3. Im Sog des ersten
Weltkrieges
(1914-1920)
Gerhard Bienert
als Theobald Maske in Sternheims Lustspiel „Die Hose“
3.4 Gerhard Bienert
in der Aufnahmeprüfung
Im «heißen Juli 1919» versuchte der 1898 geborene Gerhard Bienert —
gerade hatte er zwei Jahre Stellungskrieg als Kavallerist glücklich überlebt -Schauspielschüler zu
werden. Dem Dramaturgen der Volksbühne, Julius Bab, hatte er zwar seinen
Rollenwunsch sagen können, nämlich solche, «die tragisch und komisch
zugleich sind», (3.29) aber zum Vorsprechen war es nicht
gekommen. Nun klopfte er
an die Tür der Reinhardtschen Schauspielschule. «Der Leiter war Berthold Held, ein überaus elegant aussehender Herr,...
zu dem ich sofort tiefes Vertrauen faßte im Gegensatz zum wortkargen Julius Bab.» (3.30) Pünktlich zum Termin erschien Bienert in der ersten Etage der Kammerspiele. «Dort saßen so etwa fünfzehn
blasse und schwitzende Vorsprech-Aspiranten,
und ich setzte mich ebenso blaß und schwitzend und wartete, bis ich aufgerufen wurde. Vom Nebenraum hörte man
ab und zu mehr oder weniger unnatürliche Schreie. Es waren die Vorsprechenden. Ich bemühte
mich, nicht hinzuhören und war eigentlich gar kein Mensch mehr. Als ich meinen Namen hörte, ging
ich hinein, und mein Blick fiel sofort auf das Monokel im Auge von Eduard von Winterstein, den
ich erst zehn Tage zuvor als Faust im Deutschen Theater gesehen hatte. Ebenso waren zu erkennen
Prof. Gregori und natürlich Berthold Held. Die andern kannte ich nicht. Held fragte mich, was ich
vorsprechen wolle.
Da ich meine Vielseitigkeit hatte beweisen wollen, war ich auf Melchior
Gabor («Frühlings Erwachen»), den Shylock und den Hamlet vorbereitet. Beim Melchior Gabor und
Shylock unterbrach mich Held schon in der Mitte meines Vorhabens, und zum Hamlet kam ich gar
nicht erst: Ich bekäme Bescheid, meine Adresse hätten sie ja! Trotz der
Freundlichkeit von Herrn Held glaubte ich, alles sei aus, ging nach Haus und
wartete. Meinen Eltern hatte ich natürlich nichts von meinen kühnen
Berufsplänen gesagt. Und nach vierzehn Tagen kam tatsächlich der Bescheid per
Postkarte: aufgenommen in die Schauspielschule! Es war der schönste Tag meines bisherigen
damaligen Lebens...» (3.31)
Gerhard Bienert als Lehrer in Gorkis „Mutter“ (links Ernst
Busch)
Gerhard Bienert erinnert sich an die Schulzeit, an die Sprecherzieher: «Nett
waren sie alle, aber zumeist überlebte Vertreter reinsten und infolgedessen schrecklichsten
Mimentums. Das Zungen-R war obligatorisch, so daß ich nach Abschluß der Schule von Kollegen auf meine in
diesem Punkt "komische" Diktion direkt angesprochen wurde. Aribert
Wäscher und Paul Günther korrigierten mich mit freundlichem Nachdruck.» (3.32) Wenig schmeichelhaft urteilt Bienert: «Der Schulbetrieb war
reichlich altmodisch. Als einziger Lehrer spielte nur noch der betagte, kurz
darauf gestorbene Professor Ferdinand Gregori Theater. Ich sah ihn als Mephisto
- stark pastoral. Auch Berthold Held war ja durchaus nicht mehr der Jüngste.
Ich erinnere mich seiner wunderbar gütigen Plüschaugen; für viele von uns war er eine
... Vaterfigur.» (3.33)
Gerhard Bienert, dessen Unterschrift im Absolventenbuch der Schule sich neben denen von
Werner Pledath (Absolvent 1921, nach 1945 am Deutschen Theater), Werner Hinz
(1922), Friedrich Domin
Werner Pledath (Absolvent 1921) Werner Hinz (Absolvent 1922)
(1922) findet, hat am Deutschen Theater, in
den Kammerspielen, im Film und im Fernsehen bis in die Gegenwart viele Rollen
gespielt, mit denen er sich dem Publikum als ein trocken-schnoddriger, vitaler
Berliner Volksschauspieler einprägte. Gerhard Bienert verstarb 1986.
Aus dem Kreis der Absolventen der 20er Jahre sind noch Mathias Wiemann zu nennen und Annemarie Hase, die nach ihrer Rückkehr aus der Emigration 1947 am Deutschen Theater und am Berliner Ensemble wirkte.
Annemarie
Hase
Anmerkungen:
3.29
Gerhard Bienert, Ja, aber du, Gerhard?, in:
Schauspieler erzählen über sich und andere, Berlin 1980, S. 94 Zurück zum Text
3.30 Ebenda Zurück zum Text
3.31 Ebenda Zurück zum Text
3.32 HS-Archiv, Bl. B/33
3.33 HS-Archiv, Bl. B/34 Zurück zum Text
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