„Wessis in Weimar“ von Rolf Hochhuth am Schloßpark-Theater
Berlin, Regie Rolf Hochhuth
Mächtiger Qualm aus den Kulissen
Welch befremdlicher Ehrgeiz eines erfolgreichen Bühnenautors! Statt sich einen Regisseur zu suchen, der seinen nach wie vor hochbrisanten Text »Wessis in Weimar« wirksam auf die Bühne bringt, friemelt er selbst herum und erweist sich und seinem Werk einen Bärendienst. Auch die Holzapfel-Stiftung, unter deren Etikett die Texte jetzt am Berliner Schloßpark-Theater herausgekommen sind, ist damit nicht eben ins beste Licht gesetzt.
Man mag verstehen, dass Rolf Hochhuth nach der
gewalttäterischen Nutzung der Vorlage durch Einar Schleef (Uraufführung 1993
am Berliner Ensemble) keinem Inszenator mehr über den Weg traut. Aber dass er
überhaupt niemanden findet, der sich werkwillig für diese politischen Texte engagiert,
kann ich nicht glauben. Die vom Autor gründlich recherchierten »Szenen aus
einem besetzten Land« sind zwar keine Meisterstücke, doch so beunruhigend
wahr, dass sich noch heute jene im Zuschauerraum laut mokieren, die die Untaten
der »Besatzer« lieber verschwiegen wissen möchten.
Dass überhaupt empfindlich reagiert wird, ist allerdings
schon ein Erfolg. Die Gesellschaft der Bundesrepublik mittels Theaterkunst
wirklich und nachhaltig aufzuschrecken, gelänge heutzutage vielleicht einem
Bertolt Brecht, auch einem Heiner Müller. Rolf Hochhuth - immerhin einziger
prominenter deutscher Dramatiker, der die Wiedervereinigungs-Kriminalität zum
Thema machte, wofür er Dank verdient - hat leider als Regisseur das Format
nicht, den argumentierenden und oft illustrierenden Szenen auf der Bühne bewegende
Authentizität zu verleihen.
Seine konventionell theaternde Inszenierung macht die
Problematik lächerlich, statt ihre sagenhafte Ungeheuerlichkeit unerbittlich
offen und hart zu dokumentieren. An diesem Abend erschüttern nicht menschliche
Schicksale, sondern die Unbeholfenheit, mit der ein Schreiber mit seinem Text
umgeht.
So wurde leider die Chance vertan, nach dem ersten
Dezennium deutscher Einheit wenigstens diesem oder jenem westberliner
Zuschauer in Erinnerung zu rufen, was sich ab 1990 im Neu-Bundesland abgespielt
hat: Gauner aller Schattierungen bereicherten sich an Volkseigentum, das die
Ostbrüder und -schwestern ohne Dollarspritze und trotz Reparationen in jahrzehntelanger
mühseliger Arbeit aus Kriegsruinen wertgeschöpft hatten.
Beim Lesen der Szenen erregt die Polarität zwischen
dokumentarischer Information und dialogischer Aufbereitung des jeweiligen
Falles, schon seit »Der Stellvertreter« (1963) und vor allem »Juristen« (1980)
die eigenartige, komplizierte Gestaltungsweise Hochhuths. Aber - ich wiederhole
mich - er hat kein Regiegespür. Am auffälligsten wird das bei »Philemon und
Baucis«, tapfer durchgestanden von Christa Pasemann und Ernst Steiner. Die
beiden Altbauern, geprellt schon von den ehemaligen, nun auch von den neuen
Machthabern, hängen sich auf. Statt die Tötungsabsicht nur anzudeuten und dann
schlicht von einem Sprecher mitteilen zu lassen, wie viele Selbstmorde im
nämlichen Dorf zu beklagen sind, wird der makabre Vorgang umständlich ausgespielt
und kippt ins fatal Lächerliche weg.
Dass sich zwingende Authentizität nicht herstellt, liegt auch am
Bühnenbild (Johannes Grützke/ Christoph Haupt), das mit hübsch bemalten
Leinwand-Versatzstücken nicht Realität assoziiert, sondern eher den
Komödien-Stadl. Wenn's am Ende aus der Papp-Kulisse mächtig qualmt, um jenen
Brand zu signalisieren, den einst enteignete und nun neuerlich betrogene Erben
in einem thüringischen Waldschloss legten, wird das moralische Anliegen
Hochhuths endgültig bühnenästhetisch erledigt.
Selbst Schauspielerinnen und -spieler wie Michaela
Caspar, Susanne Wagner, Uwe Steinbruch und Erich Schleyer können das Fiasko
nicht abwenden. Wie leicht für die zahlreichen Buh-Rufer, mit ihrer Schmäh für
den Regisseur auch die Wahrheit zu treffen.
Neues Deutschland, 14. Dezember 1999