„Der Weltverbesserer“ von Thomas Bernhard am Deutschen Theater Berlin, Regie Johannes Schütz

 

 

 

Misanthropisch

 

Erfreuliches Wiedersehen mit Margarete Taudte am Deutschen Theater in Berlin. Unter Wolfgang Langhoffs Regie spielte sie 1954 neben Ernst Busch (Mephistopheles) und Wolfgang Langhoff (Faust) die Margarethe in Goethes »Faust«. Ihr gefühlsreiches Gretchen, zwar rührendes Opfer, wuchs zur tragischen Heldin. Seelische Kraft war das mimische Potential der jungen Darstellerin und ist es heute.

Jetzt spielt Margarete Taudte in Thomas Bernhards hintergründiger Komödie »Der Weltverbesserer« die alte, an der Seite des Titelhelden ergraute Lebensgefährtin als eine unverdrossene große Dulderin. Zwar ist deren Seele wund, weil vielfach geschunden in zwei Jahrzehnten ungleichen Zusammenlebens, dennoch ist sie noch immer gern bereit, das leiseste Zeichen von Zuneigung des gemütsrohen Partners zärtlich zu erwidern. Mit zurückhaltender Sensibilität gibt die Schauspielerin dem gedemütigten Weib die unübersehbare Präsens einer Frau, die weiß, im unfairen Kampf letztlich die moralische Siegerin zu sein.

Seinen Kampf führt der eitle »Verbesserer« zwar gegen die ganze Welt, aber weil die sich nicht packen läßt, kriegt alle verzweifelten Hiebe seine Lebensgefährtin ab. Auch an dem Tage, an dem dem gelahrten Philosophen die Doktorwürde verliehen werden soll für ein ohnmächtiges Traktat, das ihm Geld und Ruhm eingebracht, das jedoch niemand verstanden hat. Es handelt von der Verbesserung der Welt durch deren Abschaffung. Wofür offenbar großer Bedarf besteht, denn das spinnerte Papier ist mittlerweile in 38 Sprachen übersetzt; ohne indessen das geringste bewirkt zu haben, außer der Entscheidung der Frankfurter, den ungefährlichen Sülzkopf in der Paulskirche mit einer Kette zu ehren und ihm nun auch noch einen Doktorhut zu verpassen.

Diesen Ehrentag im Leben des »Weltverbesserers« schildert der österreichische Stückeschreiber Thomas Bernhard, berühmt wegen seiner nonkonformistischen theatralischen Lamentos, ausführlich als ein urkomisches Statement verkrüppelter Aufmüpfigkeit. Johannes Schütz hat die 1980 in Bochum "uraufgeführte Komödie jetzt am Deutschen Theater mit Jürgen Holtz in der Titelrolle werkdienlich inszeniert. Der Regisseur, erfahrener Bühnenbildner, zu Hause einst an den Westberliner Staatlichen Schauspielbühnen, versteht sich auf verhalten spöttisches Spiel. Er baute zwei karge Wände, sich im Hintergrund treffend, zu einem dreieckigen Raum, in dessen Zentrum der kränkelnde, schwerhörige Weltverbesserer im Nachthemd auf einem Stuhle sitzt und sich, mit einem Hörrohr bewaffnet, raunzend und giftend dem Tag stellt.

In der Gestaltung von Jürgen Holtz, bekannt auch durch seinen quengeligen TV-Motzki, mag man dem verbitterten Traktat-Schreiber nicht gram sein. Ist da eine echte Kapazität an der Welt zerbrochen? Oder foppt ein Scharlatan geschäftstüchtig seine Zeit? Der Autor hat ziemlich offen gelassen, ob dereinst ernsthaftes Aufbegehren waltete. Holtz' Geistesheld ist gebeutelter Verkünder und gewiefter Clown zugleich. Sein Misanthrop - der auch die Natur haßt und die Kunst obendrein, was er immer wieder glaubwürdig begründet, obwohl er zunehmend wirr von Gedanke zu Gedanke springt - scheint ein enttäuschter Gesellschaftstheoretiker zu sein, der sich letztlich bewußt aus aller Welt zurückgezogen hat. Für einen kleinen Moment nur vergißt er, den Gelähmten zu spielen, und erhebt sich munter. Ansonsten sitzt da ein Besessener der Obstruktion. Mit Jürgen Holtz, diesem Meister differenzierten Schauspiels, der sich im Ausdruck nicht einmal wiederholt, macht's echt Spaß.

 

 

Neues Deutschland, 2. März 1998