„Volksvernichtung oder Meine Leber ist
sinnlos“ von Werner Schwab am Berliner Ensemble, Regie Herbert Olschok
Viel Geschwätz, wenig Handlung
„Das Schlimmste, was es gibt, ist das Volk." So tönt es neuerdings von der Bühne des Berliner Ensembles. Allerdings von der Probebühne. Dort hatte die Radikal-Komödie „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos" von Werner Schwab Premiere. Das ist ein Vielschreiber aus Wien (neun Stücke in zwei Jahren!), 1958 in Graz geboren, der die legendären Hanswurstiaden eines Stranizki mit den Firlefanzereien der modernen Klimbim-Fernseh-Familien zu zeitgenössischem Theater zu mixen sucht. Worüber sich reden läßt.
Leider produziert er mit einer ungestischen,
verschrobenen Sprache, die gewollt volkstümelnd literarisch daherstelzt. Etwa
derart: „Hinauf sterben zum Herrgott". Oder: „Sich in eine spaßige Ablenkung
hineintrinken". Oder: „Alles geladene Material" (gemeint sind zu
ermordende Gäste) „in einen Augenschein hineinnehmen".
Letztlich, so scheint mir, versteckt
der Schwab Werner hinter seinen Sprechwülsten geschickt seine radikale
Abrechnung mit dem Volk. Bei ihm leben in einem Mietshaus nur dämliche Kleinstbürger,
wenn nicht gar etwas debile Gestalten, wie Sohn Herrmann von Frau Wurm. Nicht
zufällig glaubt Frau Grollfeuer, die reiche Professorenwitwe, es gäbe gar keine
Menschen, Und wenn es nur einen gäbe, meint sie, dann sei er wie sie, nämlich
ein Herrenmensch. In Erfüllung ihrer selbst herbeigeredeten Mission vergiftet
sie die ganze ihr lästige Hausgemeinschaft auf ihrer Geburtstagsfeier. Immerhin
greift sie auch selbst zum tödlichen Trank, was bei Herrenmenschen nicht
unbedingt üblich ist.
Herbert Olschok, erfolgreich am Platze
schon 1990 mit Mrozeks Absurdiade „Tango", hat sich der sozialkritischen
Klamotte regiemäßig angenommen. Mit realistischer Phantasie unterlegte er den Sprechblasen
satirisch-prononciertes Spiel, ausgewogen zwischen psychologischer Erkundung
und grotesker Verkörperung.
Ruth Glöss stolziert als gebrechliche,
dünkelhafte Grollfeuer durch die von Bühnenbildner Wolfgang Nieblich zu
nüchtern abstrakt gehaltene Szene. Sie spielt kaum, daß diese Frau offenbar
eine Quartalssäuferin ist. Sie verleiht ihr insofern bewußte Abgefeimtheit,
ähnlich der eines gefährlichen Fossils, das im anachronistischen Zug rhetorisch
das Maul aufreißt. Wenn Madame redet, kuscht das Volk.
Carmen-Maja Antoni gibt die Frau Wurm, die
ausgemergelte Pensionistin, noch hurtig zu Fuß und mit perverser Aggressivität
gegenüber Sohn Herrmann. Der hat bei Manuel Soubeyrand trotz aller ihm vom
Leben zugefügten geistigen Unbedarftheit einen fast heroischen Hang zum
Höheren, speziell zur Kunst. Aber die Rentnerin läßt ihn seine schlechten Bilder
nicht malen. Weshalb er die Mutter in Wirklichkeit fast, im Traum radikal
abmurkst.
Familie Kovacic wird im Spiel von Victor Deiß
(Vater), Barbara Dittus (Mutter), Deborah Kaufmann (Tochter Desiree) und Andrea
Solter (Tochter Bianca) zu einem gottvollen, ironisch-ziselierten Konterfei des
miefigen Bürgertums. Man kennt das eigentlich nur zu gut ob seiner alltäglichen
Häufigkeit. Und doch ist hier dem leidigen Gegenstand, sprich erbärmlich-spießigem
Verhalten, mit bissigem Humor allerhand Menschliches abgerungen.
Herbert Olschok hat eine glückliche Hand fürs
Skurrile. Würde der Autor seine drastischen Einfälle situativ auskosten, statt
sie zu zerreden - dieser Regisseur könnte es ihm richten. Jetzt gibt's trotz Inszenierungskunst
viel Geschwätz und zu wenig Handlung. Das verdrießt. Freundlicher Beifall.
Neues
Deutschland, 7. April 1992