„Der tollste Tag“ von Peter Turrini am Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Karl Gassauer
Eine tragische Version der Hochzeit des Figaro
Das Schreiben von Varianten auf alte Stücke
ist durchaus kein neues Geschäft findiger Autoren. Mal geraten sie
konfliktgeladener als die Originale, mal substanzärmer, gelegentlich daneben. Das
Theater hat zu allen Zeiten schlecht und recht auch davon gelebt.
Letztlich ist das Kriterium, ob ästhetischer Gewinn zu verbuchen ist, ein tieferes und reicheres Verständnis menschlichen Lebens beispielsweise oder ein künstlerisches Sublimieren der gewählten Vorlage — etwa von der Art, wie es Mozart und da Ponte begnadet gelang, als sie 1785/86 aus Beaumarchais’ sozialkritischer Komödie „Der tolle Tag" die Buffo-Oper „Die Hochzeit des Figaro" kreierten.
Jetzt erreichte uns in Berlin — vorgestellt
vom Maxim Gorki Theater — aus Wien Peter Turrinis (Jahrgang 1944) Umarbeitung
des „Tollen Tages" von Beaumarchais zum „Tollsten Tag". Welche
Steigerung bereits im Titel! In dieser Fassung peitscht Almaviva seine erste Kammerjungfer
Susanne. Glücklicherweise kommt Figaro dazu. In der Rage bringt er den Grafen um.
Endlich, endlich, möchte man rufen, nach
zweihundert Jahren widerfährt den Dienstboten Gerechtigkeit. Jus primae noctis
— das Recht des Feudalherren auf die erste Nacht jeder heiratenden Jungfrau
seines Besitztums ist abgeschafft. Turrini macht es möglich. Er läßt obendrein
die Gräfin irre werden. Und sein Hofoberintrigant Bazillus wittert in banger
Sorge: Revolution?
Beaumarchais und dann auch Mozart/da Ponte
wußten ihrem Stoff über die ästhetische Wirkung politische Stoßkraft zu geben.
Bei Turrini endet die Geschichte in didaktischer Profanität. Notwendigkeit
dafür sehe ich keine. Offenbar liegen die Gründe für diese Variante in der
gesellschaftlichen Misere, in der Türrini lebt und auf die er Antworten sucht.
Merkwürdig bleibt es trotzdem, wenn ein junger, für soziale Gerechtigkeit
streitender Autor solch überkommenen Stoff dieserart benutzt, um seine Kampfansage
zu artikulieren.
Regisseur Karl Gassauer inszenierte trotzdem
locker und leicht, mit Gespür für realistische Stilisierung. Zwar fällt der zuweilen
grobianische Dialog auf, da aber das Ensemble mit sichtbarer und sich auf das
Publikum übertragender Spiellaune agiert, begibt sich denn doch eine rundum
unterhaltsame Komödie. Selbst wenn der Ulk mal zu burlesk ausfällt, nimmt man's
nicht krumm.
Götz Schubert gibt den Figaro gekonnt in Witz
und Geste. Er hat Wendigkeit und spröde Grazie im Umgang mit den Damen,
sympathische Schlauheit im Kampf mit seinem Gegner. Gundula Köster als Susanne
ist, was man ein allerliebstes Fräulein nennen möchte. Sie schaut vortrefflich aus
und weiß von Herzen keck zu spielen.
Originell ist Jenny Gröllmann als Cherubin.
Die vertrackten Situationen, die ihr Jüngling zu überstehen hat, ergeben komische
Vorgänge, die sich sehen lassen können. Ursula Werner findet für ihre Gräfin
eine schöne leise Ironie. Ihre Etikette hat Würde, fast Innerlichkeit.
Christoph Engel als Almaviva ist mir ein wenig vordergründig der gestiefelte
und gespornte Haudegen.
Die Turbulenzen ereignen sich zwischen
hell-freundlichen Leinwandfluchten beiderseits der Bühne (Ausstattung: Henning Schaller),
links mit Türen versehen, rechts mit einer Fensterfront. Nach hinten bleibt ein
Durchguck — dort schaut das Personal verdutzt hervor, wenn vorn die Komödie
ihren tragischen Kollaps erleidet. Das Publikum weiß es zu ertragen, der
Beifall zumindest spricht dafür.
Neues
Deutschland, 8./9. Juli 1989