„Trommeln in der Nacht“ von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, Regie Christoph Schroth

 

 

 

Aktuell bestürzende Verständigung mit Bertolt Brecht

 

 

Lebendige zeitgenössische Verständigung mit Bertolt Brecht mittels Schauspielkunst. Gastregisseur Christoph Schroth, der „Trommeln in der Nacht", des Dichters frühe Komödie, bereits in Schwerin inszeniert hatte (JW 246/82), löste sich jetzt am Berliner Ensemble von expressionistischen Betonungen. Er setzt ganz auf die subtil-realistische Ausdruckskraft der Schauspieler. Nur wenige äußerliche Attribute noch, unterschiedlich im Effekt. Einfach schön der langsam vom Rang herunterschwebende rote Mond (die romantische Illusion, die Kragler am Schluß brüsk zerschlagen wird). Eher Garnierung das wiederholte Geräusch der ordinären Windmaschine oder die wallenden weißen Wolken von der Bühne herab in den Zuschauerraum. Beiwerk das.

Schroth geht auf die Substanz. Brechts „Held" Kragler ist dank der psychologisch differenzierten Schauspielkunst des Martin Seifert nur ein wenig der „fatale Revolutionär", aber sehr deutlich der schließlich kalt und egoistisch kalkulierende „kleine Realist" (Brecht). Der nämlich ahnt — gleichsam mit dem geschärften Instinkt des durch Krieg und Gefangenschaft geschockten Kleinbürgers —, daß die Revolution scheitern wird. Er bekennt sich selbstsüchtig-trotzig, auch etwas wehmütig-bitter, zu dem Schwein, das er ist, und geht mit seiner Anna ins Bett.

In der Gestaltung Seiferts tritt uns auf beklemmend-makabre Weise die als „Held" personifizierte verhängnisvolle Geisteshaltung derer entgegen, die seit der Novemberrevolution immer einmal wieder jenen Kräften vertrauen, die angeblich mit dem Geld besser umzugehen verstehen. Insofern ist dieser „fatale Typus des Sozialdemokraten" (Brecht) auf geradezu bestürzende Weise aktuell. Gespielt wird insgesamt mit großer Präzision, behutsam und mit empfindsamem Verständnis die menschlichen Schicksale suchend. Christine Gloger, Dieter Knaup, Jaecki Schwarz, Michael Gerber und Hans-Joachim Frank seien genannt. Ein bemerkenswerter Erfolg für das Berliner Ensemble.

 

 

Junge Welt, 22. März 1983