11. Die Hochschule (1981)
als Mephistopheles 1954 am
Deutschen Theater
11.2
Ernst Busch
»Mit Ernst Busch ist ein neuer
Darstellertyp ins Theater, in den Film getreten: der radikale Volksschauspieler, radikal im umfassenden Sinne, politisch
und künstlerisch. Ernst Busch ist einer der wenigen, die mimische Kunst und wörtliche Aussage miteinander verbinden. Er ist
Darsteller, auch wo er rezitiert, und Schauspieler, auch wo er singt. Nicht wie
ein guter Sänger, der Arien gestisch interpretiert, sondern als ein genialer Schauspieler, der an gewissen Punkten der Rolle (oder auf
Rezitations-Matineen) den musikalischen Ton zur
Verdeutlichung des Wortes braucht. So steht Ernst Busch in der vordersten Linie
der Künstler, die auf der Bühne die Waffe der Sprache schmieden.« (11.3) Dies schrieb Herbert Jhering, der profunde Kenner
schauspielerischer Arbeit, schon 1932. Und er ergänzte im nämlichen Jahr:
„Ernst Busch, heute schon fast ein Klassiker des Songs,
ist als Schauspieler noch nicht zu der Bedeutung gekommen, die er verdient.
Aber so ist es meistens: berühmt wird jemand durch seine Nebenleistungen, das
Wesentliche setzt sich später durch.
Heute kommt etwas anderes hinzu. Was nützt es einem
Schauspieler, schlagend und knapp zu spielen, wenn neben ihm nuanciert und
gedehnt, zerfasert und pointiert wird. Wie kann sich ein moderner Darsteller
durchsetzen, wenn er isoliert bleibt, und die Künstler seiner Generation und
Art bald hier, bald da auftauchen, fortgeschwemmt vom großen
Prominentenstrudel...
Ernst Busch, der seinen ersten Erfolg mit Mühsams
„Judas" und seinen letzten mit Paul Schureks „Kamrad Kasper" hatte,
ist als Anfänger beinah zu „sachlich" in seiner Diktion gewesen. Er sprach
so gedrängt, daß sich die Worte stießen, so gepackt, daß sie sich nicht rühren
konnten, so intensiv, daß sie zersprangen. Busch sprach inhaltlich, das war
sein Vorzug. Er sprach aber auch so akzentuiert,
daß der Inhalt wieder aufgehoben wurde.
Auf dem Umweg über seine Songs ist Busch lockerer
geworden. Es gibt heute kaum noch ein Arbeiterlied, das Busch nicht in der
Revue und im Kabarett, im Film und auf der Platte gesungen, sehr schön gesungen
hätte. Der „Wohllaut" seiner Stimme verführte ihn, im Couplet und im Song
manchmal zur „Tauberei", zum leisen Startum. Aber dieser Erfolg machte ihn
auch sicherer und seine Schauspielkunst freier. Der rauhe, norddeutsche
Schauspieler Ernst Busch, der in Kiel noch den Marc Anton und das klassische Repertoire
spielte, lernte die Sätze disponieren, übersichtlich gliedern, ohne von der
Schärfe und Kälte seiner Diktion etwas aufzugeben. Niemals wird Ernst Busch den
Inhalt des Textes zugunsten einer Stimmung erweichen, niemals den Sachverhalt
einer Rolle zugunsten einer psychologischen Malerei fälschen oder umdichten.
Das macht Ernst Busch zum Darsteller zielgerichteter, aktiver, politischer
Rollen. Ob Busch ein Romankapitel liest oder einen Heimkehrer aus dem Kriege
spielt - immer behält er seine harte und feste, auf den Sinn losgehende, den
Gehalt heraushebende Sprechweise bei. Kein Stimmungskünstler (obwohl er im Song
manchmal dazu verführt wurde), kein Seelenschilderer (obwohl manche Rolle ihn
dazu hätte verleiten können), kein farbiger Komödiant (obwohl er in „Lumpacivagabundus"
einen solchen Zuschuß hätte gebrauchen können), sondern ein unbeirrter
Tatsachenschauspieler, knapp und demonstrativ, mutig und beherrscht. Kein öder
Deklamator der Revolution, kein „Oh-Mensch"-Pathetiker, kein Naturalist oder
Nuancenjäger der Kulissenwirklichkeit, sondern ein kriegerischer Künstler des
Tages, der Gegenwart von 1932.“ (11.4)
als Semjon Lapkin mit Helene
Weigel in „Die Mutter“
von Brecht
am Berliner Ensemble (1951)
Der 1900 in Kiel geborene Ernst Busch
war Maschinenschlosser, Werftarbeiter. 1920 hatte er seinen ersten Auftritt als
Sänger im Kieler Gewerkschaftshaus, sein erstes Engagement hatte er am Kieler
Stadttheater. Nach einer Zwischenstation am Theater in Frankfurt/Oder kam er
1927 zu Erwin Piscator nach Berlin. Bald arbeitete er nicht nur an dessen
Theater, sondern auch bei Kabarett, Funk und Film. Er machte die Bekanntschaft
von Bertolt Brecht, Hanns Eisler, Erich Weinert und Slatan Dudow. Er sang auf
Arbeiterversammlungen, wurde als „roter Tauber“ gefeiert.
1933 musste er emigrieren. Nach
Aufenthalten in Holland, Belgien, Frankreich, England, der Schweiz und in der
Sowjetunion ging er nach Spanien, sang dort vor den Interbrigadisten („Spaniens
Himmel breitet seine Sterne“). 1939 geriet er in die Gefangenschaft des
Vichy-Regimes und 1942 bei einem Fluchtversuch in die Hände der Faschisten.
Dank der Hilfe von Gustaf Gründgens wurde er nicht zum Tode verurteilt, sondern
zu sieben Jahren Zuchthaus. In Brandenburg, wo er einsaß und einen
Bombenangriff schwer verletzt überlebte, befreite ihn 1945 die Sowjetarmee.
während einer Tucholsky-Matinee
1957 am Deutschen Theater
Zutiefst bewegend, ergreifend, als
Ernst Busch nach 1945 wieder sang. Das Solidaritäts-Lied, das Lied von der
Einheitsfront, die Lieder von Brecht/Eisler, die Vertonungen von Tucholsky,
Weinert, Becher, Wedekind, Mühsam, Majakowski. Seine feste, klare Stimme, seine
gedankliche Schärfe, seine Kraft im Vortrag leben und überzeugen. Bald feierte
er auch am Theater wieder Triumphe. Als Mephistopheles neben Wolfgang Langhoff
(Faust) am Deutschen Theater, als Feldkoch in Brechts „Mutter Courage und ihre
Kinder“ neben Helene Weigel und Erwin Geschonneck am Berliner Ensemble, und als
Brechts Galilei, ebenfalls am Berliner Ensemble.
als Feldkoch mit Erwin Geschonneck
in „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Brecht (1951)
Auf dem Trauerakt der Akademie der
Künste der DDR im Juni 1980 entwarfen der Minister für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann, und der Präsident der Akademie der Künste der DDR, Konrad Wolf, ihr Bild des
Künstlers Ernst Busch.
«Ernst Busch", sagte Hans-Joachim Hoffmann, «wuchs
in der Atmosphäre einer klassenbewussten proletarischen Familie auf. Früh lernte
er die Probleme und Kämpfe der Arbeiter kennen. Seine tiefe Liebe zum Menschen,
zu seinem Volk und zu seiner Klasse ließen ihn bereits in jungen Jahren zum
Kommunisten werden. Als im Herbst 1918 ganz Deutschland von einer Welle
revolutionärer Kämpfe erschüttert wurde, nahm er an der Seite der
revolutionären Kieler Matrosen seinen Platz ein. Hier verband er sich für immer
mit dem Kampf der Arbeiterklasse... Auf zahllosen Arbeiterversammlungen und
Kundgebungen der Kommunistischen Partei sang er mit seiner unwiederholbaren,
klangvollen Stimme und dem ihm eigenen revolutionären Temperament die Lieder
der kämpfenden Massen... Sehr bald hatte er sich auch eine herausragende
Position in der Bühnenwelt geschaffen, besonders im Theater Piscators. Er
spielte den Franz Rasch in Friedrich Wolfs "Matrosen von Cattaro",
den Pawel in Brechts "Mutter", und er wirkte auch in einem der ersten
revolutionären Spielfilme der deutschen Arbeiterklasse, in Slatan Dudows
"Kuhle Wampe", mit. Dem grausamen faschistischen Terror gegen die
Kommunisten und alle fortschrittlichen Kräfte entging Ernst Busch vorerst durch
die Emigration nach Holland und Belgien. Seine Stimme — Anklage und Aufruf
zugleich — erklang über Radio Hilversum, über die Sender Brüssel und
Beromünster, erfüllte die Säle von Amsterdam, Cent, Antwerpen und vielen
anderen Orten Belgiens und Hollands. Sie vervielfachte ihre Wirkung, als der
Sender Moskau sie übertrug...
Erfüllt vom Bewusstsein bedingungsloser revolutionärer
Pflicht und brüderlicher Solidarität eilte Ernst Busch an die Front nach
Spanien. Zuversicht, Kampfesmut und zornige Anklage erklangen nun in den
Schützengräben Spaniens... Was Wunder, wenn ihn die finstersten Kräfte der
Reaktion stets verfolgten und sein Leben bedrohten. Er wurde von französischen
Behörden am Ende des Spanienkrieges der faschistischen Gestapo ausgeliefert,
und es folgten fünf Jahre der Gefangenschaft in französischen und deutschen
Zuchthäusern, ständig in Todesgefahr lebend. Die Solidarität seiner Freunde in
aller Welt,... haben sein Leben gerettet. Seine großen politischen und
künstlerischen Erfahrungen, gewachsen und gereift in den Klassenschlachten der
zwanziger und dreißiger Jahre sowie im unerbittlichen Kampf gegen den
Faschismus, stellte er uneingeschränkt in den Dienst der antifaschistisch-demokratischen
Umwälzung,...» (11.5)
als Galilei (1957)
Konrad Wolf sagte u.a.: «Ernst Busch, der Arbeiter. Ich
habe kein genaueres Wort für ihn gefunden. Arbeiter - im Sinne der Klasse und
im Wortsinn des Arbeitens. Jeder, der sich ihm näherte, musste wissen, dass er
sofort in Arbeit gezogen wird. Als seine Kunst schon klassisch geworden war,
unterwarf Busch noch immer jede seiner Aufnahmen der striktesten
Selbstaufsicht. Eine Platte, die er endlich freigab, ließ ein Gebirge von
Versionen hinter sich. Die vielen Platten, die Busch in Verbindung mit der
Akademie herausgebracht hat, gehören zum kostbarsten Besitz der sozialistischen
Kunst unseres Landes, ja der Welt des Fortschritts... Wo Busch war, war ein
Energiezentrum... Dabei war Busch nie das, was man gesellig nennt. Er machte es
seinen Freunden nicht bequem, er war anstrengend und sein Zorn gefürchtet. Er
verband durch Arbeit, und hier, in der Arbeit, konnte er beispiellos unduldsam
sein. Busch hat es sich nie leicht gemacht, und es ist ihm auch bei uns nicht
immer leicht gemacht worden. Weil er offen gefochten hat, auch mit
Gleichgesinnten. Aber zu keiner Stunde ließ er Zweifel darin aufkommen, auf
welcher Seite der Barrikade er steht. In der Klassenfrage kannte er keine
Kumpanei. Gerade in Zeiten, die manchem undurchsichtiger scheinen und einige
wankend gemacht haben, war es gut, einen Genossen wie Ernst Busch neben sich zu
wissen. Er ist ein Maß. Wer die Fronten wechselt, verlässt auch ihn, wer sie
nicht mehr sieht, hat von ihm nichts begriffen.» (11.6)
1951 hatte Bertolt Brecht über Buschs
Gestaltung des Semjon Lapkin in der „Mutter“ geschrieben: „Busch geht bei der Gestaltung des revolutionären Arbeiters sparsam mit Gefühlen um. Es ist die Sparsamkeit des Mannes mit großen Ausgaben. Diese Menschlichkeit hat Klugheit,
Mut und Zähigkeit zur Verfügung. Das Eminente an Buschs Kunst ist, daß er eine künstlerische Werkzeichnung abliefert. Die
neuen Elemente, aus denen er die Figur baut, machen die Leistung unvergeßlich,
aber sie bewirken auch, daß nur wenige
Zuschauer sogleich gewahr werden, welche
Bedeutung diese Leistung hat. Nicht ohne weiteres nennt ihn jeder einen großen
Schauspieler — wie ja auch das Mittelalter, gewohnt an
die Alchemisten, die Chemiker nicht ohne
weiteres große Gelehrte nannte.“ (11.7)
Alljährlich seit 1981, am 22. Januar
zu seinem Geburtstag, am 8. Juni zu seinem
Todestag, begab sich eine kleine Delegation von Dozenten
und Studenten auf den Weg zu Ernst Buschs
letzter Ruhestätte auf dem Friedhof Berlin-Pankow,
unmittelbar hinter seinem Wohnhaus. Diese kleine Geste der Hochachtung
und der Würdigung des kommunistischen
deutschen Schauspielers und Sängers war
geringster Teil der Bemühungen an der Hochschule,
das Andenken an sein Wirken wach zu halten. Es gehörte zum
Studienprogramm, die Studenten mit dem
erfüllten Leben Ernst Buschs vertraut
zu machen.
Anmerkungen:
11.3
Herbert Jhering, Ernst Busch, In: Herbert Jhering, Von Reinhardt bis
Brecht, Berlin 1961, S. 18 Zurück zum Text
11.4
Ebenda Zurück zum
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11.5
Hans-Joachim Hoffmann, Rede auf dem Trauerakt der Akademie der Künste der
DDR, in: Mitteilungen der Akademie der Künste der DDR, Berlin, Nr. 5/1980, S.
3 Zurück zum
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11.6
Konrad Wolf, Rede auf dem Trauerakt der Akademie der Künste der DDR, in:
Mitteilungen, a.a.O., S. 4 Zurück zum Text
11.7 Bertolt
Brecht über Ernst Busch, zitiert in Theater der Zeit, 1/1980, S. 6 Zurück zum Text
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