„Sugar
Dollies“ von Klaus Chatten in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin,
Regie Johanna Schall
Fröhliche Satire mit politischem Touch
Schon im
Foyer fällt Rosy auf. Sie schlurft da herum. Ihren Namen trägt sie wie ein
Werbe-Signet auf der Brust und einen
schäbigen Koffer in der Hand. Dann
steht sie links neben den Zuschauerreihen und brabbelt vor sich hin. Ein urkomischer Abend scheint bevorzustehen.
Denn diese Rosy wird von Eva Weißenborn gespielt. Das ist eine Erzkomödiantin. Und Johanna Schall führt
Regie. Sie weiß, wie blendend es läuft,
wenn die Weißenborn alle Register ziehen
darf.
Los also geht's bei der deutschen Erstaufführung der
«Sugar Dollies« von Klaus Chatten in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in
Berlin. Die Rosy okkupiert
die Bühne und gibt lautstark ein Motto vor, nämlich «Marmor, Stein und Eisen
bricht, aber unsere Liebe nicht!« Was, wie sich im Verlaufe des Abends
herausstellt, ein reiner leerer Wahn ist, denn
es geht verdammt lieblos zu in diesem
Land.
Schon bei Rosy wird's offenbar. Sie ist eine arbeitslose Schauspielerin
mit massivem
Frust auf Intendanten, Regisseure, Dramaturgen, Kritiker, Kultursenatoren und Zahnärzte, den sie grimmig herausschreit. Sie setzt auf Kauzigkeit und Trollerie, aber ins Geschäft kommt sie nicht. So packt sie immer
wieder die nackte Verzweiflung, die sie aber - urwüchsig zäh wie sie ist - wie
ein Steh-auf-Männchen zu überwinden versteht. Eva Weißenborn, glänzend
aufgelegt, sprachlich wie stets variabel und
ausdrucksvoll, meistert ihre Parts
tragikomisch virtuos.
Anfangs scheint es, als habe der Autor nur eine Reihe spaßiger
Kabarett-Nummern
zusammengetragen, denen Bühnenbildner Stephan Fernau
einen netten Spielraum verschaffte. Aber da begibt sich denn doch eine fröhliche Satire mit politischem Touch. Aufs Korn genommen wird die vom Fernsehen beim Volke ziemlich groß gezüchtete Gier, bei einer Show einmal das Gesicht
hinhalten zu dürfen. Was ja - wie nicht der
Plebs, aber der Kenner weiß - gar nicht so einfach ist; denn die willfährigen Kandidaten, die da serviert werden, sind sorgfältig handverlesen. Beim Run auf die Sendung «Sugar Dollies« («Zuckerpüppchen«) vorsortiert Vorzimmerdame Viola Pfauweber («Ich bin ein Luxusweib«). Natürlich versuchen
auch neue Bundesdeutsche ihr Glück.
Für Autor Chatten die Gelegenheit, um
mittels dieser Frau Pfauweber, einer total versnobten «niederbayrischen Titten-Klette« (0-Ton
Rosy!), und deren Begegnung mit Frau Peterchen,
einem Kind des Ostens, sarkastisch über aktuelle deutsche Befindlichkeiten zu erzählen. Wobei allerdings Regisseurin Schall mit enormem Spielwitz, Barbara Schnitzler als die überkandidelte, nervlich völlig kaputte Pfauweber und Ulrike Krumbiegel als die herzig geradlinige Frau Peterchen einen gewaltigen Anteil daran haben, daß die grotesk zugespitzten Vorgänge echt ergötzen. Barbara Schnitzler führt nicht nur bornierte
Arroganz der Macht vor, sie zeigt auch, daß sich hinter betont anti-nazistischem Gebaren faschistoides Verhalten verbergen kann. Die aberwitzige Szene
jagt einem Gänsehaut über den Rücken.
Unversehens muß sich die naive Peterchen
aufbäumen, um nicht als Nazi zu
gelten. Ulrike Krumbiegel gibt der Figur
die scheue Zurückhaltung eines jungen
Menschen, dem seine kurze Biographie weggebrochen ist, und die aufmüpfige Selbstbewußtheit, mit der er sie selbst in Frage stellte.
Der 1963 in Lennestadt in Nordrhein-Westfalen
geborene Klaus Chatten (den ich in der Baracke des
DT kennenlernte, wo er 1995 mit «Unser Dorf soll
schöner werden« als Autor debütierte) versteht nicht nur, gut zu beobachten; er hat ohne Zweifel ein Talent, diesem sagenhaften neu-alt-bundesdeutschen Leben komisch beizukommen. Er führt noch zwei Figuren ins Treffen, die einem Raritätenkabinett entstiegen sein
könnten, sich aber als ziemlich lebenswahr
erweisen. Mutter Mrugalla mit Tochter Tabea, Experten für die Weiber-Fastnacht - gespielt von Gudrun
Ritter und Simone v. Zglinicki mit exzellenter
Präzision im skurril Komischen -,
wohnhaft bei Dortmund, versessen aufs
Fernsehen in Berlin.
Die wohlbeleibten Herzchen - doch nicht etwa «die dicken Kinder von Landau«? - wissen gut zu schlemmern, weshalb für den großen Auftritt abgespeckt werden muß. Geradezu
tragische Enttäuschung der Mutter dann:
Noch bevor sie bei den Dollies überhaupt einen Fuß über die Schwelle gesetzt haben, hat sich die noch immer schön korpulente Tochter Tabea auf irgendeinem Rummel, der natürlich mitgenommen werden mußte, in einen Schausteller verknallt und ihn im Spiegelkabinett auch gleich vernascht.
Reiche Phantasie vor allem, zeigt
sich einmal wieder, muß ein Stückeschreiber haben. Und wenn es an die äußerste Grenze der Wahrscheinlichkeit geht! Daß die Mrugallas das Fernsehstudio regelrecht okkupieren und die Madame Pfauweber einfach
zum Fenster hinauswerfen - am Ende ist's einem irgendwie schnuppe. Spaß
hat es gemacht, intelligenten Spaß sogar,
pfiffigen. Was will man mehr heutzutage!
Und daß mit Johanna Schall eine
gescheite Regisseurin fürs Groteske zur Verfügung steht, was sich 1995
bei ihrer ungebärdig und schrullig überzogenen
«Widerspenstigen« von Shakespeare
andeutete, kann jetzt als gewiß verbucht
werden.
Neues Deutschland,
15. Oktober 1996