„Trilogie der Sommerfrische“ von Carlo Goldoni an der
Schaubühne Berlin
Lachstoff für die Reichen
Der Bühnenbildner der neuesten Produktion der Berliner Schaubühne, Tom Schenk, sah keine Veranlassung, anonym zu bleiben. Für Carlo Goldonis Lustspiele „Vorliebe für das Landleben", „Abenteuer auf dem Lande" und „Rückkehr vom Lande", zusammengefaßt unter dem Titel „Trilogie der Sommerfrische", baute er eine imponierende Arena mit allerhand Wasser, darin schwimmender Spielplattform à la Commedia dell'arte und mit darüber sich erhebender Spieletage. Ecken, Nischen, Treppen, Stege - Klein-Venedig. Famos.
Der Regisseur des Viereinhalb-Stunden-Marathons hingegen
will nicht genannt sein. Das Ensemble sprang für ihn ein und übernahm die
kollektive Verantwortung. Geneigt ist man allerdings, sich an Erik Vos zu
halten, nach dessen Fassung und Konzept gespielt wird. Vos legte offenbar Wert darauf
vorzuführen, daß Goldoni (1707-1793) die alte Masken-Stegreifposse überwunden
und die Charakterkomödie kreiert hatte. (Goldoni: „Heute soll der Schauspieler
Seele haben, und Seele unter der Maske ist wie Feuer unter der Asche.")
Doch wer auch immer letzte verantwortliche Hand anlegte, der umfangreiche Abend
mit Feuerwerk und strömendem Regen schien letztlich wie ein sentimental-romantisches
Vorspiel für Tschechows „Kirschgarten".
Jedenfalls führte das Ausloten der Charaktere, was sich
ja anbietet und a priori kein Fehler ist, zu psychologischer Ausführlichkeit
auch dort, wo Raffung und Tempo angesagt gewesen wären. Außerdem ließ man sich
zu allerlei zwar netten, doch das Spiel unnötig dehnenden Intermezzi verleiten.
Zu billigen Gags auch.
Apropos Substanz. Goldoni sah in einer übersteigerten Vorliebe für das
Landleben „Lachstoff" für Lustspiele. Er wollte die Narrheit derer geißeln,
„die, ohne auch nur einen Daumenbreit Boden zu bebauen, mit hohen Kosten Landhäuser
unterhalten und sich dadurch zugrunde richten". Er wollte die Lehre vermitteln,
„daß man überall auf Abwege gerät, wo mittlerer Reichtum es großem Reichtum gleichtun
will".
Das ist denn auch genau der „Lachstoff" für das betuchte
Publikum der Schaubühne. Ihm gefällt, wie kokettierend locker das Ensemble
damit umgeht. Sommerfrische im eigenen Landhaus, womöglich verbunden mit einem
kleinen Liebesabenteuer, wer von „mittlerem Reichtum" träumt nicht davon,
hat es nicht schon ausprobiert. Und wenn es kommt wie bei Goldoni, wo Herr
Leonardo über seine Verhältnisse lebt, kann man sich ja vielleicht auch mit
einer „Vernunft"-Ehe erst einmal über Wasser halten.
Goldoni hatte nämlich nebenher festgestellt, wie fragwürdig Liebe unter
den Geldleuten ist und wie verlogen bürgerliche Moral. Giacinta, die Tochter
des vermögenden Filippo, selbstbewußt zwar, aber renommiersüchtig, läßt sich
Leonardo anverloben und beugt sich den Kriterien von „Ehre" und „gutem
Ruf, statt ihrer Liebe zu folgen. Das ist ein solch widersinniges Verhalten,
daß Andrea Clausen alle Mühe hat, dieser Figur zwischen natürlicher
Empfindung und verschrobener Etikette Glaubwürdigkeit zu verleihen. Überzeugend
Wolfgang Michael als ihr melancholisch in Liebe schmachtender Verehrer Guglielmo.
Der ihr aufgedrungene Gatte, der bankrotte Leonardo, wird von Oliver Stern als
ein rechter Tunichtgut vorgeführt. Und Filippo, ihr Vater, ein Nachfahr des
klassischen Maskentypen Pantalone, ist bei Peter Simonischek in besten Händen.
Dessen kauzig-gemütlicher Alte hält mit Herz und guter Laune den durchaus ungewöhnlichen
Abend zusammen.
Neues
Deutschland, 19. Oktober 1994