„Wahlverwandtschaften“ von Goethe im Schlosspark-Theater Berlin, Regie
Silvia Armbruster
Sich selbst leben
Die neueste Inszenierung im Berliner Schlosspark-Theater zählt ohne Zweifel zu den so genannten kleinen, gemäßigten Erregungen deutscher Theaterlandschaft. Zuschauer knallten nicht mit den Türen, im Gegenteil, sie blieben im Saal und am Ende spendeten sie rhythmisch Beifall. Vermutlich fühlten sie sich ergötzt und angeregt. Und das von einer alten Geschichte, von Goethes »Wahlverwandtschaften« aus dem Jahre 1809, welchen Roman Silvia Armbruster mit merklichem Einfühlungsvermögen bearbeitete und inszenierte.
Auffällig das Bemühen der jungen Regisseurin, das
überkommene Material im Sinne des Schöpfers zu verlebendigen, und zwar mit
ausgesprochen einfachen, aber gemäßen theatralen Mitteln. Gelegentlich wird
das Publikum ins Spiel einbezogen. Verwundert zunächst, dann animiert singt es
zum Beispiel ein Geburtstagsständchen.
Was die Geschichte angeht, konzentrierte Silvia Armbruster auf das
widersprüchliche Beziehungsgeflecht zwischen Baron Eduard und Gattin Charlotte
sowie deren Freunde Otto und Ottilie, verzichtete also auf Gestalten wie den
Grafen und den umherziehenden Mittler. Auch mied sie die zahlreichen
Reflexionen, insonderheit die über Wahlverwandtschaften in der Chemie. So kam
durchaus eine Handlung im Sinne von Dramatisierung zustande, wenn auch im
zweiten Teil viele Kommentare nötig werden.
Immerhin sind weder »Qualverwandtschaften« (Tieck) zu sehen, noch ist
ein »chemischer Roman« (Börne) zu besichtigen, vielmehr begibt sich auf
farbdustrer, romantisierender Bühne (Barbara Kaesbohrer) mit heiterem Gestus
und viel Geschmack eine besinnlich erspielte Erzählung über Liebe und Ehe. Die
fröhliche Identifikation mit Stoff und Gestalten verwischt ein wenig Goethes
kritische Sicht. Das elitäre Vorhaben der Romanhelden, in idyllischer Abgeschiedenheit
auf schönem Schloss in noch schönerer Landschaft sich selbst zu leben und
ungestörtes Glück zu genießen, scheitert bekanntlich beim Dichter, und zwar
sinnigerweise durch Liebe - zu anderen Partnern.
Anmut und frohe Unmittelbarkeit der Aufführung werden von versierten Darstellern
getragen. Hans Piesbergen gibt Eduard als jugendlich unbekümmerten Baron.
Annette Wunsch zeigt mit Haltung die verständige Gattin. Christian Kaiser agiert
mit verschmitztem Lächeln hinter der Nickelbrille als besonnener Hauptmann und
Gartenarchitekt Otto. Julia Jaschke spielt die verwaiste junge Nichte Ottilie
als ein nervig-sensibles kapriziöses Geschöpf.
Neues Deutschland, 8. Juni 2000