„Weißalles und Dickedumm“ von Coline Serreaus
im Berliner Schiller Theater, Regie Benno Besson
Fröhlich der Abschied, sarkastisch das Ende
Im überfüllten Berliner Schiller Theater bot
Regisseur Benno Besson als Abschied einen fröhlichen Spaß. Die Szenenfolge
„Weißalles und Dickedumm" der Französin Coline Serreau (erfolgreich am
Haus schon ihr Lustspiel „Hase Hase") mit Katharina Thalbach und Michael
Maertens in den Titelrollen. So mischten sich Zorn, Wehmut und Freude. Man war
ohnehin nicht geneigt, an diesem Abend mit hehrer ästhetischer Elle herumzulaufen,
sondern willens, wenigstens für zwei Stunden politische Borniertheit zu vergessen.
Was
nicht leicht fiel. Denn noch hingen im Foyer die Erklärungen und Proteste von Theaterleuten
(Alexander Langs deftiger Brief allerdings war entfernt!) und prominenten
Freunden aus fast ganz Europa. Über all den Widerspruch hat sich die gewählte
Mehrheit Berliner Abgeordneter hinweggesetzt und demonstriert, was man von derzeitigen
Repräsentanten der wiedervereinten deutschen „Kulturnation" zu halten hat.
Im Parkett und auf den Rängen nicht ein Vertreter der Kunstabwickler, aber die
sozial sehr buntgemischte, in der Vergangenheit durchaus nicht immer homogene Berliner
Zuschauerschar. Der Beifall am Schluß fast eine halbe Stunde lang, stehend und
winkend das Publikum, im Rhythmus klatschend noch, als der Eiserne Vorhang schon
längst unwiderruflich das Aus anzeigte.
Dabei, nun muß es denn doch gesagt werden,
war dieses Spiel der Serreau nicht mehr als ein zum Theaterstück ausgeweiteter
Kabaretteinfall, dem es nach der Pause merklich an Substanz fehlte. Dickedumm, der
Diener, ein bauernschlauer Pragmatiker, und Weißalles, sein Herr, ein egozentrischer
Idealist, sind zunächst einmal durchaus Clowns von Format. Sie liefern sich
herrliche Wortgefechte. Wobei der kleine Dickedumm dem schlanken Weißalles in
kluger Strategie z. B. das Essen verleidet und prompt selbst über die Portion herfällt.
Das ist lustig und hat Biß. Die zwei philosophieren nämlich so ganz nebenher
kritisch über Mensch und Gesellschaft. Wir beherrschen die Natur, behauptet
Weißalles, wir haben das Fax, das U-Boot, den Computer, die Bombe und die
Kunst! Was sind wir doch für große Helden! Und Dickedumm stellt alles in Frage.
So in etwa. Geistig pointiert, szenisch possierlich.
Doch die Handlung! Sie verliert und
verläppert sich im Himmel auf Erden, wo eine Baronin (Ursula Karusseit als nymphomane
Schönheit), zugleich Chefin aller Engel, weiterlebt, nachdem sie von dem verliebten,
aber verschmähten Rothut (Walter Schmidinger) meuchlings erdolcht wurde. Und
das just, als sie sich in den geigespielenden Dickedumm unsterblich verliebt hatte. Zum Verdruß von Weißalles, der
eigentlich von der Baronin eingeladen war und mit seinem geigespielenden Diener
renommieren wollte. Eine der komischsten Szenen, wie Dickedumm, seekrank
während der Überfahrt auf einem schlingernden Dampfer, tapfer versucht, das
Geigenspiel zu lernen.
Märchen für Erwachsene. Von Benno Besson in
den hübschen Bühnenbildern Ezio Toffoluttis einfach, doch präzis in stimmigem
Spielrhythmus angerichtet. Katharina Thalbach ist als gottserbärmlich
lispelnder Dickedumm von hinreißendem Esprit. Und Michael Maertens gibt einen
unentwegt quasselnden, blasierten Weißalles. Die Truppe vom Schiller Theater
(u. a. Steffi Kühnert als Pianistin, Nana Spier als Adele, Markus Völlenklee
als Er 3, Stefan Merki als Pflanzengel) war noch einmal hochmotiviert. Vorzüglich
die Madrigal-Chöre.
Ja, das Ableben der Baronin wird ironisch
besungen. Aber natürlich war an diesem Abend weniger diese stattliche Dame, als
vielmehr die abgewickelte Staatsbühne gemeint. Zu Mitternacht ein trutziges
Feuerwerk. Und schwarze Folie, einhüllend die Vorderfront des Hauses, beschriftet
mit dem Sarkasmus: „Es lebe das Theater der großen Koalition!"
Neues
Deutschland, 6.Oktober 1993