„Nackt in Wien“ von Werner Buhss am Schauspielhaus Karl-Marx-Stadt, Regie Werner Buhss

 

 

Vom Versuch, dem „Weltmist“ einen Sonnenstrahl abzugewinnen

 

 

Wenn ein Autor die Uraufführung seines eigenen Stückes übernimmt, ist zu hoffen, daß der Zuschauer Authentisches zu sehen bekommt. Nämlich das theatrale Geschehen so, wie es sich der Erfinder vorgestellt hat. Im Karl-Marx-Städter Schauspielhaus scheint mir dies im wesentlichen der Fall.

Dort inszenierte der gelernte Filmregisseur Werner Buhss seine 1988 entstandene Komödie „Nackt in Wien". Dem Text wohnt ein melancholisches Ressentiment inne gegenüber den Möglichkeiten der Künstler, in die Gesellschaft zu wirken. Ein anderer Inszenator hätte es so einfühlsam wahrscheinlich nicht herausgefiltert.

Buhss benennt Abhängigkeiten — das tragische, auch komische Ausgeliefertsein der Künstler an die, die jeweils die Macht haben, Kunst zu fördern oder zu dulden, sie angemessen zu bezahlen, wenn sie sie nicht überhaupt verbieten. Buhss beklagt, und das ist seine Wehmut, wie ohnmächtig Kunst letztlich ist.

Der Autor, Jahrgang 1949, als Stückeschreiber ausgewiesen mit Texten wie „Die Festung" (1986), „Tagebuch eines Wahnsinnigen" (1987), „Nina, Nina, Tam Kartina" (1988) und „Pour le merite" (1988), ist auf dem Wege, sich von prominenten Vorbildern wie etwa Heiner Müller freizuschreiben und als Dramatiker unverwechselbar zu profilieren. Ob auch publikumseffektiv, muß sich zeigen.

Dagegen zu sprechen scheint mir, daß er seine Konflikte mit einer gewissen, die Gegensätzlichkeiten in die Länge ziehenden umständlichen Redseligkeit abhandelt. Dafür spricht sein Talent, plastische Kunstfiguren zu entwerfen, auch da, wo er sich historischer Gestalten bedient wie bei diesem Stück. Er läßt einen Schreiber erkennen, der Psychologie auf der Bühne will und Vorgänge zwischen Menschen, aber nicht in naturalistischer Detailtreue, sondern in einer alle Stilelemente des Theaters dieses Jahrhunderts nutzenden und mischenden originell eigenen ästhetischen Legierung.

Der Handlungsort ist also Wien, etwa um 1787, als Mozart die Oper „Don Giovanni" komponierte. Ein Maitre de plaisir namens Niekitzsch schminkt sich vorm eisernen Vorhang links an der Rampe für seinen Auftritt. Er räsoniert über die Kaiserstadt Josephs II. und über die Picanterien der routinierten Maskenbälle. Er stülpt sich eine lang-lockige Perücke über den Schädel und tapst in großen Clownspantinen griesgrämig, aber arbeitswillig los in die Szene, in den häßlichen, nüchternen Vorraum eines Ballsaals (Bühnenbild: Dietmar Roepke).

Dort mopsen sich die Bedienten, welche die ganze Feierei — bis auf ihr Gehalt — nichts angeht. Niekitzsch drangsaliert sie gelegentlich, weil auch er drangsaliert wird, und zwar vom Hofmarschall, der ausforschen möchte, wer den Ball veranstaltet. Womit „Geheimnisvolligkeit" ins Spiel kommt. Andererseits wird helle: Dies anonyme, rauschende Üppigkeit vortäuschende, im Grunde triste Fest steht als Metapher für arrogante Festivitäts-Duselei eines herrschenden Klüngels der Staatsmacht. Für dessen Vergnügen sorgt gegen ein Entgelt Zeremonienmeister Niekitzsch. Und Mozart.

Der geniale Kompositeur hat sein Klavier rechts an der Rampe. Für einen Apfel und ein Ei unterrichtet er den maliziösen Thronfolger. Vom Hofmarschall wird er verdächtigt, eine Revolution im Kopfe zu haben. Unerwartet besucht und unterstützt ihn die geheimnisvolle Person, die den Ball initiierte und nach der der Hof fahndet: Casanova. Der inzwischen ergraute Abenteurer hatte, so behauptet Joseph II. im Stück, ein Techtelmechtel mit der kaiserlichen Mutter, mit Maria Theresia. Was Casanova bestätigt und weswegen er vom Schloß Dux noch einmal nach Wien aufgebrochen ist.

Gegenüber Mozart tritt er als Europäer auf. Er prophezeit ihm Jahrtausend-Musik, wirft ihm aber vor, sich vom Wiener Hof malträtieren zu lassen. Gekommen ist er, um ein spektakuläres Gaudi gegen Joseph II., „den Sohn einer alten Hure", zu arrangieren, und zwar, weil der Kaiser den Mozart nicht so behandelt und bezahlt, wie er es verdient hätte. Freilich schickt er den Komponisten selber vor. Er möge, so Casanova, auf dem Maskenball als ein Denkmal erscheinen, das provokant Maria Theresia darstellt, womit der Kaiser schockiert werden soll. Mozart tut's — doch der erwartete Eklat bleibt aus. Der Hofmarschall qualifiziert Mozarts politischen Auftritt leger als „kindisch" ab.

Am Ende hat sich der alte Clown Niekitzsch eine Kugel durch den Kopf gejagt. Er wollte nicht mehr der gedemütigte, als Denunziant mißbrauchte Hofnarr sein. Mozart hingegen lebt. Doch er steht „nackt" in Wien — allein, geduldet zwar, aber mißachtet. „Je mehr sie mir verbieten", bekennt er, „desto größer wird die Lust. Lieber nackt durch Wien als Narr anstatt als goldgewebter Bettler." Mozart läßt sich nicht kaufen. Trotzig versucht er, mit seiner Musik „dem Weltmist einen Sonnenstrahl abzugewinnen". Sein Versuch indessen, unmittelbar politisch wirksam zu werden, scheitert kläglich.

Das wäre nun freilich ein Punkt gewesen, den ich mir drastischer akzentuiert gewünscht hätte. Schon der Dramatiker Buhss hat hier aber gestalterische Probleme, nämlich Haupt- und Nebenhandlungen schicklich über die Runden zu bringen. Geheimnisumwitterte Ahnungen platzen wie Seifenblasen: Ein ab und an auftretender seltsamer Herr in Grau entpuppt sich als ein harmloser Ehemann, der sein Weib auf dem Ball sucht. Und die fortwährend wie etwas dümmliche Sicherheitsbeamte operierenden Herren Selch und Müller sind ebenfalls nur harmlose Ehemänner. Über derlei hochgestapelte Nebensächlichkeiten gerät die Schlüsselpointe der Komödie — Mozart erfolglos als weiblicher Komtur, als höllische politische Herausforderung — dramaturgisch glattweg ins Aus.

Und der Regisseur Buhss tut ein übriges. In besagter Szene rufen vor den Fenstern des Wiener Ballhauses plötzlich engagierte DDR-Bürger ihr inzwischen weltberühmtes Bekenntnis: Wir sind das Volk! Dann singen sie Teile der Nationalhymne. Dagegen ist nichts einzuwenden. Es war und ist unsere lebendige Wirklichkeit. Aber die Inszenierung geht aus den Fugen. Ich fürchte, hier behandelte der Regisseur den Autor denn doch nicht authentisch.

Ansonsten überzeugt die Aufführung. Stefan Schwenninger gibt den Hofmarschall als einen Sicherheitschef von eiskalten Manieren. Lutz Salzmanns Mozart ist ein leidenschaftlicher junger Mann, dessen Aufbegehren elementar ist, ganz aus dem urwüchsigen Anspruch eines Genies. Vielleicht lassen sich Unverdrossenheit und auch Verzagtheit dieses Tapferen stärker verinnerlichen. Wolfgang Sörgels Niekitzsch ist von Anbeginn ein gebrochener Mann, dem es nicht gelingt, sein bißchen Frieden mit der Welt zu machen. Den Casanova gibt Angelika Böttiger als einen ausgebrannten, nur noch mechanisch, aus manischem Antrieb agierenden einstigen Schönling von sturer Besessenheit. Zu beachten Christine Hoppe als exzentrischer, boshafter Thronfolger. In weiteren Rollen Bernd Herold (Joseph II.), Gerhard Hähndel (Selch) und Holger Hübner (Müller).

Eine melancholische Komödie, ganz ohne Zweifel, mehr tiefe Nachdenklichkeit verursachend denn befreiendes Lachen. Der Beifall des Premierenpublikums war unverkennbar herzlich.

 

 

 

Neues Deutschland, 24. Januar 1990