„Woyzeck“ von Georg Büchner im theater 89 Berlin, Regie Hans-Joachim Frank
Start mit Georg Büchners „Woyzeck“
Die Schauspielgruppe „theater 89",
inhomogen zusammengesetzt aus an Berliner Bühnen beschäftigten und aus
freiberuflichen Darstellern, zeigt Georg Büchners „Woyzeck". Es ist dies
ein erster Versuch, sich außerhalb der etablierten und renommierten Theater zu
profilieren. Wobei die Gruppe mit einer gehörigen Portion Optimismus ans Werk
geht.
Ohne Sponsoren, das ist klar, tut sich gar
nichts. Fürs erste unterstützte die Kleine Bühne „das Ei" vom
Friedrichstadtpalast. Und der JoJo-Klub in der Wilhelm-Pieck-Straße stellte
seine Räume zur Verfügung. Womit ein Anfang gemacht ist. Ob sich Erfolg einstellt,
wird sich zeigen.
Die Gruppe spielt ästhetisch engagiert. Nicht Ausweichen in marktfähige Unterhaltung scheint für sie angesagt, sondern Reibung mit Realität. In unserer bewegten Zeit fallen nicht nur Dogmen. Jeder Bürger ist gleichsam auf den Urgrund sozialen Seins zurückgeworfen. Das schafft Affinität für Büchners „Woyzeck". Die existentielle Not des armen Teufels hat plötzlich etwas mit Erbarmungslosigkeiten zu tun, die — modifiziert — auch in unserem Alltag erfahren werden können.
Die vorwiegend jungen Zuschauer harrten aus,
obwohl die räumliche Konstellation im Klub für Kommunikation zwischen
Guckkastenbühne und Publikum denkbar ungünstig ist. Offenbar hielt sie das
Spiel gefangen. Regisseur Hans-Joachim Frank gelang in der Tat eine szenisch dichte,
die soziale Bedrängnis Woyzecks und seiner Marie glaubhaft machende Aufführung.
Was schwierig war in dem von Anne-Kathrin Hendel installierten Bühnenbild:
einem auf Eisenroste gestellten, nach vorn offenen und seitwärts mit Spiegeln
versetzten Drahtkäfig. Etwas vordergründig die Symbolik. Aber Frank inszenierte
sinnliche Menschen hinein.
Der Woyzeck von Eberhard Kirchberg ist ein
redlicher Plebejer, der sich immer tiefer in seine Ahnungen und Erkenntnisse
über die Ungerechtigkeiten dieser Welt verstrickt: „Ich glaub, wenn wir in den
Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen." Ausgerechnet Marie, sein
einziger Halt im Diesseits, verrät ihn. Das verkraftet er nicht. Kirchberg
spielt einen Mann, der seinem Leid nichts entgegensetzen kann. Die „Hirnwütigkeit"
widerfährt ihm, sie quält sich in ihm hoch, ohne daß sie ihn ganz beherrschen
könnte. Nicht im Irresein tötet dieser Woyzeck, sondern aus seelischer Not.
Gabriele Heinz stellt eine reife Marie dar.
Das ist keine sich ob ihrer Leidenschaft dem Tambourmajor willenlos
ausliefernde Frau. Dieses Weib behauptet sich selbstbewußt, das Schicksal
herausfordernd. Nicht Demut holt sie sich aus der Bibel, sondern Trotz. Sie reißt eine Seite aus und
verbrennt sie. Das Leben ist kurz, weiß sie, ihr nur einmal gegeben. Also will
sie es zu leben versuchen. Und sie stirbt lange nicht, wenn Woyzeck auf sie
einsticht.
In weiteren Rollen Heike Jonka, Peter Hladik,
Jörg Panknin und Achim Wolff.
Vielleicht wird „theater 89" im
JoJo-Klub eine gute Adresse. Der herzliche Beifall zur Premiere spricht dafür.
Neues
Deutschland, 21. Februar 1990