„Wallenstein“-Trilogie von Friedrich Schiller am Deutschen Theater Berlin, Regie Friedo Solter

 

 

Ein Mächtiger wider Willen

 

 

Den Prolog spricht Eberhard Esche im modischen Gesellschaftsanzug. Das scheint Distanz anzukündigen. Aber Esches heiter-distinguierter Vortrag vermittelt eine wache, neugierige Haltung. Wir vergessen zu fragen: Geht uns diese Herrscher-Tragödie aus der Zeit des 30jährigen Krieges überhaupt noch etwas an? Haben wir Heutigen, vor allem die Jugend, noch Anlaß, wie Goethe in Schillers Werk ein „unschätzbares Geschenk für die deutsche Bühne" zu sehen oder wie Brecht ein „großes politisches Stück"? Esche zerstreut diese Fragen, er konzentriert uns. Und es sei vorweggenommen: Was wie eine leidige Pflichtübung aus­schaute, der Pflege des klassischen Erbes wieder einmal Genüge zu tun, erweist sich in der Regie von Friedo Solter als wegweisend für unsere Schauspielkunst, als bleibender Beitrag für das sozialistische deutsche Nationaltheater.

 

1959 hatte Karl Paryla — bei Betonung der progressiven Ziele Wallensteins — einen Theaterabend aus der Trilogie gemacht. Jetzt ist das Werk — das widersprüchliche Charakterbild Wallensteins herauskristallisierend — von 7620 auf 4333 Verszeilen gebracht worden (laut Programmheft!). Trotzdem muß der Zuschauer zwei Abende buchen, wenn er nichts verpassen will. Hat er sich freilich erst einmal für den ersten Abend entschieden, wird er mit dramaturgischem Geschick für den zweiten interessiert. Friedo Solter oktroyiert keinen stückfremden Sinn, er will ihn sinnfällig zur Schau stellen. Ihn unterstützt die aufrüttelnd-nervende wie auch in seelische Tiefen lotende Musik Reiner Bredemeyers. Ihn unterstützt das phantasievolle, sehr differenziert gebaute und gemalte Bühnenbild Lothar Scharsichs. Alles ist gerichtet auf die Nachvollziehbarkeit der für uns Heutige komiplizierten historischen Begebenheiten. Präzis und überzeugend konkret in den Situationen ist die gedankliche Durchdringung der Verse. Indem Solter Schauspieler doppelt besetzt, hilft er, den Konflikt als objektiv durch alle sozialen Schlichten verlaufend zu assoziieren.

 

Zunächst Wallensteins „Lager": kein Vorspiel, sondern Auftakt für die Tragödie. Fred Dürens ßauer eifrig und selbstbewußt, Dieter Frankes Wachtmeister von schlauer Robustheit, Rolf Ludwigs Völkischer Reiter keck und dreist. Dem wallonischen Kürassier gibt Dieter Mann die kalt-kluge Souveränität eines abgeklärten Haudegens. Der Rekrut Frank Lienerts strampelt naiv-forsch ins Landsknechtsleben. Das bunte Völkergemisch des Lagers stellt sich nicht ganz her, doch überschaubar ist die Exposition des Konflikts, das Für-oder-Wider-Waltenistein auch in seinem zusammengewürfelten Heer.

 

Agieren die Figuren im „Lager" durchweg mit lockerer, vitaler Selbstverständlichkeit, in den „Piccolomini" stecken sie gleichsam im Korsett feudal-militärischer Konvention. Strenge, straffe Haltung setzt sich fort bis in die Stimme. Gemessen-sonor Rolf Ludwigs Octavio, ein kalter Höfling; beherrscht-gewandt Fred Dürens Terzky, ein getreuer Vasall; dynamisch-bestimmt Dieter Manns Illo, ein berechnender Kopf; fern aller Etikette Dieter Frankes Buttler, treuherzig zunächst, ein in seiner Soldatenehre zutiefst Verletzter dann. Leicht statisch sind die Arrangements, unpersönlich die Beziehungen, nüchternes Kalkül im Für-oder-wider Wallenstein.

 

Abgesetzt davon, nicht als Idylle, die Begegnung Max und Thekla. Ein Liebespaar trifft sich, sehr heutig in seiner Sehnsucht und in der Behauptung der Liebe. Die Thekla von Katrin Klein ist unsentimental und von schöner Kraft, aber auch zart-verhalten im Lied. 'Ins Zentrum gerückt die Piccolomini: Octavio und Max. Ihre große Auseinandersetzung begibt sich unterm Sternenhimmel. Frank Lienert stattet den Max mit allen sympathischen Zügen eines aufrichtigen, wahrheitsliebenden jungen Mannes aus. Das ist von hinreißender Frische, sehr persönlich, ausdrucksstark und tief empfunden.

 

Der Wallenstein Eberhard Esches scheint zu zaudern wie Hamlet, wie einer, dem wider Willen zu viel auf die Schultern geladen ist. .Man vermutet in dieser sanft-abgeklärten, doch jung wirkenden Gestalt nur schwer den von Schlacht zu Schlacht aufgestiegenen großen Heerführer. Dieser Wallenstein betreibt Sternenkunde als eine Wissenschaft. Wenn er sie leicht doktrinär verteidigt, lüftet er einen Zipfel seiner objektiv-historischen Beschränktheit.

 

Der „Tod" ist akzentuiert. Wollenstein, staatsmännisch im Umgang mit Questenberg (Klaus Piontek glatt und kategorisch), zögert, den Schweden Wrangel (Klaus Piontek selbstbewußt und klar) zu empfangen, tut's schließlich deutlich in der Rolle eines höflichen Diplomaten. Laut und ehrlich engagiert dann sucht er den „milden" Weg. Nachdem er seinen Entschluß gefaßt hat, den Abfall vom Kaiser, begegnet er dem rechtenden Max fast verständnisvoll. Die Auskunft erheischenden Pappenheimer sucht er mit Demagogie an sich zu ketten. Groß dann sein „Weil ich den Frieden suche, muß ich fallen!" Hier wird sinnfällig, was uns die Trilogie angeht: Wallenstein suchte, den Frieden zu gewinnen, ohne die sozialen Probleme gelöst zu haben. Als er einen ersten Schritt tut, als er sich gegen den feudalen Kaiser entscheidet, wird er ermordet. Wie viele unbequeme Persönlichkeiten hat die Reaktion seither umgebracht! Hier bricht die Aktualität des politischen Stückes auf. Und Bitternis befällt uns, zu sehen, wie betreten-ungläubig der Bürgermeister von Eger (Rudolf Christoph) reagiert, wenn Wallenstein seherisch verkündet: „Die Hohen werden fallen, und die Niedrigen erheben sich... eine neue Ordnung der Dinge führt sich ein!" Bitternis, weil wir wissen, daß revolutionäre Ideen das eine, revolutionäre Macht aber das andere ist. Wallenstein hat sie nicht, konnte und wollte sie nicht haben. Das ist seine Tragik.

 

Aus dem hervorragend spielenden Ensemble seien noch genannt: Lissy Tempelhof (Gräfin Terzky), Helga Labudda (Herzogin), Herbert Grosse (Seni), Volkmar Kleinert (Isolani) und Uwe-Detlev Jessen (Gordon).

 

 

Junge Welt, 5. Oktober 1979