2. Der schwere Anfang
(1905-1914)
2.4 Alexander Granach und Hans Rodenberg in der Aufnahmeprüfung
Die geringere Zahl von Schülern führte zu einer strengeren Auswahl
bei der Aufnahmeprüfung, 1905, am Beginn des Ausbildens, hatte man großzügig aufgenommen,
wer den Beruf ergreifen und die ungewisse Sache auch noch bezahlen wollte.
Eduard von Winterstein
Niemand
hatte mit Gewissheit sagen können, worin sich das Talent äußert. «Welche
Schüler soll man nehmen?» fragt Eduard von Winterstein, der langjährige Lehrer
der Schule. «Die meisten dramatischen Lehrer versichern mit ethischem Pathos,
mit moralischer Verve, sie nähmen nur begabte, und zwar nur hervorragend
begabte Schüler an. Die armen Toren! Wer wollte sich anmaßen, nach Anhören von
ein paar aufgesagten Sätzen oder Szenen zu urteilen, ob der junge Mann oder das
junge Mädchen begabt oder gar hochbegabt ist? Diese Frage kann niemand
beantworten. Erst wenn ich mindestens
ein halbes Jahr lang mit einem Schüler
gearbeitet habe, dann halte ich mich vielleicht für berechtigt, ein Urteil über
seine Befähigung abzugeben.» (2.25)
Mittlerweile
hatten die Schauspiellehrer Erfahrungen gesammelt, so dass sie ihrem Urteil
eher trauten. Aber nach wie vor war das Auffinden der Begabungen keine einfache
Aufgabe. «Die Verminderung der
Schülerzahl», bestätigt Held, war «darauf zurückzuführen, daß wir nur
solche nehmen wollten, die ganz unzweifelhaft künstlerisch talentiert sind.» (2.26)
Es hatte sich eine Verfahrensweise herausgebildet, die Held so
beschreibt: «Der Aufnahme geht eine Aufnahmeprüfung voraus, der sich ungefähr
100 Anwärter im Jahre unterziehen. Nur die ganz Begabten werden aufgenommen, so
daß... nur 6 - 8 Schüler im Jahre zur Aufnahme gelangen. Am Schluß des 1.
Jahres findet wiederum eine Prüfung statt, von der es abhängt, ob der Schüler
bzw. die Schülerin in den Kursus des 2. Jahres eintritt... Bei der ersten
Aufnahmeprüfung kann man oft kein endgültiges Urteil abgeben, deshalb nehmen
wir gelegentlich einige Schüler für einen Monat probeweise auf, nach 4-6 Wochen erfolgt dann eine zweite
Prüfung, welche entscheidet, ob der Betreffende in der Schule verbleibt.» (2.27) Aus der Zeit, von der hier die Rede ist, stammen
Berichte von zwei Schauspielern, die 1912
zur Aufnahmeprüfung kamen: Alexander Granach (1890-1949) und Hans Rodenberg (1895-1978).
Alexander
Granach
Granach erinnert sich: «Als ich ins Deutsche Theater kam, waren
mehrere hundert junge Menschen versammelt, die alle in die Schauspielschule
aufgenommen werden wollten. Alle standen in Gruppen, mit leuchtenden,
fragenden, neugierigen Augen, sonntäglich angezogen, aufgeregt, redend,
gestikulierend. Junge Menschen mit Träumen und Zielen... Aber im Foyer der
Kammerspiele war die erste Barriere errichtet. Da waren Tische und Stühle
aufgestellt für die Prüfungskommission... Um die Tische saßen Schauspieler,
Regisseure, Dramaturgen. Da saß die kleine, zierliche Gertrud Eysoldt... Da saß
der breitschultrige Eduard von Winterstein, mit dem Monokel im Auge, der beste
Darsteller von Freunden... Da saßen die Regisseure Felix
Arthur Kahane
Felix
Hollaender
Hollaender, Joseph Klein, Richard Ordynski, Albert Blumenreich.
Die Dramaturgen Arthur Kahane, Heinz Herold, Baron von Gersdorff und Berthold
Held, der Leiter der Schule, der Sprechmeister des Theaters und Reinhardts
Assistent... Ich wurde... als einziger Freischüler
aufgenommen.» (2.28)
Hans Rodenberg
Bei Hans Rodenberg liest sich das so: «Endlich kam der Tag der
Prüfung. Sie bestand aus zwei Teilen. Zunächst gab es eine Vorprüfung. Etwa 150
junge Leute kamen mit ihren Müttern, Vätern und Tanten, überall standen und
saßen Leute. Es war furchtbar... Als ich halb besinnungslos war, wurde ich
hereingerufen. Da saßen in einem ziemlich kleinen Raum ein paar Leute, die ich
nicht kannte, einer stand auf, nannte seinen Namen: Er sei Berthold Held,
Leiter der Schauspielschule. Ich konnte ihn kaum richtig wahrnehmen. Er
verlangte von mir, etwas vorzusprechen. Ich sprach und hatte das
unwahrscheinliche Glück, zu der drei Tage späteren Endprüfung vorgeladen zu
werden... Von den 150 Kandidaten waren vielleicht noch 30 übriggeblieben. Zu
dieser letzten Prüfung waren es schon weniger Leute, und es dauerte auch nicht
mehr so lange, bis ich gerufen wurde. Ich stand wieder in diesem Raum.
Diesmal erkannte ich einige. Es waren Max Reinhardt da, Paul Wegener, Lucie
Höflich, Eduard von Winterstein.
Ich fing an zu sprechen. Nach anderthalb Minuten vielleicht wurde
ich unterbrochen und gefragt: "Was können Sie noch?" Ich sprach den
Holofernes, den Glockengießer, und als ich den Moritz Stiefel sprach, sagte
Reinhardt: "Gehen Sie doch näher an das Fenster heran." Ich ging an
das Fenster, aber ich verstand nicht, warum. Dann sagte man mir, daß ich
angenommen sei.» (2.29) Zu den später prominenten
Schülern jener Jahre gehörten auch Else Eckersberg, Lothar Müthel und Gustav
von Wangenheim.
Else Eckersberg
Lothar Müthel
Gustav von
Wangenheim
Anmerkungen:
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