„Der einsame Weg“ von Arthur Schnitzler an der Schaubühne Berlin, Regie Andrea Breth

 

 

 

Ausführliche Seelen-Massage

 

Kaum hat sich der Vorhang in der Berliner Schaubühne gehoben, spielt Imogen Kogge auch schon, verzweifelten Blicks nach innen, den Selbstmord, den Johanna, ihre Figur, im 4. Akt begehen wird. Lastende Schicksalhaftigkeit überhaupt.

Andrea Breth inszenierte nicht dagegen an, sondern machte sie in Arthur Schnitzlers fünfaktigem Seelenoratorium „Der einsame Weg" zur bestimmenden Empfindung. In allen Ecken der mondän verwinkelten, nüchtern-kalten Szene (Gisbert Jäkel) scheint Unheil zu hocken. Ein weher Ton (Elena Chernin) scheint es ständig zu verkünden. Die Gemüter vor allem hat es erfaßt.

Schnitzlers Menschen sind auf ihrem stinknormalen bürgerlichen Lebensweg vereinsamt. Sie nehmen es hin, registrieren es. Der Schriftsteller Stephan von Sala (Hans-Christian Rudolph arrogant-blasiert) reagiert fast schizophren. Als er seine Geliebte, eben Johanna, auf dem Grunde seines Gartenteiches erblickt, alarmiert er nicht etwa die Polizei, sondern eilt ins Haus des Vaters der Toten, um von einer Halluzination zu berichten.

Die Psyche, was ist sie doch für ein Abgrund! Die Aufführung ist so schön abendfüllend, man hat genügend Zeit, einmal wieder darüber nachzudenken. Auch kann man entscheiden, ob einem die filigrane Schauspielkunst derer von der Schaubühne mit der ausführlichen Seelen-Massage des Autors aussöhnt oder ob man, statt mit den Gedanken dazwischenzukommen, einfach ein Nickerchen macht. Aber man sollte schon nichts verpassen. Theater muß sich auch in der Ära zeitraffender Video-Clips an der umständlichen Wahrhaftigkeit des Naturalismus erproben.

Arthur Schnitzler (1862-1931), Arzt und Schreiber psychoanalytischer Stücke („Professor Bernhardi", „Der Reigen"), hat hier, in diesem kaum gespielten Drama, Figuren versammelt, die mit der langatmig-seelentiefen Art der Austragung ihrer Querelen für das Wien der Jahrhundertwende stehen. Gabriele, Frau des Professors Wegrat (Libgart Schwarz mit wehmütiger Grandezza), leidet an einer unheilbaren Krankheit und an einer Lüge. Sie hat nämlich einen Sohn von einer flüchtigen Liebe mit dem Maler Julian Fichtner. Ihren Mann aber (Peter Simonischek als akkurater Akademie-Chef) hat sie im Glauben gelassen, es sei sein Kind.

Im zweiten Akt ist Gabriele verstorben. Sohn Felix (Ulrich Wesselmann ein aufrecht-redlicher junger Leutnant) ist alleingelassen. Als ihm der leibliche Vater (Michael König als labiler, im Grunde gescheiterter Künstler) endlich gesteht, was er längst ahnt, hat er nur Verachtung für den Mann. Verzweifelt klammert er sich an Papa.

Außerdem spaziert ein liebenswürdiger Doktor (Udo Samel) herum und verteilt kluge Gedanken. Den Maler Fichtner umwirbt Girrnt, eine kinderlos gebliebene ehemalige Geliebte (Tina Engel). Und Johanna, unglücklich verliebt in den todkranken von Sala, endet in der tiefsten Senke seines Gartenteiches, die sie vorher übrigens unfreiwillig schon mal ausprobiert hat. Da wird gelacht, als sie köpfüber hineinplumpst, obwohl auch das doch eigentlich nur traurig ist.

 

 

 

Neues Deutschland, 4. Oktober 1991