„Trommeln in der Nacht“ von Bertolt Brecht am Theater Schwedt, Regie Tatjana Rese

 

 

 

Skurriler Familienstreit in der Piccadillybar

 

Im Rahmen des „Brecht-Dialogs 1988" gastierte das Theater der Stadt Schwedt auf der Probebühne des Berliner Ensembles mit „Trommeln in der Nacht". Die Komödie des Zwanzigjährigen hatte Christoph Schroth 1982 in Schwerin für die DDR erstaufgeführt und 1983 am Berliner Ensemble erneut inszeniert, wobei er deutlicher als am Mecklenburgischen Staatstheater an den Figuren geschichtliches Schicksal und soziales Verhalten sichtbar machte.

Diese Dimensionen interessierten Tatjana Rese, Regisseurin der Schwedter Inszenierung, offenbar wenig. Sie trieb dem Expressionismus Brechts den Realismus aus. Der nach dem ersten Weltkrieg heimkehrende Kolonialsoldat Kragler ist bei ihr nicht einmal andeutungsweise ein „fataler Revolutionär".

Tatjana Rese zeigt einen skurrilen Familienstreit in der Piccadillybar, zeitlos, ein wenig frivol und einigermaßen amüsant. Papa und Mama Balicke, Anna und ihr Verlobter Murk betrinken sich und attackieren den Eindringling Kragler. Die ab und an hereingeisternden zwei Herren, die von Spartakus orakeln und von Kämpfen in den Straßen Berlins, geraten zu überflüssigen Märchenonkeln, weil nicht genutzt für eine sozialkritische Sicht.

Zwangsläufig schafft die Regisseurin denn auch nicht die komische Abfertigung des Kragler. Im Gegenteil. Sie stilisiert ihn zum Helden. Sein Abblitzen bei der Kleinbürgerfamilie Balicke interpretiert sie als tragisch. Nicht einmal dessen spießiges Buhlen um die ihm ungetreue, inzwischen schwangere Anna macht sie lächerlich.

Tatjana Rese hat durchaus Empfinden für die rüde Sinnlichkeit der Brechtschen Dialoge (achtbar Birgit Edenharter als Mutter Balicke, auch Roland Möser als Vater Balicke sowie Antje Goldmann als Anna). Um so enttäuschender ihre abwegige Bewertung einiger Figuren. Den Kragler sieht sie als lamentierenden Bohemien, den Schnapshändler Glubb als barfüßigen Guru, den Journalisten Babusch als streunenden Galan.

An sich baute der gastierende Bühnenbildner einen passablen Raum für präzis sezierende Spielweise. Eberhard Keienburg setzt das Publikum auf spartanische Bänke erhöht sich gegenüber, wo es sich an- und vor allem nach unten schauen kann in eine schmale Gasse, :die gefliest ist wie ein Operationssaal und an den Wänden bemalt wie ein ausrangiertes Vexierbild.

 

 

Neues Deutschland, 16. Februar 1988