„Weisman und Rotgesicht“ von George Tabori im
Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Volker Hesse
Ort zum Sterben - und für pralle Komik
Obwohl George Tabori in seinem „jüdischen" Western „Weisman und Rotgesicht" (einem rhapsodischen Theatertext nach eigener Erzählung aus den 60er Jahren) nur Typen skizziert, spielen Gundula Köster, Klaus Manchen, Hansjürgen Hürrig und Daniel Minetti in der Regie von Volker Hesse prägnante Figuren. Das verführt dazu, nach deren Motiven zu fragen.
Aber bei Tabori, dem 1914 in Budapest
geborenen jüdischen „Ungarn-England-Amerika-Deutschen" wird Handlung nicht
kausal entwickelt, sondern ein ewiger Kreislauf bizarr assoziiert. Der
ästhetische Reiz für die Regie: sozialen Abstraktionen und philosophischen
Apercus theatralische Gestalt verleihen zu müssen.
Auf dem Vorhang bunte Rocky
Mountains. Auf der Bühne amerikanische Wüste. Sengende Sonne. Verdorrte Bäume
(Ausstattung: Henning Schaller). Und ein Geier (Eduard Fischers). An dieser
schönen Stelle zum Sterben gesteht der jüdische Kaufmann Weisman seiner
behinderten halbwüchsigen Tochter, daß er sich verirrt hat. (Er wollte die Urne
mit der Asche seiner verstorbenen Ehefrau Bella auf dem Landweg nach New York
bringen). Obendrein kommt ein Jäger (Daniel Minetti) auf seinem Esel daher,
erpreßt sich die Autoschlüssel und überläßt die beiden ihrem Schicksal.
Doch da ist noch Rotgesicht, ein
Indianer, der sich just am nämlichen Fleck das Leben nehmen will. In der Stadt
ist er sich bewußt geworden, daß er ein Farbiger ist. Verzweifelt versucht er,
mit Ajax und Spüli den kupfernen Farbton seiner Haut loszuwerden. Vergebens.
Also sucht er den Tod. Wozu es nicht kommt.
Aber Weisman stirbt. Er gibt nämlich
dem Indianer all seine Kleidung, bekommt danach einen sonnenstichigen Rappel,
will seine Tochter umbringen. Ruth, die überlebt, rennt für einen Moment wie
gelöst. Doch an der Leiche ihres Vaters fällt sie in ihre spastisehe
Verkrampfung zurück. Dann macht sie sich mit dem Indianer auf den weiten Weg nach
Santa Fe.
Diese äußerlichen Hergänge,
vermittelt über aphoristische Dialoge, sind nur facettige Metaphern für ein
erkundendes literarisches Duell: Repräsentanten von Minderheiten im
Gegeneinander auf Identitätssuche. Ruth ist noch am ehesten menschlicher
Regungen und Handlungen fähig. In der einprägsamen Darstellung von Gundula
Köster ist dieses Menschenkind ein ständiges Zeichen für Ohnmacht.
Weisman, der jüdische Vater, der
gegenüber dem Indianer Schuldgefühle hegt, seinen aggressiven Zynismus ablegt
und im Moment, da er seine geistige Verkrüppelung verliert, dahinscheidet:
Klaus Manchen gibt hervorragend den schrullig bissigen Spötter wie dann den
gütig-einsichtigen Mann.
Der stolze Indianer, womöglich nur ein
verkrachter Komparse aus Hollywood, der sein Haß-Klischee hat auf das
Judenpack, scheint seine Verirrung zu begreifen. Der ausgezeichnete Hansjürgen
Hürrig, zunächst brüsk und kantig, gibt ihn — in der Kleidung des Juden —
nachdenklich, in sich gekehrt.
Mit trockenem Witz,
wenngleich sich dahinziehend, werden bornierter Nationalismus, starrer
Rassendünkel und eiserne Religiosität kritisch zitiert. Alles vielsinnig,
-hintersinnig. Unten am Grund irgendwo Brecht, in der Tiefe auch Kafka,
Beckett. Lieber nicht schürfen. Eben Tabori. Daher vor allem urtümlich komisch.
Ein wichtiger Abend für das Maxim Gorki
Theater. Viel Beifall.
Neues Deutschland, 22. April 1991