„Torquato Tasso“ von Goethe am Deutschen Theater Berlin, Regie Alexander Lang

 

 

 

Wie Spielzeug verbraucht...

 

Der klassizistisch reizvolle Park des Lustschlosses Belariguardo, Besitz Alfons des Zweiten, des Herzogs von Ferrara. Aufgebaut von Bühnenbildner Marcel Keller im Deutschen Theater Berlin als schöne Idylle. Zwischen Pinien, Säulen-Wacholdern und Oleandern in ruhiger Abgeschiedenheit, in der vollkommenen Harmonie von Natur und fürstlicher Gnade, tummeln sich Federvieh, Diener und Gärtner. Höchstselbst und ganz nebenbei verschönt der Herzog mit Pinsel, Farbe und etwas Parfüm einen zu weiß, zu nüchtern wachsenden Strauch. Mit lebendigen Wesen wie Tasso allerdings hat er so glückliche Hand nicht. Torquato Tasso, der 1544 zu Sorrento geborene italienische Dichter, der Unruhige, der Unruhestifter - wofür steht er heute? Läßt sich mit ihm noch etwas Bewegendes erzählen? Das Verhältnis zwischen Dichtern und Politikern scheint ja derzeit, nach Heiner Müllers Tod, von allen Querelen bereinigt. Haben Stückeschreiber wie weiland Goethe ihren einträglichen Frieden mit der Macht geschlossen?

Bekanntlich hatte Goethe nach seiner Flucht nach Italien Konformität mit der Weimarer Aristokratie gesucht. Aber immerhin widmete er dem unlösbaren Widerspruch zwischen Dichtergeist und Staatsräson ein Stück, den »Torquato Tasso«, sein persönlichstes Schauspiel. »Bein von meinem Bein«, sagte er, »und Fleisch von meinem Fleisch«. Der Einunddreißigjährige kannte sich aus. Die unversöhnlichen Gegensätze liefen gewissermaßen direkt durch ihn hindurch. Und Regisseur Alexander Lang, dieser gewitzte Ironiker wie feinsinnige Menschenkundler, bedient sie exzellent. »Zeitnähe« streut er nur kurz ein, mit Düsenjäger-Lärm, mit knatterndem Rasenmäher. Ansonsten gibt er souverän das liebenswürdige, naive Schäferspiel.

Munter parlieren die Damen Sophie von Kessel (Leonore von Este) und Claudia Geisler (Leonore Sanvitale) ihre Verse. Und Alfons der Zweite ist bei Kay Schulze der ideale Fürst - ein eitler, kapriziöser Geck, nobel, vornehm, konziliant, aber eben auch der seiner Konvention verpflichtete absolute Herrscher, der des Dichters Werk als sein Eigentum betrachtet. Eine scheinbar satte, heile Welt also.

In der Spielzeug gebraucht wird für dies oder jenes Ränkespiel. Tasso, dieser komplizierte Künstler, ist zu sensibel, zu zerbrechlich. Seine ungestüme Leidenschaft, sein aufmüpfiges Selbstbewußtsein und sein Ideal menschlicher Freiheit reißen ihn mit sich fort. Götz Schubert zieht alle Register seines reifen Könnens. Klar. Plastisch. Expressiv. Wunderbar differenziert. Wer gestisch beredte Schauspielkunst in Berlin vermißt, hier kann er sie genießen.

Da duckt sich ein Künstler tief vor seinem Brotgeber, paßt sich demütig an. In abgewetztem Anzug, wohl auch ein wenig hungrig, offeriert er sein jüngstes Werk und wehrt sich gerührt gegen unerwartete Ehrung. Brummelnd fügt er sich. Enttäuscht wendet er sich ab, als Staatssekretär Antonio (Guntram Brattia), dieser rationale Pragmatiker, den toten Dichter Ariost über Gebühr preist. Doch als Antonio den Tasso verächtlich auslacht, wehrt der sich, keilt er sich mit dem Staatssekretär herum. Was wirklich nicht zu empfehlen ist!

Wie ein Kind, das gescholten werden muß, wird Tasso vom Fürsten aufs Zimmer geschickt. Und der Staatssekretär hält seinem Herrn eine Gardinenpredigt über Mauern, die auf Sicherheit gebaut sind und die rohe Wut nicht antasten darf. Tassos Vertrauen ist dahin. Obwohl sich nun alle, auch Antonio, redlich um ihn mühen, will er hinaus in die Welt. Nicht ohne vorher seiner innigen Liebe zu Leonore von Este ziemlich ungezügelten Lauf zu lassen. Weshalb man letztlich wirklich vermuten könnte, dieser Mann verliere zuweilen die ratsame Übersicht. Alexander Lang legt sich da nicht fest, rechtet nicht vordergründig, wertet gerecht - und erzählt so realistisch vom Schicksal des Dichters in einer Gesellschaft, die Künstler wie Spielzeug liebt und verbraucht. . .

Langanhaltender Beifall.

 

 

 

Neues Deutschland, 23. Dezember 1996