10. Organisieren von Bewährungen (1975-1981)
10. 4 Janina Hartwig im «Baby-Test»
Der Begriff «Baby-Test» ist die
von Pädagogen ersonnene liebevoll-ironische Bezeichnung für die seit 1975
mögliche Voreignungsprüfung. Im Ergebnis einer Vereinbarung zwischen dem
Ministerium für Volksbildung und dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen
konnten Direktoren der Oberschulen in der DDR musisch begabte Schüler der 9.
Klassen zu künstlerischen Voreignungsprüfungen an Kunstschulen delegieren. Es
war dies der begrüßenswerte Versuch, wie beim Sport so auch in der Kunst
Talente schon früh zu erkennen und entsprechend zu fördern.
Nicht jedes Talent hat in jungen Jahren auch den Mut,
sich nach außen hin zu diesem Beruf zu bekennen, der ja nicht allein mit
fleißigem Lernen zu meistern ist, sondern die Begabung voraussetzt, die man
selbst an sich nicht feststellen kann. Sogar die erfahrenen Schauspielpädagogen
haben bei Schülern der 9. Klassen ihre Probleme. Die jungen Leute, die da
kommen, stehen noch voll in der Pubertät, und gerade die schauspielerische
Begabung braucht die schon reifende junge Persönlichkeit, um sich äußern zu
können. Der Spieltrieb der 14- bis 15jährigen ist noch ausgesprochen kindlich,
insofern allgemein, also bei noch allen anzutreffen und noch nicht durch Arbeit
für Kunst potentiell geeignet auszumachen. Die Pädagogen können daher im
wesentlichen nur gute Ratschläge geben.
Ein erstes einigermaßen verlässliches Kriterium ist, ob
sich die Interessenten zu gegebener Zeit nach der Voreignungsprüfung - also
wenn sie mittlerweile etwa 18 Jahre alt sind - dem Eignungstest stellen. Nur in
Ausnahmefällen kann auf diesen Test verzichtet werden. Der Eignungstest
(früher Eignungsprüfung) hat zum Ziel, die Eignung für den Beruf zu erkunden.
Im Jahre 1985/86 unterzogen sich über 1200 Interessenten diesem Test, was
gegenüber 1975 eine beträchtliche Steigerung bedeutete. Unter ihnen waren auch
solche, die in Voreignungsprüfungen bereits Erfahrungen gesammelt hatten, die
also in etwa ahnten oder zu wissen glaubten, was von ihnen erwartet wird.
Andererseits garantiert eine Teilnahme an möglichst
vielen Prüfungen keineswegs den Erfolg. Immerhin: Wer sich unverdrossen einem
dritten Eignungstest stellt, imponiert zumindest durch die Hartnäckigkeit, mit
der er um den Beruf kämpft. Schließlich werden jährlich rund 70 Interessenten
zur Eignungsprüfung (früher Aufnahmeprüfung) geladen, von denen ca. 35 Bewerber
das Studium beginnen können.
Über ihren Weg berichtet Janina Hartwig: «Auf die Bühne wollte ich schon immer. Als ich in der 9.
Klasse war, hat sich meine Mutter erkundigt, wie denn das so vor sich geht an
der Schauspielschule. Da habe ich dann den "Baby-Test" gemacht, den Voreignungstest. Man musste hinkommen mit einem
Gedicht, einem Lied und einer Ballade. Ich bin gegangen mit meinem Kassettenrecorder, mit "Det sin Berliner Gören" drauf, die
Klavierbegleitung. Ich habe das
vorgesungen bei Helfried Schöbel. Ich musste dann immer improvisieren damit.
Das hat mir ungeheuer Spaß gemacht.
Ihm muss es auch gefallen haben, denn
ich war unter den zehn Leuten, die sie ein bisschen weiter beobachtet haben. Und zwar haben wir hospitiert an der Schule,
im Szenenstudium, im Improvisations-Seminar. Im Bewegungsunterricht haben wir
mitgemacht. Und so habe ich ein bisschen Einblick gekriegt. Aber was dieser Beruf nun eigentlich bedeutet, davon hatte ich keine Ahnung.
Jedenfalls haben wir uns dann
vorbereitet auf die Eignungsprüfung. Wir durften uns einen Partner suchen.
Ich habe den Karsten Speck genommen, weil der
in der Nähe wohnte. Wir haben "Kabale und Liebe" herausgesucht und
"Wie die ersten Menschen"
von Rudi Strahl, und "Romeo und
Julia", die Giftszene. Bevor
die Prüfung kam, habe ich noch eine Lehre begonnen
als Wirtschaftskaufmann, weil gesagt worden war: Du brauchst Abitur oder einen
Beruf.
Während der Lehre habe ich dann die
Eignungsprüfung gemacht. Ich bin da hingegangen in die Schauspielschule und hatte vor lauter Aufregung meinen
Rock vergessen. Irgendeine Studentin hat mir einen gepumpt. Ich hatte immer mit
so einem ganz weiten, schönen Rock probiert,
und sie hat mir einen ganz engen gegeben. Mit dem kam ich absolut nicht
klar. Erst habe ich mir alles eingerichtet: Tür, Bett, Fläschchen. Nun dieser
Rock! Angefangen. Hängen geblieben! Ich kam
nicht von dem Bett herunter. "Noch
mal anfangen! Schön ruhig! Ganz locker!“ Und man wird immer verkrampfter. Dann kam ich gut vom Bett herunter, riss die Tür auf
— fiel die Tür um! Es war
fürchterlich. Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich da durchgekommen bin. Ich hätte eigentlich heulen können die ganze Zeit. Ich weiß bloß noch, dass ich hochgebeten wurde zu Minetti. Und er sagte: "Ja!" Irgendwie in
der S-Bahn muss ich das dann erst begriffen haben. Ich muss so gestrahlt haben, dass ein Mann, der gegenüber
saß, mich angesprochen hat. Ihm musste ich alles
erzählen...» (10.15)
Janina Hartwig trat 1981 ein
Engagement am Staatsschauspiel Dresden an, wo sie die Irina in «Drei
Schwestern» von Tschechow, die Irina in der «Entenjagd»
von Wampilow und die Celia in «Wie es euch gefällt» von Shakespeare spielte. Im
Thälmann-Film des Fernsehens der DDR verkörperte sie die Hannelore.
Anmerkungen:
10.15
Gespräch mit Janina Hartwig vom 30.10.1985, Archiv G. Ebert, Tonb.-Aufz.
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