„Stalker“ von Andrej Tarkovskij im Prater Berlin, Regie Sebastian
Hartmann
Leerlauf mit Hängebauchschwein
Als der Wissenschaftler entsetzt schrie: »Oh Gott, ist das schlecht!«, erhob
sich ein gutgenährtes Hängebauchschwein in der Studio-Wüste Bert Neumanns und
schaute verdrießlich in die Gegend. Aber das Interesse erlahmte sofort, und
das Tier legte sich zu neuem Nickerchen nieder. Derlei Schläfrigkeit konnte
ich mir nicht leisten. Ich war in den Prater in der Berliner Kastanienallee gekommen,
ins Volksbühnenstudio, weil »Stalker« angekündigt war, eine Bühnenbearbeitung
des gleichnamigen Films von Andrej Tarkovskij aus dem Jahre 1979. Obwohl ich
wirklich guten Willens war, bemühte ich mich alsbald vergebens, dem befremdlichen
Treiben auf dem Parkett zu folgen.
Wenn ein versierter Schauspieler wie Herbert Fritsch -
zwar von zarter Stimme, gewiss - als Stalker im Raum akustisch untergeht, hat
man möglicherweise im Saal am falschen Platz gesessen. Wenn aber auch die
übrige Truppe, Cordelia Wege (Frau), Thomas Lawinsky (Schriftsteller) und
Ingolf Müller-Beck (Wissenschaftler), kaum zu verstehen ist, scheint wohl doch
der Spielleiter nicht gut drauf gewesen zu sein. Noch immer kommt es im uralten
Medium Theater wesentlich auf die Sprache an.
Tarkovskijs gleichnamiger Film nach dem Roman »Picknick am Wegesrand«
von Arkadi und Boris Strugazki handelt von einer verbotenen Zone, die geheimnisvolle
Kräfte ausstrahlen soll. Stalker, ein ehemaliger Sträfling, ein wunderlicher Mann,
begleitet einen Wissenschaftler und einen Schriftsteller auf einer illegalen Führung
zu dem seltsamen Ort, eine verfallene Industrielandschaft. Sie suchen eine Hütte
in diesem Sperrgebiet, wo angeblich geheimste Wünsche erfüllt werden.
Rätselhafte Vorgänge. Entdeckungen nicht in der Realität, sondern im Unterbewusstsein
der Menschen. Für die Bühne nicht unbedingt prädestiniert.
Alle Achtung gegenüber einem Experimentator, der den
Stoff aus dem UdSSR-Film dennoch fürs Theater praktikabel zu machen versucht.
Aber leider war der junge Chef des Unterfangens, Sebastian Hartmann, offenbar
nicht daran interessiert (oder nicht dazu in der Lage), das ungewöhnliche
Geschehen sinnfällig aufzubereiten. Im Gegenteil, er verrätselte die Abläufe zusätzlich,
indem er seine Figuranten so tun lässt, als werde nebenbei auch noch mal kurz
ein Film gedreht. Andererseits überträgt die Kamera auf eine große Leinwand
etwa während der Hälfte der Zeit irgendwelche irrelevanten Ausschnitte aus dem
Saal. Das Ergebnis: Man beneidet das Hängebauchschwein.
Drei Männer und eine Frau wälzen scheinbar existentielle Probleme, reden
und gestikulieren mal emphatisch, mal verhalten aufeinander ein, doch ihr Tun vor
und neben der Studio-Wüste bleibt inkommensurabel. Wahrscheinlich spürte Hartmann
die ästhetische Gestaltlosigkeit und verzierte den szenischen Leerlauf mit lustwandelnden
Nackedeis. Auch mit szenischen Kalauern versucht er, Punkte zu machen.
Beispielsweise stört seinen Stalker plötzlich, als die Männer endlich in der
Hütte am Tisch sitzen, dass an der Saaldecke eine Glühbirne nicht brennt. Worauf
Fritsch minutenlang einen Bau-Aufzug montiert und hochfährt. Prompt brennt die
Glühbirne folgsam, doch sobald er wieder herunter will, verlöscht sie. Das
geht so ein arges »lustiges« Weilchen.
Schließlich gibt's einen endlos langen Gang Stalkers und
des Schriftstellers durch den Keller und auf die Straße mit seltsamen
Begegnungen, per Videokamera übertragen, aber von so schlechter Bildqualität,
dass man am Feilgebotenen einfach nicht dran bleiben kann. Mein Verdacht: Die
chaotische Folge diffuser, sich der Deutung entziehender Spiel-Spots ist
gewollt. Kann nicht wenigstens verständlich gesprochen werden?
Neues Deutschland, 5. Oktober 2000