiffshäuser
gebaut. Vgl. Christa Pasemann, Versuch
einer Chronik der Schauspielschule Berlin
1951-1956, Diplom-Arbeit, S. 10,
HS-Archiv Zurück
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7.29
Gespräch m. H. Buchwald-Wegeleben, a.a.O. Zurück zum Text
7.30
Dieter Perlwitz, Analyse d. bisherigen Arbeit an d. Schauspielschule Berlin, Archiv M.f.K., ohne Sign. Zurück zum Text
7.31
Dr. Gerd Mehnert, An der Schwelle einer neuen Hochschulepoche, in: Tägl. Rundschau, Berlin 9.9.1951 Zurück zum Text
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