„Woyzeck“ von Georg Büchner am
Schauspiel Bonn, Regie Valentin Jeker
Der Hungerleider wird liquidiert
Das 30. Theatertreffen Berlin brachte
das Schauspiel Bonn mit Georg Büchners „Woyzeck" in die Hauptstadt - mit der
prosaischsten, lärmendsten Inszenierung des Fragmentes, die mir je unter die Augen
gekommen ist. Ernüchternd inhomogen schon das Bühnenbild (Thomas Dreißigacker).
Im Hintergrund eine Barriere aus aufgereihten Holztüren und grau-bunten
Brettern. Darüber schwebt eine weiße Platte, mal als Spielfläche
heruntergelassen, mal als Dach des Wirtshauses gebraucht, auf dem der eifersüchtige
Woyzeck hockt. Links an der Rampe sind Schlafkojen der Soldaten nach oben hin
aufgereiht wie Schließfächer. Rechts steht eine funktionslose Holztreppe.
Kaltes Licht immerzu. Nun gut. Büchners Text ist vielen Interpretationen offen.
Ein Kriterium indessen scheint mir
unverzichtbar: Lebendiger Sinn muß da sein für die Plastizität Büchnerscher Sprache,
also behutsamer Umgang mit der Helligkeit und der Abgründigkeit seiner Gedanken.
Aber gerade hierin blieb Regisseur Valentin Jeker alles schuldig.
Bekannt ist die schon bei der
Herausgabe des Textes aufgekommene philologisch-editorische Problematik, die
immer neu zu entscheidende Frage, welche Szenen in welcher Reihenfolge zu
zeigen sind und wie der Schluß zu fassen sei. Ein Regisseur, der Woyzeck durch
eine unsichtbare Militäreskorte exekutieren und den Befehl hierzu vom
stockschwingenden Hauptmann geben läßt, will offenbar kein Nachdenken des Zuschauers
über den Schluß hinaus. Er offeriert vielmehr demagogisch die Botschaft: So etwas
Asoziales wie dieser Hungerleider Woyzeck gehört - ohne Justiz versteht sich -
liquidiert. Punktum. Büchner zur Dutzendware degradiert.
Herr Jeker schreibt auch im übrigen
eine grobianische Handschrift. Das Marktschreierische der Gaukler-Szene setzt
sich bei ihm fort. Seine Spieler brüllen andauernd (ganz schlimm der Doktor
des David C. Bunners). Sie bringen Sätze und Worte nicht als Empfindung,
sondern als Information. Folglich geraten auch die Beziehungen der Figuren
leer und lediglich theatral arrangiert. Wenn Woyzeck (Rudolf Kowalski) den Hauptmann
(Helmut Grieser) gewaltsam auf einen Stuhl drückt, erzählt das nichts über die
Figuren und ihre sozialen Befindlichkeiten, sondern belegt lediglich
situationswidrige Regieführung. Karl, der Idiot, hantiert fortwährend mit
Maries Kind wie mit einem fühllosen Stück Holz. Die Kinder, herumtollende
bizarre Halbwüchsige, werden als Staffage eingesetzt. Das Militärische wird
ständig mit schrillen Kommando-Pfiffen eingebracht. Aktionismen. Keine Ruhe für
die Poesie der Geschichte.
Marie (Susanne Seidler) und der
Tambour-Major (Uwe Kramer) veranstalten ein Bettlaken-Gezerre mit anschließendem
Übereinander-Herfallen. Kaum lebensstrotzende Sinnlichkeit der Marie, kaum
selbstbewußte Männlichkeit des Verführers. In Ansätzen Konturen bei Kowalskis
Woyzeck. Hilflosigkeit der Kreatur stellt sich her. Dennoch ist da kein
sensibler, körperlich ruinierter, von seinen Eingebungen und Erkenntnissen
getriebener Mensch. Ein wild Eifersüchtiger agiert. Prosaisch ein Mörder
eben... Buh-Rufe für den Regisseur.
Neues
Deutschland, 10. Mai 1993