„Theatermacher“ von Thomas Bernhard an den
Kammerspielen des DT Berlin, Regie Peter Schroth und Peter Kleinert
Kauziger Theatermacher
Das ist ein Abend für Kurt Böwe, für den
Volksschauspieler des Deutsehen Theaters, der im April seinen 60. Geburtstag
feiert. Mit vitaler komödiantischer Lust spielt er den „Theatermacher" des
österreichischen Dramatikers, Lyrikers und Prosaautors Thomas Bernhard. Die Inszenierung
ist zugleich der erfolgreiche Einstand von Peter Schroth und Peter Kleinert an den
Kammerspielen des DT, die das Stück hier als Gastregisseure zur DDR-Erstaufführung
brachten.
Beim ersten Hinhören scheinen die Texte des
bissigen Witzbolds Bernhard, der am 12. Februar dieses Jahres im Alter von 58
Jahren verstorben ist, nur eine aufmerksame Dialogregie zu erfordern. Der
Theatermacher Bruscon, ein Wanderschmierendirektor à la Schönthans Striese, ist
mit Frau, Tochter und Sohn zu einem Gastspiel in „Utzbach wie Butzbach"
angereist — und redet und redet zum ergeben staunenden Wirt des „Schwarzen
Hirsch" vor allem über drei Dinge: Über sein Lebenswerk, das „Rad der Geschichte",
eine „Schöpfungskomödie", die die Familientruppe am Abend spielen wird.
Über das Notlicht, das vom Feuerwehrmann für fünf Minuten zwecks Erhöhung des
künstlerischen Effektes ausgeschaltet werden müßte. Und über die Fritattensuppe,
die er der Familie als Lieblingsspeise verordnet hat.
Schon auf den zweiten Blick stellt sich
heraus: Dieser Bruscon ist nicht allein ein letzter Nachfahre des legendären
österreichischen Hanswursts Stranitzky. Er ist ein größenwahnsinniger, derb-ironischer
Phraseur, ein tyrannischer Prinzipal und ein fast hypochondrischer
Schauspieler. Er ist vor allem aber das unmittelbare Sprachrohr seines kauzigen
Autors. Dessen charmant-dubiose Lebensphilosophie ist lachende Absage an die
ungeliebte bürgerliche Welt und kokettes Nichtverstehen der sozialistischen.
Dabei gab Bernhard noch kurz vor seinem Tode zu: „Meine Urteile können nur
Vorurteile sein. Leider, leider, leider ... So verurteilt man immer die ganze
Welt — und es ist nur ein Vorurteil ..."
Bei Bernhard schwadroniert also kein lebensfrommer
Striese, bei ihm lamentiert und räsoniert ein ziemlich kaputter, allerdings höchst
gewitzter Weltschmerzler. Etwa der Art: „Das Theater ist eine Jahrtausende alte
Perversität, in die die Menschheit vernarrt ist, und deshalb so tief in sie vernarrt
ist, weil sie in ihre Verlogenheit so tief vernarrt ist..." Skeptizismus,
der sich ständig selbst foppt und streichelt, ist der dramatische, durchaus mit
Herzblut geölte Drehzapfen des Stückes. Was Tragikomik ergibt.
Bruscon, der sich anmaßend mit Shakespeare
und Voltaire vergleicht und der in seinem immerfort zitierten „Jahrhundertwerk"
Personen der Geschichte bemüht, erlebt sinnigerweise in der tiefsten Provinz
eine schicksalhafte Pleite. Und dies nicht etwa wegen seiner konfusen „Schöpfungskomödie".
Nein. Die Natur spielt nicht mit. Kurz vor Beginn der Vorstellung bricht ein Gewitter
aus. Der Blitz schlägt im Pfarrhaus ein, das sofort in hellen Flammen steht.
Die immerhin zahlreich erschienenen Zuschauer enteilen prompt, um sich das Naturschauspiel
nicht entgehen zu lassen. Auch regnet es plötzlich hinein in den brüchigen,
muffigen und nun leeren Tanzsaal des „Schwarzen Hirsch". Trostlos steht er
am Ende im Regen — der noch eben so wacker auf „Irritation" des Publikums
versessene armselige Theatermagier Buscon.
Dabei aber stellt sich heraus: Hier war doch
mehr nötig als nur hellhörige Dialogregie. Schroth/ Kleinert inszenierten die
theatrale Donquichotterie des Bruscon gleichsam als ein Endspiel, als possierlich-makabren
Abgesang auf einen scheinbar wunderbar emanzipierten, in Wahrheit aber geistig
verkümmerten Hofnarren bürgerlicher Sozietät. Sie bewerkstelligten dies — so
genügsam das klingen mag — mit großer Schauspielkunst.
Es ist und bleibt das eigentliche Vergnügen
im Theater, wenn Regisseure und Schauspieler für uns auf verständnisvolle Entdeckungsreise
gehen zu den Menschen in den Figurenentwürfen des Autors. Obwohl just bei diesem
Stück durchaus denkbar — Schroth/Kleinert wählten keine willkürlich-hämische Verunglimpfung.
Sie modellierten sorgfältig an den unerfüllbaren Sehnsüchten und fatalen
Schwächen dieser Komödianten.
Böwes Bruscon schimpft und hadert aus
ungebrochener mimischer Urwüchsigkeit. Seine bittere Ironie ist kraftvoll, die
hintersinnigen Spitzfindigkeiten haben noch Stoßkraft, die Familientyrannei ist
noch unumschränkt. Seine Urteile verkündet er mit absoluter, keinen Widerspruch
duldender Attitüde. Wenn er seine Stimme erhebt zum Beispiel gegen die
„Plärrerei" der Staatsschauspieler, dann mit einem Gestus, als sei er der
allergrößte, nur leider böse verkannte Staatsmime.
Anfangs agiert Böwe mit keck auf dem Haupte
sitzendem Hut und mit tief herabhängendem dunkelrotem Schal auf weitem grauen
Mantel: ein Theatersouverän. Vielleicht ist die Etüde „kranke Füße", der
Weg hin zur Fritattensuppe auf dem Tisch, um eine Spur überzogen. Ansonsten
spielt er die Erbärmlichkeit solch Komödiantendaseins ebenso genau wie die
unverdrossen-tapfere Treue zum Beruf. Mit heiligem Ernst probiert er diese und
jene Szene und schikaniert dabei gefühllos seine Kinder. Dann zieht er sie
rührselig an die Brust. Seine Frau freilich, deren, wie er höhnisch meint,
einziger Reiz ihr Hustenreiz ist, hat er geradezu verbannt. Was sie ihm heimzuzahlen
versteht.
Gudrun Ritter gibt eine Ehefrau, die sich in
wächserne Ergebenheit zurückgezogen hat. Ihre einzige, aber fürchterlich eingesetzte
Waffe ist ihr frustrierendes Hüsteln. Sie hegt es geradezu. Und man kann sich
lebhaft vorstellen, wie rachekalt sie damit jede Aufführung des „Jahrhundertwerkes"
ihres ungeliebten Gatten demoliert. Totale Hingabe an den Vater trotz aller
Schikane spielt Heidrun Perdelwitz. Diese Tochter Sarah ist ein offen seelenwundes,
erbarmungswürdiges Geschöpf. Lothar Försters Sohn Feruccio ist im Erdulden der
väterlichen Tyrannei zur Marionette erstarrt. Nur die groß und weh in die Welt blickenden Augen scheinen unbeirrt in weiter
Ferne ein schwaches Licht verheißungsvoller Zukunft zu ersehnen.
Den Tanzsaal baute Eberhard Keienburg, bei
ihm ein windschiefer Betonkasten, dem ich Verfall und Muffigkeit nicht recht zutraue.
Aber Gerhard Laus biederer Wirt paßt fabelhaft hinein. Obwohl diese Gestalt nur
wenige Sätze zu sprechen hat, entsteht ein in treuherziger Untertänigkeit
rundum sich wohl fühlender gutherziger Dörfler. Außerdem beteiligt: Annelene
Hischer als Frau Wirtin und Elisabeth Richter als Tochter Erna. Für
ortsgerechte und der Schmiere angemessene Kostüme sorgte Eberhard Keienburg,
für ausdrucksstarke Masken Wolfgang Utzt. Ein anregender Theaterabend, der sich
empfehlen läßt.
Neues
Deutschland, 8. März 1989