„Der letzte Yankee“ von Arthur Miller am
Renaissance-Theater Berlin, Deutsche Erstaufführung, Regie Heinz Kreidl
Auswege aus der Tragödie, die wir leben?
Das ist ein Stück für Ehepaare. Insbesondere
für Mann und Frau, die es schon einige Jahre zusammen ausgehalten haben. Selbst
bei denen gerät das gut gemeinte Miteinander unter Umständen aus heiterem Himmel
in eine Krise. Ein Satz, ein Wort, arglos ausgesprochen, kann eine Lawine von
Mißverständnissen auslösen. Sind die Partner nervlich gesund, renkt sich früher
oder später alles ein. Sind sie freilich anfällig, anfällig geworden im Für-
und Gegeneinander, kann es geschehen, daß der Schwächere, meist wohl die Frau,
ernsthaft psychisch erkrankt.
Mit zwei Fällen macht Arthur Miller in seinem
jüngsten Stück „Der letzte Yankee" bekannt, 1993 in New York uraufgeführt,
jetzt am Berliner Renaissance-Theater in deutscher Erstaufführung zu sehen.
Zwei Fälle, die durchaus allgemeingültig sind, obwohl sie amerikanische
Verhältnisse zum Hintergrund haben.
Das eine Ehepaar: Leroy (Günter Lamprecht),
ein einfacher, redlicher Tischler, der mit seiner Frau Patricia (Claudia Amm)
sieben Kinder in die Welt gesetzt hat und es einfach nicht fertig bringt,
andere auszutricksen. Er verkauft seine Arbeit zu billig und kommt mal gerade
so über die Zeiten. Doch seine Frau, eine nach Wohlhabenheit strebende Schwedin, verkraftet den ewig aufreibenden Lauf entlang des sozialen
Abgrundes nicht. So hat er sie schon zum dritten Mal in eine Nervenheilanstalt gebracht.
Dort, in einem Warteraum für Angehörige und Besucher (Bühnenbild A. Christian
Steiof), trifft Leroy auf den robusten Unternehmer Frick (Hans Teuscher), der seine Frau Karen (Kyra Mladeck) zum ersten Mal behandeln läßt. Dieses Ehepaar: reich, wohlhabend. Frick hat keine Kinder und nur das Geschäft im Kopf. Seine Frau ist ihm ein Rätsel. Sie hat alles, was sie sich nur wünschen kann. Und dennoch überfällt sie aus heiterem Himmel
panische Angst. Weil sie nämlich zu
sensibel ist, viel zu empfindsam
für den Herren Düngemittelfabrikanten,
der neuerdings sein Heizölgeschäft aufbaut.
Die Begegnung der
beiden Männer ist von Regisseur Heinz
Kreidl - wie überhaupt jede Szene des Stückes - psychologisch sehr genau geführt. Da stimmt wirklich alles. Wenn der egozentrische Frick, der
neugierig und ungewollt aufdringlich auf Leroy einredet, so nebenher die Sonnenblende am Fenster öffnet, trommelt Leroy nervös, aber zurückhaltend mit den Fingern auf seinem Knie, schirmt dann die
Augen ab, baut Widerstand auf gegen den scheinbar umgänglichen, in Wirklichkeit
rücksichtslosen Frick. Beide Darsteller wie auch Claudia Amm und Kyra Mladeck
agieren hervorragend.
Miller liefert psychodramatisch ausgelotete
Situationen und Dialoge, die zu natürlichem und differenziertem Spiel
verlocken, das sie freilich auch nötig haben, wenn die im Grunde alltäglichen
Konflikte ästhetisches Gewicht bekommen sollen. Der Dramatiker sieht sein Stück
als „eine Komödie über eine Tragödie, und die Tragödie ist, wie wir
leben". Dabei sucht er nach Auswegen. Miller, der in den fünfziger Jahren
mutig dem McCarthy-Ausschuß trotzte, der in seinen Stücken immer die Hoffnung nährte,
daß es außer Geldverdienen noch eine Wirklichkeit geben müsse, Miller lenkt
ein, glaubt nicht mehr an diese andere Wirklichkeit. Leroy, seinen Helden, läßt
er zur ungeduldigen Frau sagen: „Mehr können wir nicht erwarten. Für mich ist
es allerdings schon wunderbar genug - ich meine, die Kinder und manchmal so
eine klare Morgenstunde, wenn man die Luft und den Sonnenschein am liebsten
trinken möchte." Leroy will der letzte Yankee sein, will den
amerikanischen „Way of life" nicht gehen, will sich bescheiden. „Wir leben
in dieser Welt", erklärt er, „und wir müssen eine Möglichkeit finden, sie
zu lieben!" Wie macht man das?
Leroy und Patricia glauben, die Antwort
gefunden zu haben. Patricia nimmt nämlich die Tabletten nicht mehr, die sie
seit Monaten vom Arzt verabreicht bekommt, und ist, offenbar nie ernsthaft
erkrankt, auf dem Weg der Genesung. Sie ringt um eine neue Lebenshaltung. Und
als sie den engstirnigen Frick erlebt, begreift sie urplötzlich, welch gute
Wahl sie letztlich mit Leroy getroffen hatte. Karen hingegen stürzt nur noch
tiefer in ihre Depressionen. Ihre Neigung zu tanzen,
ausgerechnet Step zu tanzen, wobei sie sich löst, wobei sie auflebt, wird von
ihrem Gatten brüsk als verrückt diffamiert. Karen wird sich wahrscheinlich von Frick
trennen müssen, um gesunden zu können.
Doch so sehr der einzelne
sich einzupassen versucht, ein Stoßseufzer Patricias wird nur zu wahr bleiben.
„In diesem Land", sagt sie, „muß ja jeder mit ein bißchen gesundem Menschenverstand
depressiv werden."
Neues
Deutschland, 10. Januar 1995