„Der Kaufmann von Venedig“ von Shakespeare am
Berliner Ensemble, Regie Peter Zadek
Shylock in der Chefetage
Burgtheater-Aura im Berliner Ensemble. Peter Zadek macht es möglich. Mit seiner nicht mehr ganz frischen, aber aufgefrischten Inszenierung des „Kaufmanns von Venedig" von Shakespeare vom Dezember 1988, mit der Star-Besetzung aus Wien: Gert Voss als Shylock, Ignaz Kirchner als Antonio, Eva Mattes als Portia, Paulus Manker als Bassanio, Uwe Bohm als Gobbo, Urs Hefti als Gobbos Vater.
Es liegt nicht an den „Ostschauspielern",
an Jaecki Schwarz als Tubal, Martin Seifert als Doge, Veit Schubert als
Salerio, Stefan Lisewski als Gratiano, Götz Schulte als Lorenzo, Deborah Kaufmann
als Jessica, daß der Abend - obwohl umjubelt von der Schickeria - nicht eben glanzvoll
war, daß er sich bestenfalls einreiht in gutes hauptstädtisches Theater.
Es war da just keine neue geistige
Investition zu spüren, außer dem Bemühen Zadeks, einen Erfolg zu prolongieren. Das
ist zu wenig für Berlin! Zumindest möcht' man die Schauspieler allweil verstehen.
Wenn sie schon nicht gestisch, sondern gefühlig sprechen, möchten sie doch
bitte alle, auch bei flotter Spielweise, in den hinteren Reihen zu vernehmen
sein. Zumindest beginnt hier die Homogenität einer Inszenierung, ihre Vitalität,
ihre Konzentration, ihre Spannung. Das muß vermerkt werden, so überzeugend die
Akteure im Detail sind, so sinnträchtig die Lesart ist.
Peter Zadek erzählt mit Hilfe
Shakespeares über das moderne Hauen und Stechen in den Chefetagen der Finanzbosse,
in den Büros der Geschäftemacher (Wilfried Minks liefert ihm eine gläserne
Hochhaus-Fassade mit Fahrstuhltür). Was allein zählt auf dieser Welt? Daß man
den Konkurrenten ausschaltet, mit welchem
Mittel auch immer! Und daß man ansonsten einigermaßen gutbürgerlich ehetreu
lebt. Schon Shakespeare wußte das.. Und Zadek ruft's neuerlich ins Bewußtsein,
das Komische dabei derb-ironisch, manchmal hausbacken bedienend.
Uwe Bohm als Lanzelot Gobbo macht gute Figur.
Gobbo ist der lausige Kerl aus dem Volke, mal mit dem Brandenburger Tor auf
dem Hemd, mal mit dem Union-Jack, der den Juden verläßt und sich bei den
Christen dienstbar macht. Lustspielig aufgedreht, aber passabel die Szene mit
dem blinden Vater Gobbo (Urs Hefti), den der Sohn gnadenlos foppt. Der Shylock
des Gert Voss ist ein aalglatter Rechner, der fast hemdsärmelig in den
Konflikt geht, auf Freundschaft setzt, sich verkalkuliert und dann gnadenlos
sein Recht fordert. Der nervige Voss spielt die Situationen wie aus dem Ärmel. Einprägsam
seine Begegnung mit Tubal (Jaecki Schwarz), Momente konkreten Theaters, da
entstehen soziale Beziehungen, da erfährt man Hintergründe: Der Mensch Shylock
ist halt auch nur ein Geschäftemacher.
Für Portia, die umworbene reiche
Schöne von Belmont (das Minks mit bunter Leinwand assoziiert), hat sich Zadek
rein gar nichts einfallen lassen. Er vertraut auf die gestandene
Schauspielerin Eva Mattes. Auch das Liebespaar, Lorenzo (Götz Schulte) und
Jessica (Deborah Kaufmann) läßt der Regisseur ziemlich im Stich. Zuletzt auf
der Bühne: Nicht der irritierte Antonio, sondern das En passant-Pärchen
Gratiano (Stefan Lisewski) und Nerissa (Wiebke Frost) sich küssend. Etwa doch
harmonische Welt...?
Neues
Deutschland, 10. Januar 1994