„Triumph der Liebe“ von Marivaux am Staatstheater Stuttgart, Regie Chrostof Loy

 

 

 

Gelüste hinter Würde und Grazie

 

Vielleicht ist heutzutage nur noch das Theater ein Ort, wo Affären des Herzens freundlich und generös abgehandelt werden können. In dieser brutalisierten Gesellschaft ist es üblich geworden, möglichst schnell zur Sache zu kommen und sich mit den komplizierten seelischen Kristallisationen der Liebe nicht erst aufzuhalten. Welche Verrohung, wieviel Schamlosigkeit tagtäglich allein im Fernsehen. Zu begrüßen daher der Versuch des Staatsschauspiels Stuttgart, mit der empfindsamen Komödie »Triumph der Liebe« von Pierre Carlet de Marivaux (1688-1763) anmutig ein klein wenig dagegen zu halten. Zu registrieren jetzt beim Berliner Theatertreffen.

Jedoch: Triumphiert bei Marivaux tatsächlich die Liebe? Deren Entdeckung als eine innere, gefühlvolle Angelegenheit des Menschen war im Frankreich des Rokoko in Salons und auf dem Theater erregendes Thema. Vorherrschend allerdings schon damals das Spielen mit der Liebe, das Verbergen der Gelüste hinter Würde und Grazie. Das höfische Zeremoniell als Versteck für die Lust. Die Kunst des Verführens geradezu ein Kult. Triumph also für jene, die am geschicktesten zu manipulieren verstanden.

Mit solch Sachverhalt wäre freundlich ironischer Umgang angezeigt. So angenehm es ist, wenn auf dem Theater Figuren ernst genommen und nicht diffamiert, gar verhunzt werden. Doch wenn der auf seinem Landsitz vereinsamte, alternde Philosoph Hermokrates (Wolfgang Höper) und seine verjungferte Schwester Leontine (Verena Buss) auf die taktischen Liebesschwüre der als Mann verkleideten Prinzessin Leonida hereinfallen, braucht das einen kritischen Touch, sollte das nicht einfach vom Blatt gespielt werden. Zumal die Weltfremdheit des um sein Ansehen bangenden Philosophen nach sarkastischen Akzenten geradezu schreit.

Jungregisseur Christof Loy identifizierte sich. Im reizvollen Bühnenbild Herbert Murauers (ein romantischer Park auf die Wände eines Vestibüls gemalt) entwarf er die märchenhafte Idylle eines Schäferspiels, mit gutem Empfinden für »runde« Charaktere, vordergründig höfische Pose meidend, standesgemäße Haltungen suchend. Poltrig der Gärtner (Gottfried Breitfuß), clever der Diener (Marcus Mislin). Agis, der von Hermokrates aufgezogene, bisher im Verborgenen lebende eigentliche Herrscher des Landes, zu dessen Eroberung Leonida anreiste und wegen dem sie all ihre Liebes-List ins Treffen führt, ist bei Andreas Schlager ein muffliger, in sich geduckter, stimmlich schwacher Geselle. Man kann nur staunen, wo die Liebe so hinfällt.

Leonida, die zärtlich fühlende Prinzessin, wird von Hedi Kriegeskotte mit natürlicher Grazie als eine selbstbewußte, klug charmierende junge Frau vorgeführt. Überraschung des Finales: Es geht der Prinzessin scheinbar gar nicht um Liebe! Des Staates Wohlergehen liegt ihr am Herzen, deshalb betreibt sie des Prinzen Rückkehr ins Leben. Das scheue Weib vorgebend, offeriert sie dem inthronisierten Agis zurückhaltend huldvoll: »Ich überlasse ihr Herz ihrem Verstand!« Welchem sie - wie wir erlebten - überlegen ist. Kein Zweifel: Die Wegbereiterin des jungen Gebieters wird die Regentin seines Herzens sein.

Solch harmonische Lösung, wer hätte sie nicht gern. Theater darf mogeln. Herzlicher Beifall.

 

 

Neues Deutschland, 14. Mai 1997