„Väter und Söhne“ von Brian Fiel am Maxim Gorki Theater
Berlin, Regie Stephan Kimmig
Nihilisten rebellieren
Die Berliner Theatersaison 1998/99 hat ihren ersten darstellerischen Glanzpunkt. Ich zögere nicht, dies zu behaupten. In der im Tragischen wie im Komischen recht ausgewogenen deutschsprachigen Erstaufführung des Schauspiels »Väter und Söhne« von Brian Friel am Berliner Maxim Gorki Theater geben Ursula Werner und Klaus Manchen das Ehepaar Bazarow, die Eltern des jungen nihilistischen Aufmüpfers Jewgenij. Und das machen sie wunderbar anrührend. Ihre überschwengliche, von der Last des Lebens geprägte sorgenvolle Liebe zum Sohn geht zu Herzen.
Klaus Manchen - ein auch im Geiste ergrauter russischer Provinzarzt,
idealistischer Humanist von Seele, sanft überheblich gegenüber der Ehefrau,
liebenswürdig redselig, stolz auf den Sohn, aber verunsichert, wie mit ihm
umzugehen sei. Ursula Werner - ein bescheidenes altes Muttchen, duldsam, Tränen
unerwarteter Freude scheu unterdrückend. Wie die beiden Alten da so sitzen,
noch einmal aufblühen, wenn sie zu ihrer Überraschung von der großen Begabung
ihres Sohnes erfahren, wie sie dann hinfällig sind, verstört und verloren, weil
ihnen ihr Lebensglück weggestorben ist - dies Spiel zu sehen lohnt den Abend.
Mit dem 38jährigen Stephan Kimmig, tätig bisher in Stuttgart, Heidelberg
und Graz, scheint sich am Gorki Theater ein Regisseur vorzustellen, der
Schauspieler mag, ihnen vertraut und sie anspornt, Texten nachzuspüren. Das
bringt Individualität auf die Szene (die von Cary Gayler übrigens ziemlich leer
gehalten ist, in schwarz-blauem Kasten russische Weite ganz und gar nicht
assoziiert), aber auch Ungefähres. Man ist zurückhaltend mit ablesbaren
Wertungen (ausgenommen Monika Lennartz, die die greise Fürstin Olga drastisch
als verschroben-gefährliche Alte demonstriert); das heißt, die Gestalten
bleiben relativ frei im Raum, sind wenig dingfest gemacht gemäß ihres sozialen
Standes und weder eindeutig auf Rußland festgelegt, woher ihr Schöpfer Iwan S.
Turgenjew (1818-1883) stammte, noch auf Irland, wo ihr Bearbeiter Brian Friel
lebt. Dies sozial »Allgemeingültige« rückt das Stück beiläufig in die Gegenwart.
Indessen: Reibung zwischen Vätern und Söhnen gehört zum
Leben hier und dort, damals wie heut. Rebellierende Jugend ist immer
interessant, Fakt aber auch die Tatsache, daß sie stürmend und drängend gern
illusionär Ziele postuliert, ohne ihnen je real näher zu kommen. Der Held des
Stückes, der passionierte Nihilist Jewgenij Bazarow, scheint mir insofern bei
dem ungelenk-behäbigen Alexander Hörbe ziemlich gut aufgehoben. Das ist kein
Typ intellektueller Härte, sondern emotionaler Wirrköpfigkeit. Zu Hause bei Vater
sitzt der Medizinstudent brav am Tisch, draußen in der Welt spuckt er große
Töne. Die trockene Chuzpe gelingt Hörbe überzeugend, aber sein Jewgenij gerät
in vordergründiges Theatern, wenn der sein nihilistisches Revoluzzertum vergißt,
weil ihn Leidenschaft mitreißt zu Anna Odinzowa (Jacqueline Macaulay), der schönen
Landadligen, der er stammelnd seine brennende Liebe gesteht.
Nur verhalten ist im Spiel, was Turgenjew bewegte (»Mein
ganzer Roman ist gegen den Adel als führende Klasse gerichtet«). Kimmigs
Landadel latscht zwar immer wieder rücksichtslos über rote Blumen, ansonsten
ist er von mobiler Unverbrauchtheit, zumindest gar nicht dekadent. Daß der
umtriebige, fahrige Nikolaj Kirsanow (Marcus Mislin) seiner Magd Fenitschka
(Anna Steffens) ein Kind angedreht hat, regt niemanden auf, außer Fenitschka,
weil die nämlich den Gutsherrn gar nicht liebt. Nikolajs Sohn Arkadij (Harald
Schrott), Jewgenijs Freund, nimmt einen Halbbruder amüsiert in Kauf. Onkel
Pawel (Heinz Kloss) allein reagiert noch »standesgemäß«. Er ruft nach Pistolen,
als er sieht, daß Jewgenij die auch von ihm angebetete Frau küßt.
Mit dem überraschenden frühen Tod des Helden ist das
Stück eigentlich zu Ende. Das Hin und Her, das noch kommt, wird vorgeführt, um
zu zeigen, wie Arkadij leidenschaftlich bekennt, das Vermächtnis seines
Freundes Jewgenij bewahren zu wollen. Und das möchte ja wohl sein. Viel Beifall
des Publikums.
Neues
Deutschland, 15. September 1998