„Der Sturm“ von Shakespeare am Berliner Ensemble, Regie
Stephan Suschke
Verzicht auf Rache
Der betagte Prospero in Shakespeares »Sturm«, aufs Meer vertriebener Herzog von Mailand, schlägt auffallend aus der Art. Durch Hobby-Zauberei, die er zu Hause pflegte, ist er Herrscher über die Insel geworden, auf die es ihn mit Tochter Miranda verschlug. Den ansässigen Luftgeist Ariel und den Ureinwohner Caliban hat er sich gefügig gemacht. Insofern hat er ein übliches weltliches Regime errichtet. Als er aber nach zwölf Jahren endlich mittels zauberkräftigen Sturmes seine Widersacher packen kann, König Alonso von Neapel und dessen Gefolge, handelt er ganz und gar unüblich: Er stürzt die Herrschaften zwar in einen Schiffbruch mit Schrecken und Pein und setzt sie gefangen, aber er übt keine Rache. Er vergibt seinen Gegnern.
Ein Märchen! Leider kommt es im Berliner Ensemble derzeit nicht so
verspielt und locker daher, wie's Shakespeare (1564-1616) vorschlug, als er von
der Bühne Abschied nahm. Sein letztes Stück, diese wunderliche Romanze über
eine Wunschwelt, Ergebnis humaner Magie des Prospero, wurde von Stephan Suschke
als eine ziemlich vernebelte, meist recht finstere Staatsaktion inszeniert; in einem
Bühnenbild von Momme Röhrbein, das keine bezauberte Insel assoziieren läßt,
sondern, so man guten Willens ist, einen Shakespeare-Bühnen-Verschnitt, oder,
so man bösen Willens ist, eine zweckentfremdete massive Tiefgarage. Eine
bedeutungslastige Szene jedenfalls, wie für eine makabre Tragödie eingerichtet.
Wenn in solch bedrückender Örtlichkeit Prospero obendrein nicht als ein überlegener
geistig wendiger Souverän der Insel wie der Magie auftritt, sondern eher wie
ein grimmiger Jahrmarktsgaukler und knickrig kalkulierender Winkeladvokat,
scheint mir des Dichters Intention rundum nicht eben gut getroffen. Hermann
Beyer, ansonsten ein bewährter Darsteller für den Typ des ausgezehrten,
unverzagten Plebejers, gibt hier, gleichförmig in leidendem Ausdruck und knarriger
Stimme, einen verknöcherten alten Herzog, dem man alles zutraut, nur keine Gnade.
Seine Magie betreibt dieser Greis nicht mit Lust, sondern eher als eine Last;
ihm gelingt kein poetisches Zauberbankett mit Iris, Ceres, Juno und diversen
Nymphen, er verzapft eine lärmige Horror-Show mit einem bedrohlichen Monster
(Nino Sandow), das ihm zu gefallen scheint.
Mär hin, Mär her. Shakespeares Prospero, realpolitisch
noch immer gut drauf, sorgt für königliche Perspektive nach glücklicher
Heimkehr. All seine Zauberkünste setzt er letztlich nämlich nur ein, um Tochter
Miranda an den rechten Mann zu bringen, an Ferdinand, des Königs Sohn. Welch
Vorhaben, über ein Jahrzehnt hartnäckig im Kopf durchgespielt, allerdings und
ohne Zweifel einigermaßen engstirnig machen kann. So wie der König (Martin
Seifert), lange genug im Amt, auf seine Weise borniert ist. Hoffnungsträger
allein sind also die Kinder! Der differenziert ausdrucksfähigen, spröd-scheuen
Miranda Cristin Königs sowie dem gutmütig arbeitswilligen Ferdinand Uwe Preuß'
ist immerhin eine aufgeklärte Regentschaft zuzutrauen. Oder ist auch das nur
ein Märchen?
Im übrigen ist festzuhalten, daß die Schauspieler mit
Christoph Martin Wielands Sprache, dessen Übersetzung benutzt wurde,
unterschiedlich profiliert umgehen. Axel Werner als Caliban, von Darstellung
und Kleidung her ein schon recht zivilisierter »Wilder«, fällt sprecherisch
auf; auch Jörg Michael Koerbl als befrackter und bebrillter, irgendwie bürokratischer
Ariel. Ausdruckskräftig in ihren Rollen, wenn auch etwas betulich geführt, sind
Martin Seifert (König Alonso), Veit Schubert (Antonio), Dieter Knaup (Gonsalo)
und Götz Schulte (Sebastian). Die Spaßvögel vom Dienst, der berauschte
Kellermeister Stephano (Hans Fleischmann) und der nicht minder betrunkene
Hofnarr Trinculo (Uwe Steinbruch), liefern die lustigen Nummern mit Anstand und
freundlichem Humor.
Die Aufführung, zu der Oskar Sala klangmalerisch Musik
beisteuerte, ist für die Saison gewiß kein Höhepunkt, dennoch ein Beleg für den
Willen des Berliner Ensembles, das Leitungsinterregnum zu meistern.
Neues
Deutschland, 10. Juni 1998