„Wallenstein-Trilogie“
von Friedrich Schiller am Deutschen Theater Berlin, Regie Karl Paryla
Heller Auftakt zum
Schiller-Jahr
Karl Paryla
stellte seine Inszenierung mitten in die
Problematik unserer Tage: Deutschland ist geteilt. Reaktionäre, antinationale
Cliquen haben unsere Heimat gespalten und verdienen daran. Das wahre, bessere
Deutschland kämpft unter Führung der Arbeiterklasse für die Einheit der Nation.
Von dieser Gegebenheit ging der Regisseur an die Bewältigung des Schillerschen
Werkes heran und machte sichtbar, daß scheitern wird, wer gegen oder ohne das
Volk handelt.
„Albrecht Wallenstein
verfolgte in Deutschland dasselbe Ziel, das Richelieu in Frankreich
gleichzeitig verfolgte: die Herstellung einer rein weltlichen Monarchie, die
sich frei von allen konfessionellen Gegensätzen über die hadernden Fürsten
erheben, die Klassengegensätze im Innern mildern und die gesamte Kraft der
Nation nach außen kehren sollte." (Franz Mehring). Aber Wallenstein fand —
zum Teil aus eigenem Unvermögen — nicht die Kräfte, auf die er sich bei der
Verwirklichung seines Planes hätte stützen können. Sowohl protestantische und
katholische Fürsten als auch die Städte widersetzten sich ihm. Die Armee, auf
die er gebaut hatte, verließ ihn, weil sie ebenso feudal orientiert wie
organisiert war. Und die Bauern, die während des deutschen Bauernkrieges
gewaltige Energien entwickelt hatten, verachtete er und ließ sie durch die
Armee ausplündern. Das ist der Kern seiner Tragödie.
Es zeugt vom
dichterischen Genius Schillers, daß er sich für diesen gewaltigen Stoff
begeisterte. Acht Jahre seines Lebens (1791 bis 1799) schrieb er an der
Trilogie, in einer Zeit, da Deutschland noch immer nicht geeint war, aber die
Zeichen der Revolution und schließlich die Französische Revolution auch in
Deutschland den Ruf nach Freiheit und Einheit immer stärker erklingen ließen.
Gerade in jenen Jahren, als der Dichter vom Jubel über die Französische
Revolution bis hin zu deren Verdammung ärgste Widersprüche im Denken und Handeln
durchmachte, vollendete er ein Werk, das zu einem einzigartigen künstlerischen
Bekenntnis geworden ist.
Die
Beschäftigung mit dem „Wallenstein" holte Schiller aus dem Reich
idealistischer Vorstellungen zurück auf die Erde, zwang ihn zum Realismus, der
das Wesen seines Werkes ausmachte, sich aber zugleich in stetem Widerspruch mit
dem Idealismus des Dichters befand. Schiller berichtete hierüber selbst in
einem Brief an Goethe vom 28. November 1796: „Was die dramatische Handlung als
die Hauptsache anbetrifft, so will mir der wahrhaft undankbare und unpoetische
Stoff freilich noch nicht ganz parieren; es sind noch Lücken im Gange, und manches will sich gar nicht in
die engen Grenzen einer Tragödienökonomie hereinbegeben... Das eigentliche
Schicksal tut noch zuwenig und der eigene Fehler des Helden noch zuviel zu
seinem Unglück." Schillers Anschauungen von der Tragödie gerieten also in
Widerstreit mit dem Stoff. Und im Schaffensprozeß wandelten sich seine
ästhetischen Ansichten. Darüber schrieb er am 21. März 1796 an W. v. Humboldt:
„Wallenstein ist ein Charakter, der — als echt realistisch — nur im ganzen,
aber nie im einzelnen interessieren kann... Er hat nichts Edles, er erscheint
in keinem einzelnen Lebensakt groß, er hat wenig Würde und dergleichen, ich hoffe
aber nichtsdestoweniger, auf rein realistischem Weg einen dramatisch großen
Charakter in ihm aufzustellen... Die Aufgabe wird dadurch schwerer und folglich
auch interessanter, ‚daß der eigentliche Realismus den Erfolg nötig hat, den
der idealistische Charakter entbehren kann.' Unglücklicherweise aber hat
Wallenstein den Erfolg gegen sich und nun erfordert es Geschicklichkeit, ihn
auf der gehörigen Höhe zu erhalten. Seine Unternehmung ist moralisch schlecht,
und sie verunglückt physisch... Er berechnet alles auf die Wirkung, und diese
mißlingt. Er kann sich nicht, wie der Idealist, in sich selbst einhüllen und
sich über die Materie erheben, sondern er will die Materie sich unterwerfen und
erreicht es nicht."
Schiller gibt
mit der kritischen Selbsteinschätzung wichtige Hinweise für die Regie. Paryla
hat sie beachtet. Und er ist dem Dichter werkgetreu auch dort gefolgt, wo er
sein neu gefundenes Prinzip durchbricht und — höherem Zwecke dienend — die
fehlende Idealität doch noch einschmuggelt. Auch darüber berichtet der Dichter:
„Ich bin seit gestern endlich an den poetisch wichtigsten, bis jetzt immer
aufgesparten Teil des Wallenstein gegangen, der der Liebe gewidmet und sich
seiner frei menschlichen Natur nach von dem geschäftigen Wesen der übrigen
Staatsaktion völlig trennt, ja demselben, dem Geist nach, entgegensetzt."
(Brief an Goethe vom 9. November 1798). Schiller hat sich also nicht ganz und
gar davon lösen wollen, die „fehlende Wahrheit durch schöne Idealität" zu
ersetzen — und er hat aus dem ihm offenbar gewordenen Widerspruch eine
poetische Tugend gemacht. Ihm reichte die historische Wahrheit nicht aus; denn
die heißt: Wallenstein scheitert. Schillers Dichterherz konnte also nicht
Wallenstein gehören. Es gehörte Max Piccolomini: „Den Hauptcharakter sowie die
meisten Nebencharaktere traktiere ich wirklich bis jetzt mit der reinen Liebe
des Künstlers; bloß für den nächsten nach dem Hauptcharakter, den jungen
Piccolomini, bin ich durch meine eigene Zuneigung interessiert..." (Brief an Goethe, 28. November 1796). Und dieser Figur legte
er jene herrlichen Verse in den Mund, die in unvergleichlichem, ergreifendem
Pathos von der tiefen Sehnsucht des Dichters und der Nation künden: „O schöner
Tag, wenn endlich der Soldat / Ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit..."
und „...Denn hört der Krieg im Kriege nicht schon auf, /Woher soll Friede
kommen?...“
Uns schien es notwendig, den Dichter so
ausführlich zu seinem Werke sprechen zu lassen, weil er selbst am besten
charakterisiert, welch tiefe Widersprüchlichkeit die Trilogie durchzieht und
welch gewaltige Aufgabe der Regie zufällt, trotz all dieser Widersprüche die
grandiose Einheit sichtbar zu machen.
In Wolfgang
Heinz als Wallenstein stand Paryla ein Schauspieler zur Verfügung, der in wohl
einmaliger schauspielerischer Vollendung den widersprüchlichen Charakter der
Figur ausdeutete, keinen ihrer Gegensätze unterschlug und doch ihre Einheit
wahrte. Bevor Heinz' Wallenstein die Bühne betritt, wird seine politisch-militärische Situation durch das
„Lager" genau umrissen. Paryla gliedert, ohne die Turbulenz zu
vernachlässigen, klar die einzelnen Gruppen der Soldaten. Und ihre Stellung
wird sichtbar im Verhalten zu dem armen,
ausgeplünderten
Bauern. Im Geiste des Dichters stellt Paryla diese Figur in den Vordergrund, um
zu zeigen, daß eine Armee, die nicht dem Volke verpflichtet, sondern einer
Einzelpersönlichkeit verschworen ist, von keinen hohen Idealen beseelt sein
kann, wenn der einzelne eigensüchtige Ziele verfolgt. Die ganze Verworfenheit
dieses Söldnerhaufens fasst der Regisseur zum
Schluß in dem bekannten Reiterlied zusammen, das sich im Tempo immer mehr
steigernd bis zur Ekstase, schließlich zum furiosen Auftakt der Tragödie wird.
Dasselbe Lied läßt Paryla später die Pappenheimer noch einmal singen — jedoch
in Moll gesetzt —, als es zum Sterben geht. Das ist die Kehrseite der gleichen
Medaille. Ein genialer Regieeinfall, der die Katastrophe der Söldner und ihres
Feldherrn sichtbar macht.
Zunächst sehen
wir Wallenstein im Gespräch mit der Gattin, forschend, wägend, etwas müde.
Kraftvoll, machtbewußt tritt er sodann in die Verhandlung mit Questenberg und
setzt den kaiserlichen Forderungen seine eigenen entgegen. Damit zwingt er sich
selbst, nun seinen Plänen zu folgen. Aber noch schreckt er vor der Aktion
zurück. Heinz motiviert dieses Zögern nicht mit dem Sternenglauben
Wallensteins. Sein Friedländer ringt zutiefst mit der Frage, ob seine Gedanken
historische Berechtigung haben. Er läßt sich zwar mit einem typisch feudalen
Trick die Stimmen seiner Generale holen, aber erst das Handeln des Kaisers
treibt auch ihn zu Entscheidungen. Bevor er mit den Schweden paktiert, um sie
seinen Interessen dienstbar zu machen, durchforscht er noch einmal seine
Gedanken: Nicht die Macht des Kaisers fürchtet er, sondern das Gestrige, die
Gewohnheit. „Sei im Besitze, und du wohnst im Recht", spricht Heinz'
Wallenstein bereits mit Zuversicht, als einer, der gewonnene Erkenntnis nutzen
will. Aber Wallenstein hat dem Gestrigen nichts Neues entgegenzusetzen, er
verficht sein Anliegen mit gestrigen, mit feudalen Mitteln.
Noch einmal
betont Heinz den tiefen Konflikt des Friedländers, den er nicht zu lösen
vermochte. Erneut grübelnd, mit sich uneins, schon verzagend, aber doch
bestimmt und gültig sagt er zum Bürgermeister von Eger: „Die Erfüllung der
Zeiten ist gekommen, Bürgermeister, / Die Hohen werden fallen, und die
Niedrigen / Erheben sich." Aber die Erkenntnis kommt für Wallenstein zu
spät. Sie bleibt als mahnende Verpflichtung des Dichters für die Nachwelt.
Wallensteins
Gegenspieler ist Octavio Piccolomini als Vertreter des Kaisers, ist das
Gestrige auch in Gestalt der feudalen Hausinteressen der Gräfin Terzky, sind
schließlich die vollkommen in feudaler Denkungsart verharrenden Generale.
Während Heinz den Wallenstein im Sinne Schillers konsequent realistisch
durchhält, ihn weder „edel" noch „groß" spielt, ihn in der harten
Auseinandersetzung mit seinen Gegnern und im Ringen um Klarheit ganz weltnah
gibt, leuchtet bei den Gegenspielern — gewiß in Übereinstimmung mit Schiller —
ein wenig „Idealisierung" auf. Und zwar Idealisierung in dem Sinne, daß
die Figuren eben doch vorwiegend der „Tragödienökonomie" zu dienen haben.
Paryla ist dabei der Gefahr nicht entgangen, daß dem unvoreingenommenen
Zuschauer die Partei des Kaisers über weite Strecken im Recht zu sein scheint.
Zumal Wolfgang Langhoff den Octavio mit trockener, ziel- und selbstbewußter
Selbstverständlichkeit gibt. Er ist kein Intrigant, aber ihm fehlt die fein
nuancierte Distanz zur Figur, die zum Beispiel Friedrich Richter in der Darstellung
des Questenberg gefunden hat. Der schöne Theatertod der Gräfin Terzky
schließlich setzt noch im letzten Moment Akzente, welche der Partei der
Gestrigen unverdient schmeicheln. Hortense Raky weiß ansonsten ihre Gräfin
mimisch und sprachlich hervorragend zu differenzieren.
Bleibt noch
die Partei der Liebenden, die aus den Widersprüchen ihrer Zeit keinen Ausweg
finden. Ihr Opfer ist gleichzeitig Ausdruck für Größe und Tragik des Dichters
Friedrich Schiller. In dem Moment, da sich die Pappenheimer von dem
vermeintlichen Verräter Wallenstein abwenden, setzt sich Max Piccolomini —
getrieben von der Verzweiflung über die deutschen Zustände, das Bild eines
friedlichen Deutschland in der Brust — an ihre Spitze und führt sie in den Tod.
Auch für diese Figur hatte Paryla einen großartigen Schauspieler: Horst Drinda.
Sein kraftvoll-natürliches Pathos, seine reine, klare Seele, die sich der Zunge
mühelos mitteilt, seine erschütternde Verzweiflung, die sich in mitreißendem
Aufruf Luft macht, bestimmen mit das Erlebnis dieses großartigen Theaterabends.
Neues Deutschland, 5. April 1959