„Wallenstein-Trilogie“ von Friedrich Schiller am Nationaltheater Weimar, Regie Fritz Bennewitz

 

 

 

Große nationale Absichten

 

Ausgebrannte, tote Häuserfronten links und rechts der Bühne, weit nach hinten in den Raum gezogen. Unter zart glitzerndem flämischem Leuchter friedvoll musizierende Kinder in höfischer Kleidung. Hereinbrechender Kriegslärm. Aufdringlich ins Publikum feuernde Scheinwerferbatterien. Flammend rot sich färbender Nachthimmel. So der Auftakt zu Friedrich Schillers „Wallenstein-Trilogie“ in der Bearbeitung und Inszenierung von Fritz Bennewitz am Nationaltheater Weimar.

Diese Begegnung würdigt und feiert den Dramatiker anläßlich seines 225. Geburtstages, indem sie bei ihm Rat und Impuls sucht in der allerersten Frage unseres Lebens, in unserem Ringen um Frieden auf dieser Erde. Dazu wird Schiller keineswegs zum Zeitgenossen gequält.

Am Schluß liegt Wallenstein ermordet. Noch einmal — emporgehoben aus dem Orchestergraben — kommt das Lager ins Bild. Es ist zerstört. Ein Kind sucht verzweifelt nach Nahrung. Dahinter, auf der Bühne, steht Octavio Piccolomini im erneut aufbrechenden Kriegssturm. Reaktionäre feudale Machtinteressen obsiegten. Das Völkermorden des Dreißigjährigen Krieges hält an. Einer, der — von welchen sozialen und politischen Interessen auch immer geleitet — zum Frieden bereit war, wurde liquidiert.

Solche Auskunft versteht sich als Mahnung und Aufruf. Sie hebt geradezu unerbittlich ins Bewußtsein, daß Friedenswilligkeit Macht braucht. Eine Macht, die Wallenstein nicht hatte, nicht haben konnte. Insofern war sein tragisches Ende unabwendbar.

Wallenstein ist in der Darstellung von Dietrich Mechow von verknöchertem Eigensinn. Ein Feldherr, der borniert am Sternenglauben hängt, immer ein wenig in sich hineingeduckt, gleichsam als ein dem Schicksal sich Ausliefernder handelnd, isoliert meist im Raum und von den Menschen, weggerückt auch vom Zuschauer. Eine Gestalt ohne Glanz und Ausstrahlung, gestisch eng und betont sparsam, meist sachlich argumentierend, selbst gegenüber den Pappenheimern eher nüchtern-rhetorisch, ein Zauderer bis zuletzt, einsam in seinen Entschlüssen. Ein gealterter feudaler Haudegen, der zwar noch große nationale Absichten verkündet, aber schon nicht mehr das Format hat, die Landsknechtsarmee um sich zu formieren.

Die Bearbeitung nimmt die Titelgestalt nicht in die Kritik, schildert getreu die Umstände wie das subjektive Versagen und verleitet nirgends dazu, mitzuempfinden. Fritz Bennewitz konzentriert die Aufmerksamkeit auf die politischen Vorgänge, durchaus nicht vereinfacht und zusammengestrichen zur Haupt- und Staatsaktion, vielmehr vom Dichter gelieferte zeitbedingte Theatralik meidend. Zum Beispiel beim Aufbegehren der Pappenheimer. Da gibt es keine Tumulte, da lenkt nichts ab von der Dynamik der Handlung. Sie wird forciert von der Konzentration auf die Verse. So wird Schillers Sprache deutlich zum tragenden Element dieser auch schauspielkünstlerisch großartigen Inszenierung.

Vor allem zwei junge Darsteller bestimmen den Abend. Axel Wandtke als Max Piccolomini und Martina Schumann als Thekla. Beide Figuren hebt der Regisseur bewußt, doch dezent aus der rauhen Kriegsatmosphäre. Schillers humanistische Botschaft, die der Liebe, erstrahlt ungebrochen.

„Ich bin seit gestern", schrieb Schiller am 9. November 1798 an Goethe, „endlich an den poetisch wichtigsten, bis jetzt immer aufgesparten Teil des Wallensteins gegangen, der der Liebe gewidmet ist und sich seiner frei menschlichen Natur nach von dem geschäftigen Wesen der übrigen Staatsaktion völlig trennt, ja demselben, dem Geist nach, entgegengesetzt." Ebendiese Entgegensetzung stellt Bennewitz her. Idealistische Verkörperung freier menschlicher Natur, hier zwar noch tragisch scheiternd, aber weit in unsere Zeit leuchtend als Hoffnung und Perspektive.

Wandtke — in Kleidung und Haltung ganz der junge Schiller — spricht und agiert in gemessener, erhaben-schöner Leidenschaftlichkeit. Da ist ein hoffnungsvoller, lauterer Jüngling, beseelt von tiefer Friedenssehnsucht, um menschliche Würde und Achtung kämpfend, in seiner Liebe zu Thekla Erfüllung suchend. Dieser Max lockt zur Identifikation, weniger mit der Figur, ihrer zeitbedingten Begrenztheit, stark und unmittelbar jedoch mit ihrem Anspruch an Liebe, Menschenwürde und Friedenswille. In dieser Darstellung ist Max kein weltfremder Träumer, ist er vorweggenommene Gestalt kommender Generationen, die solcher Gesinnung reale Macht verleihen werden und schon verleihen. Martina Schumanns Thekla ist ein stilles, apartes Mädchen, wendig-schnippig auch, ihre Liebe nicht verbergend, anrührend in ihrer gefaßten, stolzen Trauer.

Klaus-Martin Boestel gibt einen äußerst besonnenen Octavio Piccolomini, einen aus staatsmännischer Zurückhaltung operierenden Kaisergetreuen. Eckart von der Trenck ist ein beflissener, stets geschniegelter Graf Terzky, Karl Albert ein unscheinbarer, verschlagen aus dem Hintergrund eingreifender Buttler. Manfred Olenicki (Isolani), Rudolf Reinhardt (Tiefenbach) und Gerd-Gunthardt Hellwig (Illo) zeichnen markant die volksfremden feudalen Generale. Überzeugend auch Detlef Heintze als Kriegsrat Questenberg und als Oberst Wrangel. Eine sehr aktive Gräfin Terzky gibt Gudrun Volkmar, Linde Sommer eine würdevolle Herzogin von Friedland. Auffallend Thomas Schneider als lärmender Kapuziner, Bernd Lange und Rudolf Reinhardt als Mörderduo, Ralf-Peter Schulze als schwedischer Hauptmann und Christoph Heckel als Rittmeister Neumann.

Das Bühnenbild Franz Havemanns, historische Dimensionen aufreißend, gestattet dem Regisseur szenische Lösungen von außerordentlicher Faszination und von zwingender Dynamik. Auch die Kostüme Ingrid Rahaus' dienen der artifiziellen Geschlossenheit dieser Inszenierung. Gelungen ist also auch — ausdrücklich vermerkt —, die Triologie auf einen Theaterabend zu komprimieren. Die Aufführung ist dem Werk wie unserer Gegenwart voll verpflichtet. Sie erweist sich als ein gültiges Zeugnis für die gediegene, verantwortungsvolle Auseinandersetzung unserer Theater mit Friedrich Schiller, dem kühnen Streiter für menschliche Würde, Fortschritt und Friede.

 

 

Neues Deutschland, 13. November 1984