„The House of Yes“ am
Maxim Gorki Theater Berlin, Regie K.D. Schmidt
Die Sitten der Upper-Class
Die erfolgreiche amerikanische Dramatikerin Wendy MacLeod, die mit der Inszenierung ihres Schauspiels »The House of Yes« am Berliner Maxim Gorki Theater erstmals auf einer deutschsprachigen Bühne zu sehen ist, hält ihre Stücke für »tragische Stoffe, die als Komödien getarnt sind«. Was das vorliegende Werk betrifft, könnte man auch sagen, es ist eine grimmige Sozialsatire, getarnt als gängiger Reißer. So dramaturgisch fragwürdig die Verquickung des Inzests der Geschwister Jackie und Marty Pascal mit dem Mord an J. F. Kennedy und der »Ikone«, der späteren Jackie Onassis, scheinen mag, just damit gelingt der Autorin ein drastisches Sittenbild der dekadenten Upper-Class der USA.
Die Tochter eines CIA-Angestellten und einer Bibliothekarin
kennt sich aus bei den Leuten, über die sie schreibt. Und sie hat das Talent,
mittels brüchiger, nur gelegentlich etwas gestelzter Dialoge plastische Figuren
und Vorgänge zu erfinden. Ein »Fressen« für Schauspieler! Aber die fast völlige
Identifikation, mit der Regisseur K. D. Schmidt den Fall im praktikablen Bühnenbild
Hansjörg Hartungs in der Studiobühne komödisch anbietet, verführt den Zuschauer
zu Kritiklosigkeit auch dort, wo Vorbehalte angebracht wären.
Ursula Werner allerdings bringt sehr differenziert eine
Wertung ins Spiel, schafft Sympathie wie Distanz und damit eine ganz eigene
Qualität von Schauspielkunst. Eine mondäne, zu absoluter Gefühlskälte
abgeklärte Mutter und Hausherrin Mrs. Pascal residiert in ihrem Heim. Sie
schwelgt still im Wissen um ihre Macht, setzt kleine überlegene Gesten mit
eleganter Lässigkeit, bequem in sich ruhend, die kaputte Welt wie ihre kaputten
Kinder insgeheim irgendwie sogar genießend, weil im Grunde fertig mit diesem
Leben. Ob sie ihren Mann am Tage des Kennedy-Mordes umgebracht hat oder ob er
ihr davongelaufen ist, wie von den Kindern angedeutet, scheint gleichgültig
angesichts der widerlichen Story, die nun läuft.
Für Mutter überraschend kommt Sohn Marty mit seiner
Verlobten Lesly zu Besuch ins Elternhaus, das er schwer verwundet verlassen
hatte. Seine Schwester Jackie, mit der er im Inzest lebte, hatte ihm aus
Eifersucht in den Bauch geschossen und war daraufhin in einer Irrenanstalt
aufbewahrt worden. Wieder zu Hause, kann sie nur mit Pillen einigermaßen auf
Normalspur gehalten werden. Nun also kommt der Bruder mit einer anderen, einer
armen kleinen Angestellten bei Donald King. Und der irre Tanz geht von vorne
los. Allerdings noch verrückter als bislang. Denn während im Wohnzimmer Jackie
so raffiniert wie besitzgierig ihren Bruder Marty erneut verführt, vernascht
derweil Anthony, ihr jüngerer Bruder, die ahnungslose Lesly. Am nächsten Morgen
sorgt Mutter Pascal dafür, daß alles an den Tag kommt. Da Marty geneigt ist,
seiner Verlobten zu verzeihen, greift Jackie noch einmal zum Revolver, inzwischen
gekleidet wie die »Ikone« Jackie-O...
Till Weinheimers Marty ist von schöner männlicher
Geradlinigkeit, Anna Steffens' Jackie von verführerischer spröder Leidenschaft
und voll irrer Unruhe. Harald Schrott gibt Anthony als einen fahrig-freundlichen
großen Lümmel, dem man nicht böse sein kann. Und Regine Zimmermann spielt eine
herrlich naive Lesley. Aber die jungen Schauspieler, so glänzend situativ sie
agieren, werten ihre Figuren nicht, sondern stellen sie vorbehaltlos vor.
Neues
Deutschland, 24. Dezember 1997