12. Ringen um das Profil  (1981-1985)

 

 

 

 

 

12.3  Berliner Schauspieler unterrichten

 

Selbstverständlich profitiert die Berliner Schule von den hauptstädtischen Theatern, deren Intendanten durchweg Verständnis dafür haben, dass Regisseure und Schauspieler ihrer Häuser den Nachwuchs unterrichten. So wird die Ausbildung seit Jahrzehnten von den Praktikern mitgetragen. Gewiss haben die Pädagogen das letzte Wort, aber Praxis und Urteil der externen Lehrkräfte genießen eine große Wertschätzung. Beide Seiten finden sich im Verständnis für eine moderne Ausbildung, worunter keineswegs eine dogmatisch festgeschriebene Maxime zu verstehen ist.

In die zeitgenössischen Praktiken gehen durchaus Auffassungen ein, wie sie zum Beispiel Heinz Dietrich Kenter 1930 formulierte: «Gibt es eine alte — eine neue Methode des Lehrens? Von solcher Frage ausgehen heißt, dem Lehren eine Theorie, den Lernenden ein Programm vorlegen. Nein! Man lehre aus der Struktur des gegenwärtigen Menschen. Man fasse zusammen, wie Verhältnisse, Leidenschaften, Einsichten und Übersichten sich umgeordnet und verlagert haben. Man erfasse die knappere, reinere, oft bis zur Nacktheit klarere Architektur des heutigen Lebens — aber man vergesse nie: Der Sinn der Theaterkunst jeder Zeit ist die Entbindung der Spiel-Lust. Ob man heute noch Klassiker studieren soll, erscheint mir eine an sich müßige Frage. Auch heute berührt der Ewigkeitszug klassischer Werke den Menschen. Man wähle aus. Man verwerfe. Man halte fest. Denn den Lernenden über ein bloßes Aussprechen alltäglicher Gefühle hinaus zur Geltung menschlicher Charaktere zu führen, erscheint mir als das A und O jedes Lehrens. Aber man treibe die Lernenden nicht durch Pathos und Oberflächenbewegung weg vom Klassiker, man treibe sie zu ihm durch eine Psychologie, die Menschen und Vorgänge, Schauspieler und szenischen Raum vom Instinkt aus der Phantasie her vertieft.» (12.7)

Eine gewisse Scheu vor der Theorie hat sich bis heute bewahrt. Selbst an der Hochschule. Die «Architektur des heutigen Lebens» wird allerdings intensiver als je zuvor als künstlerische Herausforderung empfunden. Bei der «Entbindung der Spiel-Lust» werden jedoch andere Prioritäten gesetzt. Nicht primär Instinkt und Phantasie streben interne wie externe Lehrkräfte produktiv zu machen, sondern Bewusstsein und Phantasie. Und wenn in Reinhardts Schule seinerzeit jeder Lehrer letztlich seiner eigenen Methode folgte (gewiss nicht unbeeinflusst von der Sicht des Hausherrn), so kann heute von einer merklichen methodischen Übereinstimmung der Lehrenden gesprochen werden. Sie rührt schon einfach daher, dass zahlreiche Berliner Schauspieler, die extern an der Schule unterrichten, dort ausgebildet wurden. Auf dieser Liste finden sich Namen wie Christian Grashof, Gabriele Heinz, Petra Hinze, Heide Kipp, Dieter Mann, Klaus Manchen, Reinhard Michalke, Wolf-Dieter Panse, Ruth Reinecke und Werner Tietze.

 

 

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Ruth Reinecke             Christian Grashof              Dieter Mann

 

 

Selbstverständlich werden auch Schauspieler als externe Lehrkräfte verpflichtet, die nicht an der Schauspielschule Berlin studiert haben. Da wären zu nennen: Johanna Clas, Annemone Haase, Dietrich Körner, Klaus Piontek, Ulrich Voss, Jutta Wachowiak, Angelika Waller und Harald Warmbrunn.

 

 

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Dietrich Körner

 

 

Schließlich und nicht zuletzt unterrichten Berliner Regisseure. Zu nennen: Ekkehard Dennewitz, Ulrich Engelmann, Horst Hawemann, Peter Kleinert, Thomas Langhoff, Carl-Hermann Risse, Peter Schroth, Brigitte Soubeyran, Helmut Straßburger und Kurt Veth. (12.8)

 

 

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                                        Ulrich Engelmann (mit Anne Kasprik)        Carl-Hermann Risse                          Thomas Langhoff

 

 

 

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Brigitte Soubeyran                               Helmut Straßburger

 

 

Die heterogene Zusammensetzung der Lehrkräfte provoziert ständig gegenseitige Anregungen. Regisseure, gelegentlich aber auch experimentierfreudige junge Darsteller bringen eigenwillige Handschriften ein. Darüber wird in den Auswertungen der Arbeiten im Kreise der Dozenten und auch der Studenten offen gesprochen. Als problematisch ist anzusehen, wenn kurzlebige modische Trends ausprobiert werden, die meist schon wieder vergessen sind, wenn die Studenten die Theaterpraxis erreichen.

 

 

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Peter Kleinert              Peter Schroth

 

 

Obwohl immer wieder „ausprobiert“ werden muss - die Schule ist grundsätzlich keine Experimentierbühne auf Kosten der Ausbildung. Insofern achten die Dozenten darauf, dass vorrangig das schauspielmethodische Arsenal vermittelt wird, dessen Beherrschung Voraussetzung ist für erfolgreiche Arbeit des Absolventen an einem Theater. Internen wie externen Lehrkräften geht es um humanistische, aktivierende, um sozial realistische Schauspielkunst.

In der Mitte der achtziger Jahre fiel auf, dass die von Brecht ausgegangene Schärfung des Gedanklichen — notwendig einst in der Abwehr und Überwindung allgemeinen bürgerlichen Gefühlstheaters — mittlerweile zu einem Schauspielen führen konnte, das gewissermaßen «angekränkelt» war von «des Gedankens Blässe». Um solcher relativen „geistigen Verarmung“ oder „seelischen Austrocknung“ zu entgehen, wurde ein effektvollerer, kräftigerer Ausdruck gesucht - was gelegentlich zu lauter, hektischer, ja hysterischer Aktion führte und zu motivlosem, willkürlichem Schreien statt zu empfindungsreicheren, anrührenderen, emotionelleren Regungen. Hier deutete sich eine andere Art der Verarmung an, nämlich Verzicht auf Vieldimensionalität der Schauspielkunst.

 

 

 

Anmerkungen:

 

 

12.7   Heinz Dietrich Kenter, Vom Unterrichten, in: 25 Jahre Schauspielschule des Deutschen Theaters, Berlin 1930, S. 47    Zurück zum Text

12.8  Vgl. Ensemble der DDR, Berlin 1985, S. 126    Zurück zum Text

 

 

 

 

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