„Triumph der Empfindsamkeit“ von Goethe an der Volksbühne Berlin, Regie Stefan Bachmann

 

 

 

Gequält lustig

 

Möglicherweise wurde an der Berliner Volksbuhne eine Schublade verstaubter dramatischer Opuscula geöffnet, die - angesichts des allgemeinen Mangels an zugkräftigen Stücken - noch diese oder jene Überraschung verspricht. Aber setzen wir die Erwartungen nicht zu hoch an. Goethes jetzt hervorgeholte, kaum gespielte und zu Recht vergessene sanfte Satire »Triumph der Empfindsamkeit« aus dem Jahre 1777, gemünzt auf das von ihm selbst ausgelöste »Wertherfieber«, ist trotz aktualisierender Bearbeitung (von Stefan Bachmann und Thomas Jonigk) nicht mehr als ein Triumph der Belanglosigkeit.

Was trägt sich zu? Ein superempfindsamer Prinz Oronaro hat sich die »vorzüglichste Glückseligkeit« seiner Seele, seine Angebetete, die Königin Mandandane, als Puppe fertigen lassen, die er in einer Kiste aufbewahrt. Das künstliche, idealisierte Abbild hat er inniger ins Herz geschlossen als das lebendige Original.

Als Mandandane sich von des Prinzen Liebe überzeugen will, findet er sie abgeschmackt, tritt er sie mit Füßen. Fatales Erwachen der Königin. Ansonsten Beiwerk. Leerlauf.

Immerhin gab sich Jungregisseur Stefan Bachmann Mühe, die schüttere Fabel nicht mit Grotesk-Einfällen zuzuschütten. 1994 hatte er, erstmals an der Volksbühne, im 3. Stock Marivaux' »Falsche Zofe« mit grobianischer Clownerie geradezu erstickt. Jetzt läßt er den Figuren Luft, sich zu regen; partiell sogar ein wenig in der zarten Manier eines fürstlichen Liebhabertheaters. Jürg Kienberger, das Multitalent, hilft ihm. Er spielt keck komisch Feria, des Königs Schwester, die die Hoffräulein (Karin Mikityla, Olivia Grigolli, Eva Maron, Gesine Cukrowski) zu artig-feinfühligen Gesängen anhält. Gäbe es nicht letztlich kindische Wiederholungen, die musikalischen Parts könnten sich hören lassen.

Was die vom Regisseur ausgedachten spielerischen Zutaten betrifft, so ist der Einfall, den Herrn Oronaro (Stephan Richter) als im Königreich verweilenden Weltraum-Touristen einzuführen, eingermaßen brauchbar. Wissen wir doch, daß die Außerirdischen zuweilen höchst sensible, wenn nicht gar übersensitive Wesen sind, was erklärt, weshalb dieser Kerl seine ihn bewegenden irdischen Entdeckungen für sich materialisiert und in eigens dafür konstruierte Gehäuse gesperrt hat. Daß er außerdem ein rockiger Sänger ist - so wie Michael Jackson einer -, überrascht zwar, gestattet aber eine hübsche Parodie der hirnrissigen Leidenschaft diverser Teenies. So schnell verfallen züchtige Hoffräulein brüllender Verführung des Herzens! Andererseits ist den jungen Damen zu danken, .daß 0ronaros egozentrischer Tick an den Tag kommt. Mit der Losung »Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts!« lüften sie sein Geheimnis.

Andrason, der - »Zurück zur Natur!« - im Heu residierende König, dem seine Mandandane davonläuft, ist bei Bruno Cathomas in gutem Körper. Wir bekommen ihn vornehmlich im ledernen Lendenschurz vorgeführt. Der Schauspieler gibt einen kernigen Naivling, dem die Zuneigung der Hoffräulein zufliegt. Die Mandandane der Cornelia Schmaus, von gestylter Unnatürlichkeit, ist von herrlicher Einfalt, wenn sie dem König bei Tische auf seine teilnahmsvolle Frage, was es denn gebe, antwortet: Apfel! Welche Replik sich - auf Wunsch des Regisseurs - mehrfach wiederholt wie bei einer Schallplatte mit zerstörter Rille. So gequält lustig geht es zu diesmal in der Volksbühne...

 

 

Neues Deutschland, 8. Oktober 1996