„Der Wald“ von Alexander N. Ostrowski am
Deutschen Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff
Künstlerethik und Geldgesellschaft
Wenn geschachert wird - heute oder früher -, kann das auch komisch wirken. 1871 in Rußland bewegte Alexander N. Ostrowski (1823-1886), wie nach Aufhebung der Leibeigenschaft der verarmende Landadel durch Verkauf seiner Wälder zu Geld zu kommen suchte. Er schrieb seine Komödie „Der Wald", in der die geschäftsuntüchtige Gutsbesitzerin Raissa Gurmyschskaja vom gerissenen Holzhändler Wosmibratow übers Ohr gehauen wird.
Thomas Langhoff, der das Stück am
Deutschen Theater in Berlin inszenierte, macht eben diesen Handel zur großen Szene.
Habgierige unter sich. Lauterkeit heuchelnd, Rubel raffend. Mit feinsinniger
Ironie modelliert der Regisseur die Charaktere.
Raissa, die alternde Witwe, verliebt
in den jungen, haltlosen Alexej (Michael Maertens), glaubt, ihren guten Ruf in
Zahlung geben zu können. Gudrun Ritter spielt fabelhaft eine launig-vornehme
Dame, die ihre Liebessehnsucht hinter der gestrengen Herrin verbirgt, die sie
vorkehrt. Wosmibratow, der ehrerbietige, fast untertänige Holzhändler, zahlt
mit der Lobpreisung des Herrn auf den Lippen kaltschnäuzig weniger, als vereinbart
war. Dietrich Körner stellt einen vierschrötigen Biedermann hin, der raue Gangart
im Geschäft mit freundlich-bauernschlauer Verbindlichkeit kaschiert.
Steigerung beim Schacher. Raissas Neffe
Gennadi, ein arbeitsloser Schauspieler, nach über einem Jahrzehnt zufällig auf
Besuch, nimmt den Kampf mit Wosmibratow auf. Aber die blechernen Theaterorden, die
er sich an die Brust heftet, verfehlen ihre Wirkung. Die Argumente des seriösen
Herrn, den er vorspielt, erschüttern den Holzhändler wenig. Erst als ihn
Gennadi bei der Ehre packt, will Wosmibratow sich nicht lumpen lassen, zieht
er, um seiner Entscheidung Nachdruck zu verleihen, pathetisch Stiefel und Jacke
aus und reicht das Geld.
Das schauspielerisch exzellent gebotene Spiel
ergötzt nicht nur, es nährt den Glauben an die geistige Kraft des Theaters.
Langhoff erschließt die realistische Substanz der Komödie. Er verliert sich nicht
in Nebensächlichkeiten, er ist immer wesentlich. Welch Reichtum des Lebens.
Aber nicht naturalistisch, sondern im Bühnenbild Volker Pfüllers, der einen
romantischen Kulissen-Wald aufstellt, immer ein theatralisches Ereignis.
Aktuell auch durch diverse kleine Anspielungen, frisch durch gelegentliche
Korrespondenz mit den Zuschauern.
Noch eine Steigerung. Gennadi
verzichtet auf das Geld, das ihm Raissa schuldete, und das er sich soeben mit
Hilfe einer Pistole von ihr zurückgeholt hatte. Er verzichtet, um es der
mittellosen Verwandten Axinja (Claudia Geisler) zu geben, die ihren Liebsten,
den ungelenken Sohn Wosmibratows (Thomas Bading), nicht heiraten kann, weil
dessen Vater störrisch Mitgift verlangt, die Raissa nicht herausrückt. Die
uneigennützige Hilfe des Schauspielers ist nicht nur großmütig, sie ist eine
Anklage gegen alle Geizlinge. Langhoff arrangiert beredt. Und Grashof spielt
hinreißend.
Das ist ein besonderer Gewinn des Abends:
Christian Grashof wieder auf der Bühne des Deutschen Theaters. Dieser
unnachahmliche Charakterspieler war in letzter Zeit einem manierierten Predigerton
verfallen, der ihn als Faust im Schiller Theater geradezu paralysierte. Jetzt
führt Langhoff den herrlichen Tragöden zu sich selbst zurück. Grashof ist
wieder unmittelbar, zeichnet direkt und zugleich diskret ironisch den armen, unverdrossenen
Gennadi, dessen Künstler-Ethik der Geldgesellschaft überlegen ist.
Aus dem erstrangigen Ensemble zu
erwähnen noch Ignaz Kirchner als Schauspieler Arkadi, Horst Lebinsky als Lakai
Karp und Bärbel Bolle als Haushälterin Ulita. Ein Abend großartigen Theaters, wie
es dieser traditionsreichen Bühne angemessen ist.
Neues
Deutschland, 28. Dezember 1992